SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 11

Warum die PDS nicht (mehr) Tacheles redet

Kolumne: Winfried Wolf

Auf dem Frauenplenum des 8.Parteitags der PDS, das am 15.März 2003 in Berlin durchgeführt wurde, bezeichnete die Liedermacherin Barbara Thalheim die Regierungsbeteiligungen der PDS als "Damoklesschwert". Die PDS könne aufgrund dieser Einbindungen "nicht mehr sagen, was zu sagen ist" und nicht mehr "Tacheles reden". Das sei auch am Programmentwurf erkennbar.
Barbara Thalheim verwies darauf, dass sich zahlreiche linke Künstler von der PDS abwendeten — unter anderem, weil diese "keine Visionen" mehr bieten würde (Neues Deutschland, 17.3.03).
Damit wurde auf den Punkt gebracht, was erstens zur PDS, zweitens zu den PDS- Regierungsbeteiligungen und drittens zur PDS-Programmdebatte zu sagen ist.
Nehmen wir als erstes Beispiel die Blut-Schweiß-Tränen-Rede von Kanzler Schröder vom 14.März 2003. Es handelte sich um eine Kriegserklärung an diejenigen, die bereits wenig haben: Erwerbslose, Rentner, Sozialhilfeempfänger. Schröder kündigte eine Beschleunigung der Umverteilung von unten nach oben an: die fortgesetzte Begünstigung der Vermögenden, der Konzerne und Banken. Just dieses Konzept hat die Krise bisher verschärft und die Arbeitslosigkeit erhöht.
Eine überzeugende PDS müsste nun erklären, dass Schröders Politik viel zu tun hat mit der Macht von Konzernen und Banken und dem Prinzip der Profitmaximierung, das im Kapitalismus vorherrscht. Sie müsste deutlich machen, dass nur die Entwicklung von Gegenmacht — der Beschäftigten, Erwerbslosen, Gewerkschaften, Initiativen, Verbänden usw. — eine Antwort bietet. Sie hätte zu verdeutlichen, dass den Vermögenden und großen Konzernen allein mit der Steuerreform von 2001 mehr als 30 Milliarden Euro zusätzlich "geschenkt" werden — und zwar jährlich, dass also Geld für eine alternative Politik da ist.
Die PDS sagt all dies nicht oder nicht offensiv. Im Programmentwurf erklärt sie sogar, dass "Unternehmertum und Gewinninteresse wichtige Bedingungen von Innovation und betriebswirtschaftlicher Effizienz" seien.
In der Magdeburger Volksstimme behauptete Gregor Gysi im Duktus der FDP, die Gewerkschaften würden "Erbhöfe verteidigen" und outete sich als Fan von Ludwig Erhard, der "dem gesamtwirtschaftlichen Denken verpflichtet" gewesen sei (12.2.03). Zur Erinnerung: Das war jener westdeutsche Kanzler, der die BRD in die erste schwere Krise 1966/67 torkeln ließ und deshalb abtreten musste.
Warum redet die PDS statt Tacheles Stuss? Weil sie sich in ein Boot gesetzt hat, das in die falsche Richtung treibt - weg von den Interessen der kleinen Leute. Weil sie im Bundesrat eben jener Steuerreform 2001 zugestimmt hat. Weil sie bereit ist, die Axt an historische Errungenschaften wie Lernmittelfreiheit und Flächentarifvertrag zu legen.
Seit Jahrzehnten steigt in den kapitalistischen Ländern die Erwerbslosigkeit, verschärfen sich die Krisen. Es wächst die Zahl — vor allem junger — Menschen, die sagen: "Eine andere Welt ist möglich!"
Was müsste eine PDS mit klarem sozialistischen Profil hier sagen? Sie müsste verdeutlichen, dass die kapitalistische Weltwirtschaft nicht in der Lage ist, eine Antwort auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu geben. Sie müsste erklären, dass es gerade die Bewegungsgesetze des Kapitalismus sind, die auf Krisen, auf Kriege und umfassende Zerstörung zutreiben und die ein menschenwürdiges Leben für spätere Generationen zunehmend in Frage stellen. Sie müsste verdeutlichen, dass wir uns auf der einen Seite für jeden einzelnen Schritt der Gegenwehr und für Reformen engagieren, dass wir jedoch gleichzeitig an dem Ziel einer demokratischen, sozialistischen Gesellschaft als Alternative zum Kapitalismus festhalten. Sie müsste eine solche Vision vor dem Hintergrund einer solidarischen und kritischen Bilanz der DDR konkretisieren.
Die PDS präsentiert solche Visionen nicht mehr oder nur noch in vager, nicht überzeugender Form. Im Programmentwurf findet sich nirgendwo die Vorstellung eines Sozialismus als Ziel einer Gesellschaft, die alternativ zur bestehenden kapitalistischen ist. Der Begriff "Sozialismus" wird dort reduziert auf allgemeines soziales Handeln, auf abstrakte Werte, auf vage Sonntagsreden.
Warum präsentiert die PDS gerade mit dem Programmentwurf keine Visionen? Offensichtlich versteht sie den vielfach strapazierten Begriff des "Ankommens in der Gesellschaft" im Sinne von "Verwalten der kapitalistischen Misere". So sieht jedenfalls die praktische Politik der PDS-Regierungsbeteiligungen aus.
Dafür wird die PDS gnadenlos abgestraft. Bei, wie Barbara Thalheim unterstrich, den "linken Künstlern", aber auch im gesamten Wahlvolk. Nur noch 11% PDS-Stimmenanteil in Berlin, nur noch 14% PDS-Stimmenanteile in Mecklenburg-Vorpommern — so die neuesten Umfrageergebnisse (laut emnid, März 2003). Verluste von mehr als einem Drittel der Stimmenanteile — trotz einer umfassenden Krise der SPD.
Diejenigen, die für diese Politik des Ausverkaufs von PDS-Zielen und der Aufgabe von PDS- Positionen verantwortlich sind, haben nicht nur keine Visionen. Es handelt sich um politische Abenteurer und Bankrotteure.

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