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Grund genug für die Bundesregierung, sich verstärkt um die Erwerbslosigkeit zu kümmern. Kurz vor der
Bundestagswahl wurde die Kommission "Moderne Dienstleistungen im Arbeitsmarkt" eingerichtet. Ursprünglich sollte sie die Bundesanstalt
für Arbeit (BA) reformieren: "Ziel ist es, die BA zu einer modernen Dienstleistungseinrichtung umzubauen." Mit Billigung der
Bundesregierung wurde der Auftrag erweitert. Ziel war nun ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik: "Die
Arbeitsförderpolitik wird im Sinne einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik umgebaut."
Im August 2002 stellte die Kommission ihren Bericht vor; 13 Innovationsmodule sollen dazu
führen, dass der "Kunde Arbeitssuchender" und der "Kunde Arbeitgeber" zueinander finden und die Erwerbslosigkeit bis 2005
halbiert werden kann. Der Bundeskanzler war begeistert, er versprach gleich nach Erscheinen des Berichts, die Vorschläge zügig und 1:1
umzusetzen. Die SPD-Fraktion spricht in einer Broschüre von der "größten Arbeitsmarktreform in der Geschichte der
Bundesrepublik", von einem "zukunftsweisendem Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit".
Der Bericht basiert auf der Annahme, den Erwerbslosen mangele es nur an
Eigenaktivität und Flexibilität bei der Arbeitssuche. Werde der Druck auf sie erhöht, könne die Erwerbslosigkeit bekämpft
werden. Es dominiert die Auffassung, hohe Lohnkosten und eine zu hohe Regulierungsdichte seien schuld an der hohen Erwerbslosigkeit, geringere Lohnkosten
und weitere Deregulierung würden daher zu mehr bezahlten Arbeitsplätzen führen.
Die Bundesanstalt für Arbeit soll reformiert, ihre Effizienz gesteigert und die
Arbeitsämter zu JobCentern umgestaltet werden. Dort sollen die Erwerbslosen (genannt Kunden) schneller, individueller, kundenfreundlicher und
unkomplizierter "bedient" und an die Arbeitgeber (ebenfalls Kunden genannt) vermittelt werden. Der Datenaustausch soll erleichtert werden. Die
Landesarbeitsämter werden zu Kompetenzzentren umgebaut, die arbeitsmarktpolitische Aktivitäten vernetzen und die JobCenter beraten sollen. Die
durchschnittliche Dauer der Erwerbslosigkeit soll auf diese Weise von 33 auf 32 Wochen reduziert werden.
Die Reform der Bundesanstalt für Arbeit ist lange fällig. Problematisch erscheint
es, dass die Erwerbslosen in Kunden und Leistungsempfänger umbenannt werden. Schließlich haben sie durch ihre frühere Arbeit eindeutig
einen Anspruch auf Leistungen der Arbeitsverwaltung erworben. Ein noch viel größeres Problem ist es jedoch, dass eine Binsenweisheit außer
Acht gelassen wird: Um Stellen zu vermitteln, müssen Stellen vorhanden sein. Nach einer Erhebung des IAB gab es 2002 1,16 Millionen offene Stellen,
bei über 4 Millionen Erwerbslosen wird deutlich, dass das nicht reicht. Es gibt schlicht und einfach nicht genügend bezahlte Arbeitsplätze;
existenzsichernd bezahlte schon gar nicht. Hinzu kommt: Für viele Frauen ist das "Normalarbeitsverhältnis" schon lange eine Illusion,
die "normale Arbeit" war schon immer dem "Haupternährer" vorbehalten, die Haus- und Sorgearbeit, ehrenamtliche Arbeit und
ein bisschen Zuverdienst hingegen der "Mitverdienerin".
Wer glaubt, das Modell sei längst auf der Müllhalde gelandet, weil Frauen ebenso auf ihrer "Erwerbsneigung" beharren, wie
Männer das schon immer tun, und weil die bürgerliche Kleinfamilie ohnehin durch viele andere Familienformen unterwandert wird, wird durch die
Hartz-Kommission eines besseren belehrt.
"Arbeitslose, die besondere Verantwortung für abhängige
betreuungsbedürftige Personen oder Familienangehörige tragen", sollen bei der Vermittlung bevorzugt behandelt werden. In der
ursprünglichen Fassung hieß es noch "Familienväter". Auch die Formulierung im endgültigen Bericht kommt einem
Vermittlungsprivileg für Familienväter gleich, auch wenn das Geschlecht nicht mehr ausdrücklich benannt ist.
Eine klare Definition dieser verantwortungsvollen Teilgruppe fehlt im Bericht. Insbesondere
bleibt offen, was "besondere Verantwortung" bedeutet. Selbst wenn auch Mütter und andere Frauen einbezogen sind, welche die
Verantwortung für ihre Familie durch Erwerbsarbeit tragen, bleibt unklar, ob letztlich nur an diejenigen gedacht ist, die die Verantwortung für ihre
Familien vorrangig durch Erwerbsarbeit tragen, oder auch an diejenigen, die sowohl Familienarbeit (Erziehung und Pflege) als auch in Grenzen Erwerbsarbeit
leisten.
