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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 16

Feuerwehrstreik in Großbritannien

Comeback für die Kumpel?

Am Dienstag, dem 21.Januar, war es wieder soweit. Die Ölfässer wurden nach draußen gerollt, die Feuer entfacht und die Streikposten besetzt. Die britische Feuerwehrgewerkschaft FBU trat zu einem weiteren eintägigen Streik an.
Zuvor hatte es ein langwieriges Schlichtungsverfahren gegeben. Es scheiterte hauptsächlich daran, dass die Blair-Regierung sich beharrlich weigerte, ein Verhandlungsangebot zu machen. Obwohl FBU-Verhandlungsführer bereit waren, von der ursprünglichen Forderung nach 40% Gehaltserhöhung abzuweichen und auf 16% herunterzugehen, kam nie der Hauch einer Einigung zustande.
Im Gegenteil, die Regierung ging zum Generalangriff auf die Feuerwehrgewerkschaft über. Sie stellte ein umfangreiches Kürzungsprogramm auf. Würde es umgesetzt, bedeutete dies umfangreiche Entlassungen sowie ein massives Zusammenstreichen des Brandschutzes, sodass er, nach Angaben der FBU, nicht mehr zu gewährleisten wäre.
Weiterhin kündigte die Regierung an, demnächst den gesamten Feuerschutz zwangsweise zu zentralisieren, um die von der Regierung angedrohten Maßnahmen notfalls gewaltsam durchzusetzen. Dies würde auch ein Streikverbot für Feuerwehrleute beinhalten. Eine Klage der FBU dagegen wurde vor einigen Tagen abgewiesen.
Die Gewerkschaftsführung versucht jetzt, das Schlimmste abzuwenden, indem sie von einstigen Grundsatzpositionen abweicht. Neuester Stand der Dinge ist, dass die Gewerkschaftsführung nunmehr bereit ist, mit der Regierung über eine neue Aufgabenverteilung für Feuerwehrleute zu verhandeln. Damit akzeptiert sie eine zentrale Forderung der Regierung. Neuregelung der Aufgabenverteilung kann nämlich bedeuten, dass Aufgabenbereiche anderer Rettungsdienste künftig auf Feuerwehrleute abgeschoben werden. Dann stünde weitreichenden Personalkürzungen bei den britischen Rettungsdiensten nichts mehr im Wege.

Kampf um die Ausrüstung

Inzwischen gibt es vermehrt Repressalien gegen Gewerkschafter der FBU. In Birmingham wurde der Feuerwehrmann Steve Godward überraschend gefeuert, angeblich weil er versucht haben soll, Ausrüstungsgegenstände in einer Feuerwache zu entwenden und zu beschädigen. Allein die Anschuldigung ist eine Beleidigung für alle FBU-Mitglieder. Feuerwehrleute haben einen sehr hohen moralischen Anspruch an sich und ihre Arbeit. Viele von ihnen machen den Job nicht nur des Geldes wegen, sondern auch weil sie etwas Positives für die Menschen und die Wohngegenden machen wollen, in denen sie leben. Feuerwehrleute sind in der englischen Gesellschaft hoch angesehen.
Dieser Anspruch verbietet es ihnen absolut, ihre Ausrüstung zu zerstören. Im Gegenteil, sie verwenden viel Aufwand darauf, ihre Arbeitsmaterialien im Streikfall sicher zu verwahren. Steve Godward befolgte die Anweisung eines Vorgesetzten, seine Gerätschaften vor Beginn des Streiks sicher wegzuschließen, sodass sie nicht gestohlen werden können. Dies wird ihm nun als Sabotageversuch vorgehalten.
Leider sind es nicht nur Kriminelle, die ein Auge auf die Geräte werfen könnten. Auch die Arbeitgeberseite denkt darüber nach, Ausrüstungen aus Feuerwachen gewaltsam entfernen zu lassen. Einerseits soll damit ein psychologischer Effekt erzielt werden. Bis jetzt benutzt die Armee, die im Streikfall die Feuerwehr ersetzt, völlig veraltetes und im Großen und Ganzen nutzloses Material.
Wenn der Armee bspw. Löschzüge in die Hände fielen, könnte damit der Eindruck erweckt werden, die Regierung habe die Lage völlig unter Kontrolle, und qualifizierte Feuerwehrleute seien eigentlich gar nicht nötig. Dass Soldaten nicht für den Gebrauch von professioneller Löschtechnik ausgebildet sind und das von ihnen eroberte Material höchstwahrscheinlich sehr schnell ruinieren würden, fällt dabei für die Regierung nicht weiter ins Gewicht.
In der FBU werden die Drohgebärden hart diskutiert. Für
die meisten Feuerwehrleute besteht kein Zweifel mehr, dass der Disput die Dimension einer reinen Lohnauseinandersetzung längst überschritten hat. Viele glauben inzwischen, dass die Regierung die FBU zerstören und den professionellen Feuerschutz in England zerschlagen will. Fast ebenso stark ist der Wille der Gewerkschaft, diese Herausforderung anzunehmen. Sollte es zu einem Verbot von Feuerwehrstreiks kommen — so die vorherrschende Meinung —, würde erst recht gestreikt werden.

