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Der Wahlsieg von Lula und der PT bedeutet einen tiefen Einschnitt für Brasilien, für Lateinamerika und vielleicht
darüber hinaus. Er drückt die Bestrebung der Not leidenden Lohnabhängigen, Kleinbauern, Armen in Stadt und Land aus, mit dem
neoliberalen Raubbau Schluss zu machen und eine Alternative zu entwickeln.
In diesem Land, in das Deutschland 24mal hineinpassen würde, leben 170 Millionen
Menschen, davon über 50 Millionen unterhalb der Armutsgrenze nach UNO-Kriterien. Über die Hälfte der Erwerbstätigen arbeitet im
"informellen Sektor". Ein Fünftel der Bevölkerung verfügt über 65% des Einkommens, 1% über 50% des bebaubaren
Bodens. 4,5 Millionen Bauern haben kein Land. Fast 80% leben in den Großstädten, ein großer Teil davon in den Elendsvierteln. Die
Außenverschuldung ist zwischen 1992 und 2002 von 128 auf 288 Milliarden Dollar gestiegen. Die Ableistung des Schuldendienstes verschlingt einen
wachsenden Teil der Staatseinnahmen: 1995 waren es 24,9% des Bundeshaushalts, inzwischen sind es 55,1%. 1995 wurden noch 20,3% des Budgets für
Bildung ausgegeben und im Jahr 2000 nur noch 8,9%.
Lula hat mit über 60% der Stimmen die Wahl zur Präsidentschaft gewonnen, und
die PT ist stärkste Fraktion im Bundesparlament geworden. Trotzdem verfügt sie dort mit 91 von 513 Stimmen nicht über die Mehrheit, auch
nicht in der Mehrzahl der Bundesstaaten. Darum hat die Parteiführung um Lula alles getan, um die parlamentarische Basis der neuen Regierung zu
erweitern. Neben linken Bündnispartnern (ein Mitglied der exmaoistischen PCdoB ist jetzt Sportminister) wurden Partner vor allem im Lager der
bürgerlichen Parteien gesucht und gefunden, obwohl die PT-Linke dies scharf kritisierte.
Die parlamentarische Arithmetik ist nur oberflächlich der Grund. Tiefer liegt die
strategische Überlegung, die "Märkte", die US-Regierung und die internationalen Finanzinstitutionen zu beschwichtigen und
gewünschte Veränderungen im "Dialog" mit dem "produktiven" Teil der brasilianischen Bourgeoisie durchzusetzen. Ein
Kongress der PT im Jahr 2001 hatte noch die Ableistung des Schuldendienstes verurteilt jetzt wurden neue Kreditlinien mit dem IWF ausgehandelt, und
einen klaren Bruch mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik gefordert jetzt sind wichtige Ministerposten mit neoliberalen Politikern besetzt, auch die
Führung der Zentralbank; der Kongress forderte die Übernahme der Regierungsverantwortung "mit einer sozialistischen Perspektive".
Ein Erfolg der in Aussicht gestellten einschneidenden "Veränderungen" wie
das Programm "Null Hunger", die Agrarreform und gerechtere Einkommensverteilung ist aber unvereinbar mit den Interessen der
Großgrundbesitzer und des inländischen und ausländischen Großkapitals, zumal in der aktuellen Konjunktur das erhoffte kapitalistische
Wirtschaftswachstum ausbleiben wird. Alles hängt davon ab, wie sich die Bewegung von unten entwickelt. Drauf setzt die PT-Linke. Dazu gehört
auch die Ausweitung jener Demokratie von unten, die seit 14 Jahren unter dem Stichwort Beteiligungshaushalt bekannt ist.
Unsere Aufgabe in den reichen Industrieländern besteht nicht nur darin, über die
politischen Perspektiven in Brasilien zu informieren und diskutieren. Dringend erforderlich ist eine Kampagne für die sofortige und bedingungslose
Schuldenstreichung, um den Spielraum für soziale Verbesserungen entscheidend zu erweitern.
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