SoZ Sozialistische Zeitung |
Nach den weltweiten Antikriegsdemonstrationen Mitte Februar hat sich Lea Rosh, die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals in
Berlin, mit einem Offenen Brief in der Frankfurter Rundschau an die Friedensbewegung gewandt, um ihr zu sagen, ein Krieg gegen den Irak sei derzeit die
größte Friedenstat. Soweit mochten die Vertreter von Banken und Konzernen, die eine Woche später in der FAZ die Bundesregierung
beschworen, das Bündnis mit den USA nicht aufs Spiel zu setzen, nicht gehen. Doch teilen beide Initiativen entscheidende Prämissen über die
Grundlagen der deutschen Nachkriegsordnung, obwohl sie sich zum Teil durchaus als politische Kontrahenten verstehen. Diese Prämissen bilden eine der
vielen Lebenslügen der Alt-BRD; sie lasten wie ein Alp auf den emanzipatorischen und antikapitalistischen Bewegungen in Deutschland und
müssen überwunden werden, wenn eine gesellschaftliche Alternative denkbar werden soll.
Die gemeinsamen Prämissen sind:
1. Die Amerikaner haben uns von den Nazis befreit. Ohne sie wäre ein Abschütteln der Nazi-Diktatur nicht
möglich gewesen.
2. Der Fehler der West-Alliierten war nicht, dass sie Hitler den Krieg erklärt haben, sondern dass sie es nicht schon
1938 nach dem Überfall auf die Tschechoslowakei getan haben.
3. Imperiale Kriege sind gerechtfertigt, wenn sie für die Demokratie geführt werden.
Mit den Worten Heiner Geißlers: "Der Pazifismus hat Auschwitz erst
möglich gemacht."
Die Legende
Das hinter diesen Prämissen stehende Geschichtsbild entspricht weitgehend der
Legende, die das deutsche Bürgertum nach dem Krieg aufgebaut hat, um sich einerseits vom Schandmal ihrer Unterstützung der Nazi-Herrschaft zu
befreien, andererseits die Fortexistenz ihrer Klassenherrschaft in Deutschland zu rechtfertigen.
Jahrzehntelang sträubte sich die bürgerliche Klasse in Deutschland nach dem
Krieg, den Nationalsozialismus überhaupt als ein Verbrechen gegen die Menschheit anzuerkennen, bzw. wo das unumgänglich wurde,
anzuerkennen, dass Hitler kein Betriebsunfall war, sondern dass sie für seinen Aufstieg verantwortlich war.
Mittlerweile ist die Generation der Täter (und Leugner) weitgehend weggestorben und
die Wunde der Niederlage von 45 durch die Wiederaneignung der DDR geschlossen worden. Heute fällt es ihr nicht mehr so schwer zuzugeben,
dass der Nationalsozialismus eine der verbrecherischsten Diktaturen der Geschichte war, und sie hat verstanden, dass dieses Eingeständnis der Preis
dafür ist, jemals wieder eine Vormachtrolle in der Welt spielen zu können.
Wenn die Nazis aber eine Verbrecherbande und die deutsche Großindustrie ihre
Finanziers waren, dann war der Krieg dagegen gerecht. Wirklich? Werden jetzt Wehrmachtdeserteure rehabilitiert? Sieht man, dass kommunistischen
Widerstandskämpfern, die in Deutschland die Hauptlast des Widerstands getragen haben, Denkmäler errichtet werden? Das Gegenteil ist der Fall:
Ihre Taten werden weiterhin verschwiegen, und die Wehrmachtausstellung polarisiert immer noch eine öffentliche Meinung, die über die Nazis von
heute hinausgeht.
Nein, von einer Anerkennung der Leistungen der deutschen Arbeiterbewegung im Kampf
gegen den Nationalsozialismus ist das deutsche Bürgertum weit entfernt. Nicht jeder Krieg war gerecht. Derjenige, den die Rote Armee geführt hat,
wird z.B. unter den Teppich gekehrt oder es wird ihm die Legitimität eines gerechten Krieges dadurch abgesprochen, dass russische Soldaten als
Vergewaltiger und Stalin als ein roter Hitler dargestellt werden.
Nur den Amerikanern gebührt das Etikett des gerechten Krieges das ist der, der
für die bürgerlichen Demokratie, für Freiheit und Marktwirtschaft, geführt wird. Warum? Weil die GIs das am Boden zerstörte
und durch seine Kollaboration mit den Nazis zutiefst diskreditierte deutsche Bürgertum wieder aufgepäppelt und in den Stand versetzt haben, nicht
einmal fünf Jahre nach Kriegsende erneut fest im Sattel zu sitzen und einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg ohne Beispiel zu erfahren. Nur mit Hilfe
amerikanischer Soldaten hat der deutsche Kapitalismus überleben können. All jene Antifaschisten, die nicht mehr sind als Antifaschisten, befinden
sich deshalb auf dem Holzweg, wenn sie zwischen dem sog. Dritten Reich und den Zielen der Westalliierten im Zweiten Weltkrieg einen scharfen Gegensatz
aufbauen.
