SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 5

Streiks

gegen den Krieg

Der Europäische Gewerkschaftsbund hatte dazu aufgerufen, am Freitag, dem 14.März, "zehn Minuten vor zwölf mit Aktionen in den Betrieben und Verwaltungen ein Zeichen für den Frieden zu setzen". Jeder "Spielraum, um den Irak friedlich zu entwaffnen" müsse genutzt, in der Weltpolitik "das internationale Recht gestärkt" werden. Es dürfe "nicht das Recht des Stärkeren gelten".
Vordergründig sah dies aus wie die 5 Mahnminuten für den Frieden, die der DGB 1982 gegen die drohende Stationierung der Mittelstreckenraketen verkündet hatte: nach einer sehr verhaltenen Aktion mit gebremstem Schaum, um die Gewerkschaften nicht zu sehr in politische Fragen zu involvieren.
Gemessen an damals ist diesmal bei geringem Mobilisierungsvorlauf eine auch in Deutschland beachtliche Mobilisierung zustande gekommen. Dazu weiter unten eine Übersicht. Weit stärker als damals verbindet sich aber heute in den Betrieben die Gegnerschaft gegen den Krieg mit der Angst vor einer Rezession und Protesten gegen Rentenklau, Massenentlassungen, Lohnabbau, Tarifflucht, Zerstörung des Sozialstaats und alle Übel des Manchesterkapitalismus. Die Streiks haben damit eine zusätzliche Dimension bekommen und tragen nicht so sehr den Charakter einer Eintagsfliege wie vor 20 Jahren.
In Italien, Spanien und Großbritannien, aber auch in Belgien wurden die Streiks massiv befolgt und die Gewerkschaften beteiligten sich dort auch an den Demonstrationen, die einen Tag später wieder in zahlreichen Ländern vor allem des Nordens stattfanden.

Deutschland

In Deutschland folgten über 100000 Beschäftigte dem Aufruf des DGB. Die Übersicht hat Ver.di zusammengestellt.

München. Rund 80 Beschäftigte legten am frühen Morgen im Briefzentrum der Deutschen Post am Münchner Flughafen kurzzeitig die Arbeit nieder. Die Freisinger Postler warteten ebenfalls nicht bis Mittag. Vor rund 80 Teilnehmern sprachen bereits um 6 Uhr morgens der Vorsitzende der Ver.di-Betriebsgruppe Freising, Andreas Faltermaier, und der Vorsitzende von Ver.di München, Heiner Birner.
Bei DaimlerChrysler, Audi und Volkswagen standen vorübergehend die Bänder still. In Halle in Sachsen-Anhalt ruhte für 5 Minuten der Straßenbahnverkehr.
In Bochum haben sich nach Angaben des IG-Metall-Bezirks 22000, in Köln 15000, in Düsseldorf 10000 Menschen beteiligt. In Münster startete am Abend eine Demonstration "Inspektoren statt Invasoren".
In Köln versammelten sich Bauarbeiter von Strabag zu einer Protestkundgebung. Die Stimmung ist verhalten: "Ich bezweifle, dass es hilft, was wir hier tun, aber wir können wenigstens protestieren." Die Demonstrationen auf dem Bau hatten nach Rücksprache mit den Bauleitungen die Betriebsräte organisiert, massiv unterstzützt von der IG BAU Köln/Bonn. Auch in den Betrieben der Metallindustrie und in städtischen Kliniken wurde mittags eine Pause eingelegt.
Dem Aufruf der GEW folgten die Schulen im Südwesten. "Wir wollen die an den Schulen spürbare Sorge und Unsicherheit bei Schülerinnen und Schülern aufgreifen und zum Thema machen", sagte der baden-württembergische GEW-Landeschef Rainer Dahlem.
Im Opel-Werk Kaiserslautern folgten nach Angaben des Betriebsrats bis zu 95% der Frühschicht dem Aufruf. Dies seien knapp 2000 Beschäftigte gewesen. In Bayern kam es bereits am frühen Morgen zu ersten Aktionen.
In Thüringen, im Saarland, in Bremen und in Hamburg fiel die Beteiligung an den gewerkschaftlichen Aktionen geringer aus als erwartet. Als Grund nannten Gewerkschaftssprecher unter anderem, die Betriebe seien zu spät benachrichtigt worden.
In Bremen verbanden viele Beschäftigte die Mahnminuten mit ihrer regulären Mittagspause.
"Wir brauchen Arbeit, keinen Krieg!" Mit Transparenten und grimmigen Gesichtern standen knapp 200 Beschäftigte von DaimlerChrysler am Freitag vor den Toren des Achsenwerks in Kassel. "Wir haben als deutsch-amerikanischer Konzern die Verpflichtung, uns zu Wort zu melden und nicht zu schweigen", erklärte Betriebsratsmitglied Dieter Seidel in seiner Rede. "Die Mehrheit der Bevölkerung in den europäischen Ländern spricht sich gegen einen Krieg aus."
Auch die Belegschaft des DGB-Bundesvorstands in der Zentrale in Berlin unterbrach ihre Arbeit. Michael Sommer zeigte sich stolz, dass der Anstoß für den europäischen Aktionstag vom DGB ausgegangen sei.

