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Das Ende des "sozialistischen Lagers" hat dessen verbliebene Anhänger um ihre Geschäftsgrundlagen
gebracht teils im wörtlichen, teils im übertragenen Sinne. Dass Fidel Castro sich mit Saddam Hussein solidarisiert und eine Kooperation mit
Staaten wie dem Irak oder Libyen sucht, hat Gründe, die in offenkundigen Eigeninteressen liegen. Unter den nicht oder nicht mehr regierenden
Traditionskommunisten sorgt die Irak-Frage für Turbulenzen. Den Leserinnen und Lesern der jungen Welt dürfte das nicht entgangen sein; auch auf den
Leserbriefseiten der DKP-Wochenzeitung UZ gab es kontroverse Positionen.
Das Kardinalproblem der ehemals "moskautreuen" Kommunisten besteht darin, dass ihre
gesamte strategische Orientierung auf der Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und "realem Sozialismus" beruhte und folglich mit deren
Ende hinfällig geworden ist. Viele der traditionellen Parteien tun sich schwer mit dem Abschied von einer über Jahrzehnte verinnerlichten Denkweise,
die die Konfrontation von Staatenblöcken als Triebkraft der Weltrevolution ansah. Einige vertreten dezidiert neue geopolitische Blockkonzepte als Programm,
bis hin zu der Konsequenz, selbst Regime wie das von Saddam Hussein als "antiimperialistische" Partner anzusehen. Die meisten lehnen diese extreme
Folgerung ab, ohne aber bislang substanzielle Alternativen zum "Lagerdenken" vorweisen zu können.
Am weitesten aus dem Fenster gelehnt hat sich in der deutschen Irak-Diskussion Klaus von
Raussendorf, Herausgeber der Antiimperialistischen Korrespondenz, der die Irakische Kommunistische Partei des Verrats und der Kollaboration mit dem
Imperialismus bezichtigte. Die UZ druckte in ihrer "Tribüne" zur Diskussion über Grundlagen eines neuen DKP-Programms am
22.März 2002 in gekürzter Form einen zuvor in den Marxistischen Blättern erschienenen Beitrag nach, in dem Raussendorf unter dem Titel
"Praktische Solidarität mit den Unterdrückten leisten" dazu aufrief, "Kuba, China, Irak und überhaupt alle im Visier des
Weltimperialismus lebenden ‚Schurken- und ‚Terroristen-Staaten" in ihrem Bemühen um eine "selbstbestimmte teils
sozialistische, teils national-patriotische Entwicklung gegen die imperialistischen Erpresser" zu unterstützen.
Raussendorfs Pro-Saddam-Position ist nicht die der DKP, deren Vorsitzender Heinz Stehr deutliche Zeichen der Solidarität mit dem Kampf der irakischen
KP gegen den Krieg und gegen die Diktatur gesetzt hat. Raussendorf indes empfahl der DKP, in "für deutsche Verhältnisse modifizierter"
Form eine "Parteipraxis, wie sie von der KKE für Griechenland formuliert wurde", zu übernehmen.
Was er damit meinte, sagte er nicht. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) solidarisiert
sich mit dem Kampf der irakischen Kommunisten gegen das Saddam-Regime. Ansonsten strebt sie danach, über eine "patriotische"
Bündnispolitik, gestützt auf eine klassenübergreifende "antiimperialistische antimonopolistische demokratische Front", Griechenland
aus der EU herauszubrechen. Die Thesen des 16.Parteitags vom Dezember 2000 sehen hierfür die "Entwicklung neuer Wege von Zusammenarbeit in
Handel und Wirtschaft" vor, "bei gleichzeitigem Bruch mit den imperialistischen Blöcken und in Gegnerschaft zu ihnen, in einer Welt, die nicht nur
von der imperialistischen Herrschaft bestimmt sein wird, sondern auch von den sich verstärkenden Tendenzen der Konfrontation, der Abkopplung und der
Emanzipation".
