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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 18

Der gerechte Krieg — oder:

Warum die deutsche Arbeiterbewegung den Amerikanern keinen Dank schuldet

Nach den weltweiten Antikriegsdemonstrationen Mitte Februar hat sich Lea Rosh, die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals in Berlin, mit einem Offenen Brief in der Frankfurter Rundschau an die Friedensbewegung gewandt, um ihr zu sagen, ein Krieg gegen den Irak sei derzeit die größte Friedenstat. Soweit mochten die Vertreter von Banken und Konzernen, die eine Woche später in der FAZ die Bundesregierung beschworen, das Bündnis mit den USA nicht aufs Spiel zu setzen, nicht gehen. Doch teilen beide Initiativen entscheidende Prämissen über die Grundlagen der deutschen Nachkriegsordnung, obwohl sie sich zum Teil durchaus als politische Kontrahenten verstehen. Diese Prämissen bilden eine der vielen Lebenslügen der Alt-BRD; sie lasten wie ein Alp auf den emanzipatorischen und antikapitalistischen Bewegungen in Deutschland und müssen überwunden werden, wenn eine gesellschaftliche Alternative denkbar werden soll.
Die gemeinsamen Prämissen sind:

1. Die Amerikaner haben uns von den Nazis befreit. Ohne sie wäre ein Abschütteln der Nazi-Diktatur nicht möglich gewesen.

2. Der Fehler der West-Alliierten war nicht, dass sie Hitler den Krieg erklärt haben, sondern dass sie es nicht schon 1938 nach dem Überfall auf die Tschechoslowakei getan haben.

3. Imperiale Kriege sind gerechtfertigt, wenn sie für die Demokratie geführt werden.
Mit den Worten Heiner Geißlers: "Der Pazifismus hat Auschwitz erst möglich gemacht."

Die Legende


Das hinter diesen Prämissen stehende Geschichtsbild entspricht weitgehend der Legende, die das deutsche Bürgertum nach dem Krieg aufgebaut hat, um sich einerseits vom Schandmal ihrer Unterstützung der Nazi-Herrschaft zu befreien, andererseits die Fortexistenz ihrer Klassenherrschaft in Deutschland zu rechtfertigen.
Jahrzehntelang sträubte sich die bürgerliche Klasse in Deutschland nach dem Krieg, den Nationalsozialismus überhaupt als ein Verbrechen gegen die Menschheit anzuerkennen, bzw. wo das unumgänglich wurde, anzuerkennen, dass Hitler kein Betriebsunfall war, sondern dass sie für seinen Aufstieg verantwortlich war.
Mittlerweile ist die Generation der Täter (und Leugner) weitgehend weggestorben und die Wunde der Niederlage von ‘45 durch die Wiederaneignung der DDR geschlossen worden. Heute fällt es ihr nicht mehr so schwer zuzugeben, dass der Nationalsozialismus eine der verbrecherischsten Diktaturen der Geschichte war, und sie hat verstanden, dass dieses Eingeständnis der Preis dafür ist, jemals wieder eine Vormachtrolle in der Welt spielen zu können.
Wenn die Nazis aber eine Verbrecherbande und die deutsche Großindustrie ihre Finanziers waren, dann war der Krieg dagegen gerecht. Wirklich? Werden jetzt Wehrmachtdeserteure rehabilitiert? Sieht man, dass kommunistischen Widerstandskämpfern, die in Deutschland die Hauptlast des Widerstands getragen haben, Denkmäler errichtet werden? Das Gegenteil ist der Fall: Ihre Taten werden weiterhin verschwiegen, und die Wehrmachtausstellung polarisiert immer noch eine öffentliche Meinung, die über die Nazis von heute hinausgeht.
Nein, von einer Anerkennung der Leistungen der deutschen Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Nationalsozialismus ist das deutsche Bürgertum weit entfernt. Nicht jeder Krieg war gerecht. Derjenige, den die Rote Armee geführt hat, wird z.B. unter den Teppich gekehrt oder es wird ihm die Legitimität eines gerechten Krieges dadurch abgesprochen, dass russische Soldaten als Vergewaltiger und Stalin als ein roter Hitler dargestellt werden.
Nur den Amerikanern gebührt das Etikett des gerechten Krieges — das ist der, der für die bürgerlichen Demokratie, für Freiheit und Marktwirtschaft, geführt wird. Warum? Weil die GIs das am Boden zerstörte und durch seine Kollaboration mit den Nazis zutiefst diskreditierte deutsche Bürgertum wieder aufgepäppelt und in den Stand versetzt haben, nicht einmal fünf Jahre nach Kriegsende erneut fest im Sattel zu sitzen und einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg ohne Beispiel zu erfahren. Nur mit Hilfe amerikanischer Soldaten hat der deutsche Kapitalismus überleben können. All jene Antifaschisten, die nicht mehr sind als Antifaschisten, befinden sich deshalb auf dem Holzweg, wenn sie zwischen dem sog. Dritten Reich und den Zielen der Westalliierten im Zweiten Weltkrieg einen scharfen Gegensatz aufbauen.