Die Arbeitsniederlegungen stießen bei den Unternehmern vielfach auf Widerstand. So soll der Unternehmerverband Südwestmetall mit einem Schreiben an seine Mitglieder versucht haben, die Aktion zu unterbinden. Auch in Thüringen lag nach Gewerkschaftsangaben ein Schreiben des Unternehmerverbands vor, wonach Unternehmer politische Demonstrationen im Betrieb nicht dulden würden. Die Unternehmerverbände in Niedersachsen kritisierten die Aktionen als rechtswidrig. "In Einzelfällen" haben Unternehmer Lohnkürzungen für verlorene Arbeitszeit angekündigt.

International

In Italien wurde der Streik von allen drei großen Dachorganisationen befolgt. Im Piemont haben italienische und französische Eisenbahner an den Grenzen gemeinsame Kundgebungen durchgeführt. Besonders befolgt wurde der Streik auch in Sizilien, in den Werken der Petrochemie und Mikroelektronik, bei den Werften und an den Schulen.
In Belgien haben die Gewerkschaften massiv mobilisiert — in so gut wie allen Wirtschaftsbereichen, in den Medien und in den Schulen.
In Frankreich hatte der Aufruf des EGB wenig Echo. Aber für den Tag X haben sich die Kriegsgegner ein Rendezvous auf der Place de la Concorde versprochen — in unmittelbarer Nähe zur US-amerikanischen Botschaft. Dazu ruft auch die Gewerkschaft CGT auf. Der Platz fasst eine Million Menschen.

Books — not Bombs

Bereits am 5.März traten in Australien 30000 Studierende in einen Streik unter der Losung "Bücher statt Bomben". Der Streik wurde unterstützt von der Gewerkschaft für Bau, Forsten, Bergbau und Energie des Bundesstaats Victoria und einer kleineren Nahrungsmittelgewerkschaft. Die Organisatoren beschrieben ihn als "Beginn einer internationalen Jugendbewegung". Die Studierenden bereiten für den 26.März einen weiteren Streik vor.
Einige Industriegewerkschaften planen am Tag des Beginns der Bombardierungen Protestaktionen am Arbeitsplatz bis hin zu Arbeitsniederlegungen; doch die Mehrzahl der Gewerkschaftsvorstände hält sich bedeckt.
Unter der Losung "Bücher statt Bomben" hat auch in den USA die nationale Friedenskoalition der Jugend und Studenten für den 5.März zu einem eintägigen Proteststreik aufgerufen. Dutzende von Universitäten schlossen sich dem Aufruf an.

Das Land stilllegen

Der Leiter der Abteilung für internationale und europäische Gewerkschaftspolitik beim DGB, Wolfgang Lutterbach, erklärte gegenüber der jungen Welt, bei Beginn des Krieges sei mit weiteren erheblichen Protesten seitens der Gewerkschaften zu rechnen. Der EGB plant anlässlich seines Aktionstags am 21.März in Brüssel einen neuen europaweiten Aktionstag. Der 21.März, Tag an dem die EU- Ratsherren wieder zusammentreten, war vom EGB ursprünglich als Tag der Mobilisierung für die Verteidigung der Rechte der Beschäftigten und für eine europäische Industriepolitik vorgesehen. Nun hat sich die Thematik um den Krieg erweitert.
In Italien und Griechenland sind für den Tag Generalstreiks geplant. Auf der Antikriegsdemonstration in Mailand am 15. März erklärte der Generalsekretär der CGIL, Guglielmo Epifani, die Regierung Berlusconi, die zweimal geirrt hätte, indem sie zunächst die europäische Antikriegsfront durch Parteinahme für den Aggressor zerstört hätte, und dann weder Ja noch Nein sagte, um sowohl die Kriegsbefürworter wie die Kriegsgegner zu bedienen, solle wissen, dass "nach den ersten Bomben das Land stillsteht, dass die Arbeiter einhellig im Generalstreik ihre klare Gegnerschaft zum Krieg ausdrücken werden". Die Regierung habe nur einen Weg zu befolgen: uneingeschränkt Italiens Ablehnung des Krieges zu bekunden.
Der Generalstreik ist gut vorbereitet. Seit Monaten arbeiten CGIL, Cobas-Gewerkschaften, Rifondazione Comunista, die PCdI und soziale Bewegungen an seiner Planung. Im Februar hatten Eisenbahner erfolgreich US-Militärtransporte blockiert.

Angela Klein

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04