Eine solche Strategie wäre, von Volksfront-Regierungen in "Realpolitik"
umgesetzt, allerdings auf Verbündete angewiesen, die ihre Verfechter nicht nach Kriterien ideologischer Korrektheit wählen könnten. Nicht
zufällig ist bei den sich weiterhin als kommunistisch verstehenden Nachfolgeorganisationen der ehemals regierenden Parteien Osteuropas aus ihrer
staatsmännischen Optik heraus eine eher Saddam-freundliche Haltung auf der Linie der früheren sowjetischen Außenpolitik zu beobachten. Die
Kommunistische Partei der Russischen Föderation unterhält gute Kontakte zur irakischen Baath-Partei; der KPRF-Vorsitzende Gennadi Sjuganow
vereinbarte bereits 1997 mit Saddam Hussein den Ausbau der Zusammenarbeit.
Eine enge Verzahnung von Stalinismus und Realpolitik hat auch unter Italiens Altkommunisten eine starke Tradition, die in den letzten Jahren in den
innerparteilichen Auseinandersetzungen von Rifondazione Comunista wieder zum Tragen gekommen ist. Nachdem im Frühjahr 2000 die Nationale Leitung ein
Dokument zur internationalen Politik verabschiedet hatte, in dem die Obsoletheit des "Lagerdenkens" festgestellt und die Entwicklung eines "neuen
Internationalismus" als zentrale Aufgabe bestimmt wurde, erschien in der Zeitschrift lErnesto, dem Quasizentralorgan der orthodox-realsozialistischen
Strömung, ein gegen die Orientierung der Mehrheit gerichteter Aufsatz von Fausto Sorini, der eine scharfe Entgegnung von Ramon Mantovani, damals
außenpolitischer Sprecher der Partei, nach sich zog.
Sorini gelangte in seinem Bemühen, eine "realistische" Strategie zur
Wiederherstellung einer multipolaren Weltordnung zu entwerfen, zu der Folgerung: "In diesem Rahmen nimmt die unnachgiebige Verteidigung der
Souveränität von Staaten, von nationalen Ressourcen und öffentlichen Wirtschaftssektoren objektiv den Charakter des Widerstands gegen die
imperialistische Expansion und Durchdringung an, auch wenn dieser Widerstand von Regimen ausgeht, die in erster Linie die Interessen nationaler Bourgeoisien und
politisch-militärischer Eliten repräsentieren (ich denke an Länder wie den Irak, den Iran, Algerien)." In einer Situation, in der eine
revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse nicht in Sicht ist, so argumentierte Sorini gegen die "bewegungsorientierte" Rifondazione-Mehrheit,
müsse man sich auf antiimperialistische, antiamerikanische, patriotische Kräfte stützen, die im Unterschied zu moralisierenden
Globalisierungskritikern über reale Macht verfügen. Die Grenze zwischen taktischer Allianz und ideologischer Aufwertung erweist sich als
durchlässig: Unter Berufung auf Samir Amin spricht Sorini von "positiven Nationalismen".
Weniger "realpolitisch", sondern eher "prinzipiell" begründet wird
eine Solidarisierung mit der irakischen Führung von einigen offen neostalinistischen Gruppierungen. Die [exmaoistische] Belgische Arbeiterpartei/ Partei der
Arbeit (PTB/PvdA) lehnt eine "Weder-noch"-Position in Konflikten zwischen imperialistischen und antiimperialistischen Staaten generell ab und
hält dem Baath-Regime seine Modernisierungsleistungen der 70er Jahre zugute.
Noch dreister tritt die in der britischen Socialist Labour Party einflussreiche Strömung um
Harpal Brar auf. In einem Bericht über die Weltjugendfestspiele, die im Sommer 2001 in Algier stattfanden, beschwerte sich die von Brar herausgegebene
Zeitschrift Lalkar über das Auftreten irakischer Oppositioneller, die das Ziel verfolgt hätten, die antiimperialistische Ausrichtung der Festspiele zu
unterminieren, und polterte gegen den schädlichen Einfluss "bürgerlicher Revisionisten". Attackiert wurde namentlich die DKP-nahe SDAJ,
die den Ausschluss der offiziellen irakischen Delegation forderte. Brar hält auch die Selbstmordattentäter des 11.September für Helden des
arabischen Befreiungskampfs.
