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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 3

GATS und die Folgen

Wer Bildung zur Ware macht, zerstört sie

Das GATS-Abkommen verändert die europäische Bildungslandschaft. An die Stelle von Demokratie rückt Wettbewerb, statt guter Bildung für alle wird es bald heißen: für alle, die es sich leisten können. Doch wo ist zwischen dem Wust an Bildungsreformen der Nutzen für den Menschen, dem die Politik verpflichtet ist? Geht es nicht in Wirklichkeit nur darum, "die Chance auf ein großes Geschäft zu haben", wie EU-Handelskommissar Pascal Lamy die GATS-Verhandlungen beschrieb, für die "wir in den sauren Apfel beißen müssen"?
Tod der Bildung: Als Ware hat Bildung nichts mehr mit Selbstbestimmung zu tun, nichts mit Urteilskraft, schon gar nichts mehr mit der Fähigkeit, verantwortlich zu werten und zu handeln. Sie wird zum Gegenteil dessen, was ihre Würde ausmacht.
Derzeit befinden wir uns an einem Punkt, an dem immer wieder von dringend anstehenden Veränderungen im Bildungsbereich die Rede ist, auch Politiker nutzen dieses wichtige Thema zu Wahlkampfzwecken, oft ohne jegliche Qualifikation. Jeder weiß, wovon er spricht, schließlich sind wir alle mal zur Schule gegangen, und wer braucht schon Bildungsexperten?
Selbstständige Schule, Studiengebühren, Schulsponsoring — nur wenige Beispiele, die für den allgemeinen Trend stehen, unser öffentliches Bildungssystem vermeintlich zukunftsfähig zu gestalten. Diese Zukunftsfähigkeit bedeutet bei näherem Hinsehen allerdings nur eine Abhängigkeit der Lehranstalten von wirtschaftlich orientierten Unternehmen, denn alle diese Modernisierungsvorschläge laufen darauf hinaus, dass die vormals von staatlicher Seite finanzierte Bildung zu einer von Konzernen geförderten und somit auch kontrollierten Ausbildung wird. Dass unter solchen Vorzeichen wohl nicht mehr lange von unabhängiger Lehre und Forschung gesprochen werden kann, liegt auf der Hand.
Der Hang zur Kapitalisierung von Bildung ist nichts Neues; besonders in Ländern wie den USA, in denen die öffentlichen Bildungseinrichtungen seit etlichen Jahren systematisch kaputtgespart werden, viele Familien enorme Summen für eine angesehenere private (Hoch-)Schulbildung ihrer Kinder ausgeben müssen, bleibt vielen öffentlichen Schulen in ihrer finanziellen Not nichts anderes übrig, als Sponsoringverträge mit Konzernen abzuschließen. Welche obskuren Auswüchse das annehmen kann, zeigt ein Beispiel aus den USA, das für uns, die wir ein primär öffentliches und weitgehend unabhängiges Schulsystem gewohnt sind, besonders abwegig klingen muss.
Mehr als 12000 US-amerikanische Schulen erhofften sich einen Weg aus ihrer chronischen Finanzkrise, indem sie Kooperationsverträge mit dem Privatsender Channel One abschlossen, der ihnen die multimediale Ausstattung der Schulen sicherte. Als Gegenleistung sind die Schulen verpflichtet, den Schülern täglich einen zwölfminütigen TV-Beitrag zu zeigen, der auch zwei Minuten Werbung enthält. Diese Sendung ist Unterrichtszeit, d.h. dass unentschuldigtes Fehlen genauso geahndet wird, als handle es sich um regulären Unterricht. Laut Vertrag dürfen die Schüler noch nicht einmal ohne Erlaubnis zur Toilette gehen.

