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Es ist im historischen Vergleich nicht gerade selten, dass die Gewinner einer Bundestagswahl bei den darauf folgenden
Landtagswahlen abgestraft werden, doch der Absturz von über 10 Prozentpunkten in Hessen und fast 15 Prozentpunkten in Niedersachsen stellt eine
historische Rekordmarke dar. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, würde die SPD wieder ins 30%-Ghetto zurückfallen, aus dem man mit der
Godesberger Strategie einst aufgebrochen war und dessen aktualisierte Neuformulierung Schröders Kampagne von 1998 um die "Neue Mitte"
darstellte. Die "Neue Mitte" macht im Augenblick einen Bogen um die SPD und wählt die Union bzw. in minderem Umfang die
Grünen.
Dabei war die Niederlage der SPD keineswegs auf einen formidablen Auftritt der Union
zurückzuführen. Natürlich konnte sich Koch in Hessen in den vergangenen vier Jahren als der kommenden Mann der Konservativen in Szene
setzen; dagegen stand die SPD mit dem farblosen Bökel von vornherein auf verlorenem Posten. Viel schwerer wiegt die Niederlage der SPD in
Niedersachsen, wo es dem amtierenden Ministerpräsidenten Gabriel, der auch als einer der kommenden "Männer" der SPD gehandelt
wird, nicht gelang, seinen Amtsbonus gegen den farblosen ewigen Oppositionsführer Wulf in die Waagschale zu werfen.
Die Versuche der SPD, mit dem Thema Irakkrieg das Ruder wie bei den Bundestagswahlen
noch einmal herumzuwerfen, wurden als durchsichtiges Manöver durchschaut; den Wählern in beiden Ländern war klar, dass die
Entscheidung über den Krieg nicht in Wiesbaden oder Hannover getroffen würde. Und diesmal traten auch keine Flüsse über die Ufer,
auf denen sich ein "Deichgraf" medienwirksam in Szene hätte setzen können.
Natürlich kann man der SPD nicht den Vorwurf machen, von der kapitalistischen Krise
eingeholt worden zu sein, doch offensichtlich ist ihre Politik des "Ausgleichs" zwischen Kapital und Arbeit unter solchen Bedingungen dazu
verdammt, die eigene Klientel mit "sozialen Grausamkeiten" zu quälen. Gerade die unter 40-Jährigen, die sich an die kapitalistischen
Krisen Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre kaum noch erinnern können, sind der SPD in Scharen weggelaufen.
Bezeichnenderweise erlitt die SPD die höchsten Verluste bei den Arbeitenden, und hier
besonders bei den Männern. Unter ihren Kernwählern, nämlich den gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen, erhielt sie mit
Stimmenverlusten um die 20% den deutlichsten Denkzettel. Die hessische CDU hingegen hatte ihre größten Stimmenzuwächse bei jungen
Männern im Alter zwischen 18 und 34.
Die Landtagswahlen haben der Union erhebliche Trümpfe an die Hand gegeben, da sie
nun über eine klare Mehrheit im Bundesrat verfügt. Allerdings haben die beiden Siege auch die Kehrseite, dass nicht nur der rechte Herausforderer
von Parteichefin Angela Merkel, Roland Koch, sondern auch einer ihrer wichtigsten Unterstützer, Christian Wulff, groß gepunktet haben. Dadurch
wurde Merkels Position eher gefestigt, und der aus dem Koch-Lager kommende Versuch, Merkel 2004 ins Amt der Bundespräsidentin abzudrängen,
um freie Bahn zu bekommen, dürfte einen kräftigen Dämpfer erhalten haben.
Außerdem hat diese Wahl auch die Ambitionen eines Stoiber beschnitten, der nun nicht
mehr die CDU einfach ins Schlepptau der CSU nehmen kann (er betrachtet sich inzwischen nicht mehr als Kanzlerkandidat).
Die gewachsene Mehrheit der Union im Bundesrat stärkt die rechten Tendenzen im rot-
grünen Lager, die besonders von Wirtschaftsminister Clement verkörpert werden, in einer Art informellen großen Koalition eine Reihe von
Forderungen der Unternehmer zum Sozialabbau und zur weiteren Demontage des Sozialstaats durchzusetzen: Angekündigt sind die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (d.h. die Streichung der Arbeitslosenhilfe), die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Verschärfung der
Zumutbarkeitsregelungen für die Arbeitsaufnahme sowie die "Herausnahme" von wichtigen Leistungen aus der Gesetzlichen
Krankenversicherung (im Gespräch sind die völlige Streichung der Leistungen bei Zahnersatz, die Einführung einer privaten
Unfallversicherung...).
Krista Sager hat deutlich gemacht, dass für die Grünen in ihrem Amoklauf gegen
die angeblich zu hohen "Lohnnebenkosten" auch die paritätische Finanzierung der GKV durch Arbeitende und Unternehmer zur Disposition
steht ("Einfrieren des Arbeitsgeberbeitrags" nennt man das). Auf die Lohnabhängigen kommen also erhebliche Mehrbelastungen zu.
Das weitere Schicksal der Regierung Schröder wird letztlich von der
konjunkturellen Entwicklung einmal abgesehen durch die Haltung der Gewerkschaften entschieden: Wenn sie ihr Kampfpotenzial gegen die
Forderungen des Unternehmerlagers, der Union, wichtiger Massenmedien und diverser, im Hinterzimmer tagender "Kommissionen" auf die
Straße bringen und zu einem entschiedenen Kampf gegen die soziale Demontage blasen dann wird es für die Regierung sehr eng werden.
Paul B. Kleiser
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