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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 23

‘Life ist very short...

...there ist no time for fussing and fighting, my friend.‘

Leute, die schon samstags mittags TV glotzen müssen, sollten lieber die guten alten Beatles auflegen. Diese Empfehlung geht dieser Tage in Richtung eines bunten Häufleins — mit Ralph Giordano, Lea Rosh, Jakob Schulze-Rohr, Andrei Markovits, Ilka Schröder an der Spitze —, das sich nach den Demonstrationen gegen den Krieg im Irak vom 15.Februar aufgerufen fühlte, einen "offenen Brief an die Friedensbewegung" zu richten und darin "Wider die politische Naivität" zu fechten. Dieser Brief sei eine "Reaktion auf antisemitische, antiamerikanische und naive Tendenzen in der so genannten Friedensbewegung" und beileibe kein "Beitrag zur Diskussion über das Für und Wider eines groß angelegten Militärschlags". Schaun wir mal, wer hier naiv ist und ob die eine Reaktion ohne den anderen Beitrag heutzutage noch gelingen kann.
Obwohl sich die Veranstalter der Demonstration in Berlin im Vorfeld von nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Gruppierungen distanziert hätten, "waren trotzdem am Wochende neben Deutschlandfahnen und geschichtsrevisionistischen Plakaten u.a. israelfeindliche Sprechchöre zu hören". Und ganz schlimm: "Geprägt war die Demonstration jedoch vor allem durch eine gefährliche Mischung aus Antiamerikanismus und politischer Naivität", und "darüber hinaus war eine spezifisch deutsche Wendung dieses Ressentiments unübersehbar. Auf vielen Plakaten und Transparenten wurde die Politik der Amerikaner mit dem deutschen Vernichtungskrieg analogisiert und die Bombardierung Deutschlands durch die Alliierten im zweiten Weltkrieg mit einem möglichen Angriff auf den Irak in eine Reihe gestellt."
Jetzt müssen wir uns selbst korrigieren: dass die Demonstration in Berlin von deutschnationalen Transparenten und der Gleichsetzung von Bush mit Hitler "geprägt" wurde, konnte noch nicht einmal in der ideologisierten Fernsehberichterstattung ausgemacht werden. Die Damen und Herren waren samstags wohl doch nur einkaufen. Und mit Verlaub: Die Analogie der Bomben gegen Hitler mit den Bomben gegen Saddam Hussein ist ja wohl eher Grundlage der offiziellen US-Politik als die der Demonstranten. Der elementare Fehler der Demonstration sei ihr "zentraler Topos" gewesen, nämlich ein "abstrakter Wunsch nach Frieden", der den "Plänen zu einem gewaltsamen Regime-Change" gegenüber gestellt werde und keinen Platz für Widersprüche lasse.
Es ist mit den üblichen Kategorien der Fehlerdiagnose nicht mehr zu beschreiben, wie sehr der "Offene Brief" und seine Autoren neben der Wirklichkeit liegen. Sollten sie deshalb irgend ein echtes Anliegen haben, dann müssen sie sich nicht wundern, wer alles solche Torheiten für seine Zwecke missbrauchen wird.
Wenn von Kapstadt bis Helsinki, von Tokyo bis Paris und von Santiago de Chile bis Montréal Millionen von Menschen an einem Tag und zu einem — nicht abstrakten — sondern äußerst konkreten Anliegen auf die Straße gehen, dann ist dies eine grandiose historische Novität und Ausdruck eines zu viel Optimismus Anlass gebenden Internationalismus. Ausgerechnet diesem Tag "nationalistische" Beschränktheit vorzuwerfen, ist nur noch mit dem unverbrüchlichen Recht eines Jeden, auch kolossalen Unsinn zu schreiben, zu legitimieren. Und nicht zuletzt die ultimative Politik der US-Regierung, die nur noch ein Ja oder Nein zulässt, hat dazu geführt, dass hier kein "diffuser Friedenswunsch" artikuliert, sondern eine veritable Antikriegsbewegung mobilisiert wurde.
Selbstverständlich ist diese Bewegung antiamerikanisch. Aber genau in der polarisierten und auf eine konkrete US-amerikanische Politik hin zugespitzten Form, die nötig ist, um mit einer Latschdemo eine Wirksamkeit zu erzielen, die selbst den guten alten Günther Anders veranlasst hätte, seine ätzenden Bemerkungen gegen die Klampfen spielenden Friedensfreunde diesmal zu unterdrücken. Es wird jetzt Bemühungen geben, aus dieser Antikriegsbewegung wieder die übliche Friedensbewegung zu machen. Auch dafür wird der "Offene Brief" mit Kusshand aufgegriffen werden.
Und zu guter Letzt: jawohl, da waren ein paar palästinensische Fahnen, ja auch islamistisches Kampfgeschrei. Sie haben die Demonstrationen — noch nicht einmal die in Indonesien und anderen Staaten mit islamischen Bevölkerungsmehrheiten — wahrlich nicht geprägt. Aber ihre Anwesenheit war gut. Die Einbindung dieser Anhänger religiösen Aberglaubens in eine reale politische und weltweite Bewegung ist Teil genau der politischen und zivilen Aufhebung deren gefährlicher Widersprüchlichkeit, oder wenn man so will, ihrer "Befriedung", die der Kriegspolitik der nicht minder religiös fanatischen US- Regierung gerade nicht gelingen wird.

Thies Gleiss

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