Krake Bertelsmann

Durch Pilotprojekte wie die "Selbstständige Schule" in NRW oder "Modus 21" in Bayern wird diese Entwicklung auch hierzulande forciert. Wobei die Bayern diesmal die Ehrlichen sind, da sie auch ganz offiziell ihrem Projekt den Untertitel "Modell Unternehmen Schule im 21.Jahrhundert" geben. Bei der "Selbstständigen Schule", die von Experten auch als "Schule à la Bertelsmann" betitelt wird, sieht dies anders aus. In einem umfangreichen, aber oberflächlichen Hochglanzwerbeprospekt pries das Bildungsministerium NRW gemeinsam mit einem angeblich uneigennützigen Partner, der Bertelsmann-Stiftung, die Vorteile größerer Autonomie an, doch ließen sich nur 238 der 7280 allgemeinbildenden Schulen für dieses fragwürdige Projekt gewinnen. Ein großer Erfolg — so die Bertelsmann-Stiftung und die frühere Ministerin Behler; geplant waren jedoch 400 Schulen, und auch die 238 konnten nur mit großer Überredungskunst und zusätzlichen Vergütungen gewonnen werden.
Dass Bertelsmann die Finger nach der deutschen Bildung ausstreckt, wird spätestens seit Gründung des gemeinnützigen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) deutlich. Diese 1994 von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Bertelsmann-Stiftung gegründete, laut Eigenwerbung weisungsfreie, zwar von einem Privatkonzern finanzierte, jedoch ideologisch von diesem völlig unabhängige Organisation arbeitet an "Modellen zur Modernisierung der deutschen Hochschulen". Profilbildung und Wirtschaftlichkeit der Hochschulen, Einführung von allgemeinen Studiengebühren sowie der Wettbewerb unter den Hochschulen — das sind die Arbeitsfelder des CHE, um dem großen Bruder Bertelsmannkonzern die besten Einstiegschancen in den Bildungsmarkt zu bieten.
Laut GATS-Verhandlungen steht der weltweite Einstieg in das durchkapitalisierte Bildungssystem kurz bevor; er verspricht Großkonzernen ein grandioses Geschäft. Bildungsdienstleister aus aller Welt drängen auf den noch kaum erschlossenen europäischen Markt, und GATS lädt sie alle ein teilzuhaben. Denn ein gutes öffentliches Bildungssystem wird nach Abschluss des GATS-Abkommens gar nicht mehr finanzierbar sein, gebietet es den Regierungen doch eine Gleichbehandlung aller Mitbewerber, was heißt, dass staatliche Subventionen zu gleichen Teilen an staatliche und private Bildungseinrichtungen gegeben werden müssen. Allerdings wird der Bildungsetat, der seit Jahren regelmäßig gekürzt wird, nicht größer, nur weil plötzlich mehr Schulen aus diesem Topf finanziert werden müssen.
Zusätzlich zu dieser Finanzspritze aus Steuergeldern haben Privat(hoch-)schulen natürlich auch die Möglichkeit, ihr Budget durch Erhebung von Schulgeld oder Studiengebühren und mit Hilfe finanzstarker Partner aufzustocken. Dieses Sponsoring hat seinen Preis. So wäre es möglich, dass in der McDonald‘s-Universität anstelle der Mensa ein schickes Fast-Food-Restaurant eingerichtet wird, und bei einer von einem Stromanbieter geförderten Schule können die Risiken der Atomkraft ganz sang und klanglos vom Unterrichtsplan verschwinden, weil eine staatliche Regulierung der Lehrinhalte laut GATS einen wettbewerbswidrigen Eingriffe in die Marktwirtschaft darstellt.

Adieu, freie Studentenschaft

Auch der Trend zum Abbau der demokratischen Strukturen wird sich fortsetzen. Bereits vor einigen Jahren wurden den Hochschulsenaten viele Kompetenzen entzogen, wurden den Rektoren und Dekanen übertragen, womit sich die demokratischen Universitätsstrukturen schrittweise hierarchischen Strukturen, ähnlich denen in der freien Wirtschaft, nähern. Dasselbe Schicksal droht nun auch den ASten, so zumindest die Vorhaben der CDU Hessen. Diese plant gemeinsam mit dem konservativen Studierendenverband RCDS und zur großen Freude der FDP, die sich schon seit Jahren mit den Vertretungen der Studierenden anlegt und ihre Auflösung fordert, die Ersetzung der ASten durch einen studentischen Senatsunterausschuss. Derzeit ist die Studierendenschaft eine Körperschaft des öffentlichen Rechts; bei einer Umstrukturierung wäre es jedoch ungewiss, welche Kompetenzen die Studierenden noch erhalten würden. Von diesen Umstrukturierungen sind auch die Fachschaften als Teil der Körperschaft betroffen, was ihre Abschaffung bedeuten könnte.
Kampflos hingenommen wird diese Entwicklung aber immer seltener. Obwohl in Deutschland wegen der Ignoranz vieler Medien und, wie man meinen könnte, bewusstem Verschweigen der Vertragsverhandlungen die Informationen über GATS eher dürftig sind, wird das Abkommen jetzt endlich von Gewerkschaften, ASten, Attac und anderen NGOs zum öffentlichen Thema gemacht. Anders im europäischen Ausland, wo es bereits massive Proteste gibt. Auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz einigte man sich auf den 13.März 2003 als europaweiten Aktionstag gegen GATS. Auch auf dem European Education Forum vom 18. bis 20.9.03 in Berlin wird GATS eines der Schwerpunktthemen sein, dort werden auch größere Proteste erwartet, weil zeitgleich und ortsnah die Europäische Bildungsministerkonferenz tagt.

Claudia Wrobel (LASS-NRW der GEW)

Björn Kietzmann (AStA BUGH Wuppertal)

Weitere Informationen unter www.asta.uni-wuppertal.de/gats



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