Darüber hinaus ist zu fragen, welche Definition von Familie greift und ob etwa
eheähnliche Lebensgemeinschaften, Wohngemeinschaften und andere Formen des Zusammenlebens ebenfalls erfasst sein sollen. Die Tatsache, dass nicht
alleinerziehende Frauen als Zuverdienerinnen in der Vermittlung zurückstehen sollen, bedeutet einen Rückfall in die Familienpolitik der 50er Jahre,
gegen die sich Frauen schon damals auflehnten.
Fast scheint es, nachdem alle Versuche, Frauen den "Arbeitsplatz Familie"
schmackhaft zu machen, gescheitert sind, nun werde durch die Hintertür versucht, das antiquierte konservative Familienmodell mit
"Haupternährer und Zuverdienerin" endlich zu restaurieren, zumindest für die mittleren Schichten, denn in den Unterschichten hat es
ohnehin nie funktioniert und wird dies durch die vielen Vorschläge, die das Hartz-Konzept zum Niedriglohnsektor enthält, in Zukunft noch viel
weniger.
Für Familien, die zu den gehobeneren Einkommensschichten zählen, hält die Kommission eine Superidee bereit: die Mini-Jobs. Mini-
Jobs können ab dem 1.April 2003 solche Familien (sprich Kunden) einkaufen, die für die Putz- und Sorgearbeiten, die in ihrem privaten Haushalt
anfallen, bis zu 500 Euro im Monat aufbringen können. Letztlich wird die Abgabe der ungeliebten Schmutzarbeiten (vor allem) an Frauen über
steuerliche Begünstigungen, für die die Gemeinschaft aufkommt, finanziert. Die besserverdienenden Familien zahlen dafür eine
Sozialversicherungspauschale von 10%. Gleichzeitig entfällt für Mini-Jobs im Haushalt die bisher für "geringfügige
Beschäftigung" übliche 15-Stunden-Grenze. Der Privathaushalt wird von Arbeitgeberverpflichtungen weitgehend freigehalten. Zusammen mit
der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Kosten für Beschäftigte in privaten Haushalten soll diese Regelung zu einer Verringerung der
Schwarzarbeit führen.
Private Haushalte (haushaltsnahe Dienstleitungen) werden seit einiger Zeit als
Wachstumssegment des Arbeitsmarkts gesehen. "Es gibt viele Menschen, die nicht alles selber machen wollen oder können", heißt es in
einer SPD-Broschüre. Haushaltshilfen sind Frauen rund 3,3 Millionen gibt es davon in Deutschland. Ganze 40000 sind sozial abgesichert, der Rest
arbeitet schwarz.
Die Frauenministerin Renate Schmidt hat sich bereits positiv zu dem Modell
geäußert. Sie sieht darin eine Chance für berufstätige Frauen und besonders für alleinerziehende Mütter. Deutlich ist, dass
solche Mini-Jobs bestenfalls zum Zuverdienen geeignet sind.
Der Ausbau der personenbezogenen Dienstleistungen soll "neue" Arbeitsplätze für Frauen im Bereich der ungeschützten,
niedrig entlohnten Tätigkeiten schaffen. Es geht nun (für besser Verdienende) nicht mehr um die ideologische Aufwertung, sondern um die
privatwirtschaftliche Organisation von Reproduktionsarbeit unter Beibehaltung der Kleinfamilienstruktur. So entstehen neue Unterschichtungen (auch) unter
Frauen.
Die (ausschließlich) Mini-Beschäftigte ist nur krankenversichert, wenn sie
verheiratet ist; dann zahlen andere Beitragszahler ihre Beiträge, was den Druck auf die Kassenbeiträge weiter erhöhen wird. Hat sie keinen
Ehemann, muss sie sich freiwillig versichern. Auch im Alter wird sie arm sein, denn der Arbeitgeberbeitrag von 5% wird für die Absicherung im Alter
nicht reichen, ebenso wenig bei Erwerbsunfähigkeit. Sozialhilfebedürftigkeit und Altersarmut sind vorprogrammiert. Der Abstand der
Frauenaltersrenten zu den Männeraltersrenten wird sich weiter erhöhen.
Als haushaltsnahe Tätigkeiten gelten "insbesondere die Zubereitung von
Mahlzeiten im Haushalt, die Reinigung der Wohnung, die Gartenpflege sowie die Versorgung und Betreuung von Kindern, Kranken, alten Menschen und
pflegebedürftigen Personen. Wichtig ist nur, dass es sich um Arbeiten handelt, die die Familienmitglieder (!) in der Regel selbst ausführen."
Das Hartz-Konzept betrifft also auch Frauenberufe wie Hauswirtschafterin, Altenpflegerin, Erzieherin und Krankenpflegerin.