Alle für einen

Sollte es so weit kommen, wäre dies ein großer Schritt für die englische Gewerkschaftsbewegung. Unter der Regierung Thatcher in den 80er Jahren wurde ein ganzes Netz von gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen gewebt, unter Blair wurde es weiter ausgebaut. Politische Streiks und Sympathiestreiks wurden verboten. Sympathiestreiks sind Streiks anderer Berufsgruppen und Gewerkschaften zur Unterstützung eines Arbeitskampfs.
Würde der Feuerwehrstreik verboten, hätten Sympathiestreiks eine große Bedeutung. Würde die FBU trotz Verbot streiken, wäre es das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass eine britische Gewerkschaft ein Antigewerkschaftsgesetz bricht. Nach den Regeln des Gesetzes würde jedes einzelne FBU-Mitglied damit einen kriminellen Akt begehen.
Aber die FBU ist eine sehr kleine Gewerkschaft mit nur etwa 50000 Mitgliedern. Allein könnte sie einen solchen Kraftakt nicht durchstehen. Sie ist auf Solidarität aus anderen Berufsgruppen angewiesen. Das bedeutet gewerkschaftliche Solidarität bis hin zum Generalstreik. Viele FBU-Mitglieder verweisen darauf, dass ein Streikverbot für eine Gewerkschaft eine Bedrohung für die gesamte Gewerkschaftsbewegung ist, die entsprechend abgewendet werden muss. ‘An injury to one is an injury to all.‘
Eine Streitfrage ist, wie der britische Dachverband TUC reagieren wird. Dessen Führungsspitze kündigte vollmundig größtmögliche Unterstützung für die Feuerwehrleute an, davon war bisher jedoch nichts zu sehen. Eher im Gegenteil. Als vor einigen Monaten klar wurde, dass es hier zu Streiks kommen würde, rief die TUC-Führung eine sog. Kontaktgruppe ins Leben. Sie sollte angeblich der Feuerwehrgewerkschaft unterstützend zur Seite stehen. Stattdessen kontaktierte die Gruppe im Wesentlichen die Seite der Arbeitgeber und begann separate Verhandlungen ohne jegliche Absprache mit der Feuerwehrgewerkschaft. Dieser wurde noch nicht mal ein Vertreter in der Kontaktgruppe zugebilligt.
Ob der TUC einen Generalstreik unterstützen oder gar zu einem solchen aufrufen wird, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Viele FBU-Mitglieder glauben nach wie vor, dass sie nicht im Stich gelassen werden. Doch Skepsis ist angesagt. Als zuletzt in den 80er Jahren während des großen Streiks der Bergarbeiter die Frage nach einem Generalstreik gestellt wurde, weigerte sich der TUC beharrlich, dazu aufzurufen. Am Ende scheiterte der Streik nach langem Kampf auch, weil die anderen Gewerkschaften keine praktische Solidarität übten.

Kehrt der Klassenkampf zurück?

