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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 7

Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen

Das Fiasko der SPD

Nur vier Monate nach den gerade noch gewonnen Bundestagswahlen musste die SPD in Hessen und Niedersachsen zwei schwere Wahlschlappen hinnehmen, die vor allem auf die Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung Schröder zurückzuführen sind.

Es ist im historischen Vergleich nicht gerade selten, dass die Gewinner einer Bundestagswahl bei den darauf folgenden Landtagswahlen abgestraft werden, doch der Absturz von über 10 Prozentpunkten in Hessen und fast 15 Prozentpunkten in Niedersachsen stellt eine historische Rekordmarke dar. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, würde die SPD wieder ins 30%-Ghetto zurückfallen, aus dem man mit der Godesberger Strategie einst aufgebrochen war und dessen aktualisierte Neuformulierung Schröders Kampagne von 1998 um die "Neue Mitte" darstellte. Die "Neue Mitte" macht im Augenblick einen Bogen um die SPD und wählt die Union bzw. in minderem Umfang die Grünen.
Dabei war die Niederlage der SPD keineswegs auf einen formidablen Auftritt der Union zurückzuführen. Natürlich konnte sich Koch in Hessen in den vergangenen vier Jahren als der kommenden Mann der Konservativen in Szene setzen; dagegen stand die SPD mit dem farblosen Bökel von vornherein auf verlorenem Posten. Viel schwerer wiegt die Niederlage der SPD in Niedersachsen, wo es dem amtierenden Ministerpräsidenten Gabriel, der auch als einer der kommenden "Männer" der SPD gehandelt wird, nicht gelang, seinen Amtsbonus gegen den farblosen ewigen Oppositionsführer Wulf in die Waagschale zu werfen.
Die Versuche der SPD, mit dem Thema Irakkrieg das Ruder wie bei den Bundestagswahlen noch einmal herumzuwerfen, wurden als durchsichtiges Manöver durchschaut; den Wählern in beiden Ländern war klar, dass die Entscheidung über den Krieg nicht in Wiesbaden oder Hannover getroffen würde. Und diesmal traten auch keine Flüsse über die Ufer, auf denen sich ein "Deichgraf" medienwirksam in Szene hätte setzen können.
Natürlich kann man der SPD nicht den Vorwurf machen, von der kapitalistischen Krise eingeholt worden zu sein, doch offensichtlich ist ihre Politik des "Ausgleichs" zwischen Kapital und Arbeit unter solchen Bedingungen dazu verdammt, die eigene Klientel mit "sozialen Grausamkeiten" zu quälen. Gerade die unter 40-Jährigen, die sich an die kapitalistischen Krisen Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre kaum noch erinnern können, sind der SPD in Scharen weggelaufen.
Bezeichnenderweise erlitt die SPD die höchsten Verluste bei den Arbeitenden, und hier besonders bei den Männern. Unter ihren Kernwählern, nämlich den gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen, erhielt sie mit Stimmenverlusten um die 20% den deutlichsten Denkzettel. Die hessische CDU hingegen hatte ihre größten Stimmenzuwächse bei jungen Männern im Alter zwischen 18 und 34.
Die Landtagswahlen haben der Union erhebliche Trümpfe an die Hand gegeben, da sie nun über eine klare Mehrheit im Bundesrat verfügt. Allerdings haben die beiden Siege auch die Kehrseite, dass nicht nur der rechte Herausforderer von Parteichefin Angela Merkel, Roland Koch, sondern auch einer ihrer wichtigsten Unterstützer, Christian Wulff, groß gepunktet haben. Dadurch wurde Merkels Position eher gefestigt, und der aus dem Koch-Lager kommende Versuch, Merkel 2004 ins Amt der Bundespräsidentin abzudrängen, um freie Bahn zu bekommen, dürfte einen kräftigen Dämpfer erhalten haben.
Außerdem hat diese Wahl auch die Ambitionen eines Stoiber beschnitten, der nun nicht mehr die CDU einfach ins Schlepptau der CSU nehmen kann (er betrachtet sich inzwischen nicht mehr als Kanzlerkandidat).
Die gewachsene Mehrheit der Union im Bundesrat stärkt die rechten Tendenzen im rot- grünen Lager, die besonders von Wirtschaftsminister Clement verkörpert werden, in einer Art informellen großen Koalition eine Reihe von Forderungen der Unternehmer zum Sozialabbau und zur weiteren Demontage des Sozialstaats durchzusetzen: Angekündigt sind die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (d.h. die Streichung der Arbeitslosenhilfe), die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen für die Arbeitsaufnahme sowie die "Herausnahme" von wichtigen Leistungen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (im Gespräch sind die völlige Streichung der Leistungen bei Zahnersatz, die Einführung einer privaten Unfallversicherung...).
Krista Sager hat deutlich gemacht, dass für die Grünen in ihrem Amoklauf gegen die angeblich zu hohen "Lohnnebenkosten" auch die paritätische Finanzierung der GKV durch Arbeitende und Unternehmer zur Disposition steht ("Einfrieren des Arbeitsgeberbeitrags" nennt man das). Auf die Lohnabhängigen kommen also erhebliche Mehrbelastungen zu.
Das weitere Schicksal der Regierung Schröder wird letztlich — von der konjunkturellen Entwicklung einmal abgesehen — durch die Haltung der Gewerkschaften entschieden: Wenn sie ihr Kampfpotenzial gegen die Forderungen des Unternehmerlagers, der Union, wichtiger Massenmedien und diverser, im Hinterzimmer tagender "Kommissionen" auf die Straße bringen und zu einem entschiedenen Kampf gegen die soziale Demontage blasen — dann wird es für die Regierung sehr eng werden.

Paul B. Kleiser

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