Die Rechtfertigung der Kommission, viele Menschen könnten oder wollten nicht weiter
qualifiziert werden, entbehrt jeder Grundlage: In Ostdeutschland haben 78% der Erwerbslosen eine abgeschlossene Berufsausbildung und in Westdeutschland
immerhin 54%. Viele hochqualifizierte Frauen besonders aus anderen Ländern übernehmen diese Arbeiten, weil ihnen nichts
anderes übrig bleibt.
Für die Mini-Jobberin gilt, was Lily Braun bereits um die Jahrhundertwende formulierte:
"Der Arbeiter verkauft einen, wenn auch den allergrößten Teil seiner Arbeitskraft, der Dienstbote verkauft seine Person." Und heute gibt
es keine Dienstmädchenvereine, die wie im Zusammenhang mit der "alten" Frauenbewegung für mehr Rechte dieser
extrem ausgebeuteten Klasse kämpfen. Die Frage, ob unter emanzipatorischen Gesichtspunkten eine Ausweitung des Beschäftigungsfelds von
Dienstboten überhaupt wünschenswert ist, wird nicht mehr diskutiert, im Gegenteil: die Rückkehr der Dienstbotengesellschaft wird als
"Innovationsmodell" gefeiert.
Auch bei den viel zitierten Ich-AGs handelt es sich nicht wirklich um neue Arbeitsverhältnisse. "Neue Selbstständigkeit",
"Förderung des Unternehmergeistes" oder auch "Hilf dir selbst, dann hilft dir Göttin", werden seit langer Zeit besonders
Frauen geraten, die um Erwerbsarbeit nachsuchen. Die wenigsten können vom Ertrag, den der Unternehmergeist einbringt, leben. Sie sind weiter
abhängig vom "Haupternährer".
Bei den Ich-AGs handelt es sich in Wirklichkeit um traditionelle Beschäftigungsbereiche
für Frauen, die bislang ohne Sozialversicherungsschutz Schwarzarbeit betreiben, auch dann, wenn sie nicht arbeitslos gemeldet sind. Nur wenige der
erwerbslosen Frauen und Männer bringen überhaupt die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Selbständigkeit mit. Vieles, was an
"normale" Arbeitsverhältnisse erinnert, fehlt bei der Ich-AG: ein fester Arbeitsplatz, garantiertes Einkommen, soziale Kontakte mit
Kolleginnen und damit soziale Anerkennung. Die Propagierung der Ich-AG als soziale Innovation steht zudem den Klagen gegen zunehmende
Individualisierung, fehlendem Gemeinsinn und mangelnder sozialer Kompetenz durch "hedonistische Moral" entgegen.
Eine einfache Erweiterung der Ich-AG durch mitarbeitende Familienmitglieder stellt die
Familien-AG dar. Hier wird wiederum ein Modell aus der Schublade gezogen, das längst überholt schien: das Modell der sozial nicht abgesicherten
"mithelfenden Familienangehörigen". Diese "Innovation" zielt auf die untergeordnete familiäre Mithilfe von Ehefrauen und
ruft ein überholtes Leitbild in Erinnerung, das in Handwerk und Landwirtschaft zu hohen sozialen Risiken für die Betroffenen geführt hat.
Eine leistungsbeziehende arbeitslose Ehefrau könnte in der Familien-AG ihres arbeitslosen Gatten mithelfen. Sie wäre dann "wie bei einer
abhängig Beschäftigen beim Hauptversicherten mitversichert", d.h. sie verlöre ihre eigenständige soziale Sicherung.
Das Hartz-Konzept verweist auf die Erleichterung durch den doppelten Steuerfreibetrag
für Ehepartner und den familienstandsbedingt höheren Leistungssatz der Arbeitsverwaltung, obwohl beide geltendes Recht sind und das
"Ehegattensplitting" seit Jahrzehnten auf der Liste der abzuschaffenden Privilegien steht, die einseitig ein bestimmtes Familienmodell fördern,
nämlich die Hausfrauenehe.
Den Status "Haupternährer" und "Zuverdienerin" bzw.
"mithelfende Familienfrau" gesetzlich festzuschreiben, bedeutet, Frauen das Recht auf eigenständige Existenzsicherung und eigene soziale
Absicherung abzusprechen. Das Interesse der Frauen und Männer nach Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern und nach mehr sozialer
Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke.
In der Entwicklungsphase des Berichts haben verschiedene frauenpolitische Stellungnahmen
das Fehlen einer gleichstellungspolitischen Zielsetzung nachdrücklich bemängelt. In der Schlussredaktion wurde sie auf einem Deckblatt
nachgetragen. Nun soll die Gleichstellung bei der Umsetzung behandelt werden. Feministinnen haben aber längst darauf hingewiesen, dass es nicht darum
gehen kann, einen verschimmelten Kuchen im Sinne der Gender-Mainstreaming-Strategie neu zu verteilen, die das Bundesfamilienministerium seit langem
beschlossen hat.
Gisela Notz
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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