1. Die Amerikaner haben uns nicht von den Nazis befreit.
Die USA haben in der Phase der ersten Eroberungszüge Hitlers die "Befriedungspolitik" Frankreichs und Englands
unterstützt. Sie teilten mit letzteren die Ansicht, dass die Sowjetunion ein größerer Feind war als die Nazis. Herbert Hoover, Vorgänger
Roosevelts im Amt, ermunterte Hitler, seine Macht zu nutzen, um die Sowjetunion zu zerschmettern. Hitler galt unter westlichen Staatsmännern und
Wirtschaftsführern als der Drachentöter des Antikommunismus. Das nicht eine "zu große Nachgiebigkeit gegenüber
einem Diktator" war der Grund dafür, dass Hitler ungestraft die Tschechoslowakei überfallen durfte. Erst mit dem Überfall auf
Polen der dazu noch mit einem Nichtangriffspakt mit Stalin verbunden war dämmerte ihnen, dass Hitlers Krieg sich auch gegen sie richten
würde.
Das Land, das Hitlers Kriegsmaschine zum Stehen brachte, war die Sowjetunion. Sie hat die Last des Krieges weitgehend allein getragen, und zwar.
Bis tief in den Herbst 1941 bat sie die USA vergeblich um Waffenlieferungen. Als Deutschland der Sowjetunion den Krieg erklärte, hoffte die US-
Administration noch darauf, die beiden "Titanen" würden sich gegenseitig ausbluten. Erst als klar wurde, dass Hitler im Osten gescheitert war,
erklärten sich die USA zu Waffenlieferungen bereit; sie griffen erst 1942, als die Rote Armee längst zur Gegenoffensive übergegangen war.
Alle leichten und schweren Waffen, die der Roten Armee den Sieg über die Wehrmacht ermöglichte, hat die Sowjetunion selbst hergestellt.
Auf die Eröffnung einer zweiten Front in Westeuropa wartete die UdSSR bis 1944. Die USA traten erst in letzter Minute auf den Plan,
als es nicht mehr hauptsächlich darum ging, militärische Opfer zu bringen, sondern die Früchte des angeblich gemeinsamen Sieges
einzufahren.
2. Die US-Intervention hat die europäische Arbeiterbewegung an der fälligen Abrechnung mit den Kapitalisten
gehindert, die überall in Europa mit den Nazis kollaboriert haben.
Die Bombardierung von Dresden am 13. und 14.Februar 1945 richtete sich ebenso wie die Atombombe über Hiroshima schon nicht mehr
gegen die Nazis, sondern gegen die Sowjetunion: Ihr sollte gezeigt werden, dass sie aus ihrem Sieg über die Wehrmacht keine zu hohen Forderungen
für eine Nachkriegsordnung ableiten durfte.
Die Bombardierung Dresdens war wie jeder Bombenkrieg ein Verbrechen
gegen die Menschheit. Über 100000 Menschen, Zivilbevölkerung, kamen ums Leben. Neben dem Fingerzeig in Richtung Moskau war die
Demoralisierung der deutschen Bevölkerung ihr wichtigstes Ergebnis.
Der Versuch, die diskreditierten Nazi-Eliten durch Opfer und Widerstandskämpfer zu ersetzen, versandete schon wenige Monate nach
Kriegsende. Unzählig sind die Zeugnisse von rückkehrenden Emigranten, die sich im Glauben an die "demokratische Mission" der US-
Soldaten begeistert an einen Neuaufbau auf antifaschistischer Grundlage machten und schließlich erleben mussten, wie die alten Verantwortlichen
nach nur geringfügigen Strafen wieder in Amt und Würden gebracht wurden. Die Eliten der deutschen Geschäftswelt, die Hitler
unterstützt hatten, haben nach dem Krieg von den USA eine De-facto-Amnestie erhalten.
Vor allem haben die USA systematisch jeden Versuch sabotiert, Antifaschisten zu einer personellen Führungsalternative aufzubauen. Die
Militäradministration arbeitete nur sehr widerwillig mit ihnen zusammen, verweigerten Betriebsräten jede Mitsprache im Betrieb. Überall
wurden autoritären Strukturen wiederhergestellt und demokratische Reformen vereitelt, Vorstellungen zur wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung auf
antifaschistischer Grundlage bekämpft.
Einen "gerechten Krieg" haben die USA seit 1865, dem Ende des amerikanischen
Bürgerkriegs, nicht mehr geführt. Dafür, dass sie Hitlers Geldgeber wieder zur Macht verholfen haben, schulden wir ihnen keinen Dank (die
Konzern- und Bankenchefs schon, das sehen wir ein). Den zielstrebigsten Krieg haben sie damals wie heute gegen jeden Versuch einer
demokratischen Opposition geführt, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Anders als zur Zeit des Kalten Krieges haben wir heute die Chance,
dagegen weltweit eine Alternative von unten aufzubauen.
Angela Klein
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04