Zu den Legenden im Einzelnen:


1. Die Amerikaner haben uns nicht von den Nazis befreit.

• Die USA haben in der Phase der ersten Eroberungszüge Hitlers die "Befriedungspolitik" Frankreichs und Englands unterstützt. Sie teilten mit letzteren die Ansicht, dass die Sowjetunion ein größerer Feind war als die Nazis. Herbert Hoover, Vorgänger Roosevelts im Amt, ermunterte Hitler, seine Macht zu nutzen, um die Sowjetunion zu zerschmettern. Hitler galt unter westlichen Staatsmännern und Wirtschaftsführern als der Drachentöter des Antikommunismus. Das — nicht eine "zu große Nachgiebigkeit gegenüber einem Diktator" — war der Grund dafür, dass Hitler ungestraft die Tschechoslowakei überfallen durfte. Erst mit dem Überfall auf Polen — der dazu noch mit einem Nichtangriffspakt mit Stalin verbunden war — dämmerte ihnen, dass Hitlers Krieg sich auch gegen sie richten würde.
• Das Land, das Hitlers Kriegsmaschine zum Stehen brachte, war die Sowjetunion. Sie hat die Last des Krieges weitgehend allein getragen, und zwar. Bis tief in den Herbst 1941 bat sie die USA vergeblich um Waffenlieferungen. Als Deutschland der Sowjetunion den Krieg erklärte, hoffte die US- Administration noch darauf, die beiden "Titanen" würden sich gegenseitig ausbluten. Erst als klar wurde, dass Hitler im Osten gescheitert war, erklärten sich die USA zu Waffenlieferungen bereit; sie griffen erst 1942, als die Rote Armee längst zur Gegenoffensive übergegangen war. Alle leichten und schweren Waffen, die der Roten Armee den Sieg über die Wehrmacht ermöglichte, hat die Sowjetunion selbst hergestellt.
•Auf die Eröffnung einer zweiten Front in Westeuropa wartete die UdSSR bis 1944. Die USA traten erst in letzter Minute auf den Plan, als es nicht mehr hauptsächlich darum ging, militärische Opfer zu bringen, sondern die Früchte des angeblich gemeinsamen Sieges einzufahren.

2. Die US-Intervention hat die europäische Arbeiterbewegung an der fälligen Abrechnung mit den Kapitalisten gehindert, die überall in Europa mit den Nazis kollaboriert haben.

• Die Bombardierung von Dresden am 13. und 14.Februar 1945 richtete sich ebenso wie die Atombombe über Hiroshima schon nicht mehr gegen die Nazis, sondern gegen die Sowjetunion: Ihr sollte gezeigt werden, dass sie aus ihrem Sieg über die Wehrmacht keine zu hohen Forderungen für eine Nachkriegsordnung ableiten durfte.
Die Bombardierung Dresdens war — wie jeder Bombenkrieg — ein Verbrechen gegen die Menschheit. Über 100000 Menschen, Zivilbevölkerung, kamen ums Leben. Neben dem Fingerzeig in Richtung Moskau war die Demoralisierung der deutschen Bevölkerung ihr wichtigstes Ergebnis.
• Der Versuch, die diskreditierten Nazi-Eliten durch Opfer und Widerstandskämpfer zu ersetzen, versandete schon wenige Monate nach Kriegsende. Unzählig sind die Zeugnisse von rückkehrenden Emigranten, die sich im Glauben an die "demokratische Mission" der US- Soldaten begeistert an einen Neuaufbau auf antifaschistischer Grundlage machten — und schließlich erleben mussten, wie die alten Verantwortlichen nach nur geringfügigen Strafen wieder in Amt und Würden gebracht wurden. Die Eliten der deutschen Geschäftswelt, die Hitler unterstützt hatten, haben nach dem Krieg von den USA eine De-facto-Amnestie erhalten.
• Vor allem haben die USA systematisch jeden Versuch sabotiert, Antifaschisten zu einer personellen Führungsalternative aufzubauen. Die Militäradministration arbeitete nur sehr widerwillig mit ihnen zusammen, verweigerten Betriebsräten jede Mitsprache im Betrieb. Überall wurden autoritären Strukturen wiederhergestellt und demokratische Reformen vereitelt, Vorstellungen zur wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung auf antifaschistischer Grundlage bekämpft.
Einen "gerechten Krieg" haben die USA seit 1865, dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, nicht mehr geführt. Dafür, dass sie Hitlers Geldgeber wieder zur Macht verholfen haben, schulden wir ihnen keinen Dank (die Konzern- und Bankenchefs schon, das sehen wir ein). Den zielstrebigsten Krieg haben sie — damals wie heute — gegen jeden Versuch einer demokratischen Opposition geführt, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Anders als zur Zeit des Kalten Krieges haben wir heute die Chance, dagegen weltweit eine Alternative von unten aufzubauen.

Angela Klein

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