Fast ist man versucht, mit Blick auf solche Positionen, in Abwandlung eines auf den Antifaschismus
gemünzten Bonmots von Amadeo Bordiga zu sagen: Das Schlimmste, was der Imperialismus hervorgebracht hat, ist der "Antiimperialismus".
Während Lenin über seine Imperialismustheorie eine Bündelung internationaler Widersprüche zu denken versuchte, um der proletarischen
Revolution zum Durchbruch zu verhelfen, hat sich in Teilen der sich auf ihn berufenden Linken eine militaristische Vorstellungswelt verselbständigt, aus der
jeder Bezug auf emanzipative Gesellschaftsalternativen verschwunden ist. Kein Wunder, dass diese Sorte von "Antiimperialismus" mittlerweile auch zur
Programmatik der NPD gehört.
Das entgegengesetzte Extrem verkörpern heute die Teile der radikalen Linken, die, etwa unter Berufung auf die "Empire"-Theorie von Negri
und Hardt, staatliche Politik überhaupt für obsolet halten. So respektabel der Zapatismus (oder auch sein urbanes Pendant in den Massenbewegungen
Argentiniens) als Modell für eine Linke ist, die an die Stelle etatistisch-vertikaler Strategien die Transformation sozialer Beziehungen an der Basis setzt, so
problematisch ist die Lücke, die eine Verabsolutierung solcher Konzepte hinterlässt. Ganz ohne Staatsmacht werden Veränderungen der
weltweiten Aneignungsverhältnisse nicht zu erzielen sein. Hugo Chávez kann in Venezuela eine Verteidigung nationaler Ressourcen, soziale Reformen
und progressive Formen partizipativer Demokratie nur durchsetzen, weil er das Militär auf seiner Seite hat.
Man muss nicht einmal Marxist sein, um die Bedeutung des sich verschärfenden Kampfes um
Ressourcen wie das Öl für das heutige Weltgeschehen zu erkennen; um so erstaunlicher mutet die Indifferenz bestimmter Strömungen der radikalen
Linken gegenüber diesem gemeinhin als "Imperialismus" bezeichneten Sachverhalt an. Das Problem für die Linke besteht allerdings darin,
dass die lange Zeit dominierenden "campistischen" Deutungsmuster, die unter systematischer Verwechslung des Willens der "Völker"
mit dem von Führungseliten, die die betroffenen Menschen nicht selbst gewählt haben, die Behauptung nationaler Souveränität gegen den
Zugriff imperialistischer Mächte per se schon als Element einer Strategie "objektiver" Emanzipation (miss)verstanden, jede
Überzeugungskraft verloren haben.
Ein neuer Internationalismus wird den Kampf gegen die imperialistischen Kriege, von denen der
gegen den Irak nicht der letzte sein wird, mit dem Kampf um neue Formen der Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums verbinden müssen. Kein
"Lager" aus oligarchischen Regimen wird das leisten können; demokratische und soziale Reformprojekte, wie sie gegenwärtig die
Regierungen Venezuelas oder Brasiliens verfolgen, werden allerdings eine von vielen Komponenten einer solchen Bewegung sein. Von ihrer Stärkung
hängt die Möglichkeit von Alternativen auch für Länder wie den Irak ab.
Offen ist allerdings die Frage, ob die traditionellen Parteien der Kommunisten in der Lage sein
werden, einer solchen Bewegung neue Impulse zu verleihen. Voraussetzung dafür wäre die Fähigkeit, jenseits etatistischen Stellvertretertums im
nichthierarchischen Zusammenwirken mit Erfahrungen und Praxisformen von Massenbewegungen neue Strategien der Transformation gesellschaftlicher
Verhältnisse zu entwickeln.
Henning Böke
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