Nun hat es in vielen großen britischen Gewerkschaften in den letzten Jahren einen spürbaren Linksruck gegeben. Teilweise wurden sogar Personen mit linkem oder sozialistischem Anspruch zu Gewerkschaftsvorsitzenden gewählt, bspw. bei der potenziell sehr mächtigen Eisenbahnergewerkschaft RMT. Als Rob Crow zum Vorsitzenden gewählt wurde, kam aus der rechten, bürgerlichen Ecke des Landes ein Aufschrei des Entsetzens. Die Wahl eines Linken wie Crow sei ein böses Omen, nun würde das finstere Zeitalter gewerkschaftlicher Kampfbereitschaft und Militanz wieder anbrechen.
Und tatsächlich wurde Crow gerade wegen seiner relativ linken Auffassungen gewählt. Zum Beispiel ist er gegenüber der Privatisierungspolitik sehr kritisch und vertritt die Auffassung, die britischen Eisenbahnen müssten wieder verstaatlicht werden. Auch den Streik der Feuerwehrleute unterstützt er wortstark. In der Praxis hat er allerdings relativ wenig unternommen. Als Hunderte Angestellte der Londoner U-Bahn während des Feuerwehrstreiks nicht zur Arbeit erschienen mit der Begründung, die U-Bahnen könnten ohne professionellen Feuerschutz nicht sicher betrieben werden, erklärte die Eisenbahnergewerkschaft dies nicht zu einer offiziellen Gewerkschaftsaktion.
In England haben Gewerkschaften das Recht zu streiken, wenn an einem Arbeitsplatz gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen wird. Die Eisenbahnergewerkschaft hätte der Aktion der U-Bahner Gewicht verleihen können, indem sie ihrerseits den Streik gegen unannehmbare Sicherheitsrisiken ausrief. Dies hat sie versäumt, deshalb kam es anschließend zu Repressalien gegen einige an der Aktion beteiligte Arbeiter.

Alte Führungen

Die britische Gewerkschaftsbewegung hat noch ein weiteres Problem, das sich gerade im Fall der Feuerwehrgewerkschaft offenbart. In den 90er Jahren kam es in allen Gewerkschaften zu einem Mitgliederschwund. Die Niederlagen während der Thatcher-Zeit, insbesondere die Zerschlagung der Bergarbeitergewerkschaft, raubten den meisten Aktivisten den Mut. Hinzu kamen Ereignisse wie der Fall der Mauer, die kapitalistische Umwälzung in Osteuropa und die neoliberale Offensive in der ganzen Welt mit Privatisierungsmaßnahmen und Sozialabbau.
Die britische Gewerkschaftsbewegung fühlte sich geschlagen, Kämpfe fanden für eine lange Zeit nicht mehr statt. An der Spitze der meisten Gewerkschaften standen und stehen auch heute noch gesichtslose und rechtsgerichtete Bürokraten mit einem hohen Gehalt und uneingeschränkter Regierungstreue.
In den letzten zwei Jahren hat ein langsamer Umschwung begonnen, wie die Wahl von Linken in Führungspositionen zeigt. Erstmals gibt es wieder einen Anstieg von Streiks in England, der Tiefstand ist überwunden. Jedoch gibt es gerade an der Basis vieler Gewerkschaften, insbesondere in der Feuerwehrgewerkschaft, starke organisatorische Schwächen. Die FBU besitzt derzeit keine Struktur, innerhalb derer sich Gewerkschafter austauschen können. Dabei war es gerade die Vernetzung auf örtlicher Ebene, die der Gewerkschaft früher einen großen Teil ihrer Stärke gab. Diese Strukturen waren auch immer ein Gegengewicht zu den eher konservativen Führungen der Gewerkschaften auf landesweiter Ebene.
Solche Strukturen müssen wieder aufgebaut werden. Ein erster Ansatz könnte eine Webseite sein, die von einem Aktivisten der FBU aufgebaut wurde. Sie hat sich in den letzten Monaten zu einem vielbesuchten Treffpunkt und Diskussionsort für Aktive der FBU entwickelt. Finanziert und getragen wird sie durch Spenden von der Gewerkschaftsbasis. Jedoch kann dies nur ein Anfang sein. Der Erfolg des Streiks wird davon abhängen, ob es kämpferischen Aktivisten gelingt, innerhalb der FBU Organisationsstrukturen aufzubauen.
Auch muss für Unterstützung aus anderen Gewerkschaften geworben werden. Kommt sie nicht von oben, muss sie von unten durchgesetzt werden. Die britischen Feuerwehrleute haben massive Unterstützung innerhalb der Bevölkerung. Aber nur, wenn sie genutzt wird, kann der Arbeitskampf erfolgreich sein.

Christian Bunke (London)

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