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In der SPD wächst der Unmut über die Sozialraubpolitik der Regierung. Wird er auf dem angekündigten
Sonderparteitag wieder versanden?
Wo er Recht hat, hat er Recht. Ein Vierteljahr vor seinem knappen Wahlsieg vom September 2002
schrieben wir an dieser Stelle zur Frage, ob die Kanzlerschaft von Schröder nur ein historisches Episödchen sein wird: "Diese Leute werden im
dicken Buch der Vorgeschichte des kommenden Weltkriegs wenn überhaupt nur als namen- und parteilose Animateure abgehakt, die dem Volk modernisiertes
Fähnchenschwingen beibringen sollten, im Aufmarsch für das nächste große Kräftemessen um die Weltherrschaft des
Kapitalismus."
Etwas trockener formulierte es eine Flugschrift der isl (internationale sozialistische linke):
"Politisch und historisch am schwerwiegendsten ist dabei der Beitrag der Sozialdemokratie mit grünem Flankenschutz bei der neuen kriegerischen Rolle
des deutschen Imperialismus. Es blieb einem SPD-Kanzler vorbehalten, die Bundeswehr in Angriffskriege zu führen".
Am Freitag, dem 4.April, gab uns einer, der es wissen muss, uneingeschränkt recht. In einer
3sat-Sendung antwortete Schröder auf die Frage, was seine "kreativste politische Tat" gewesen sei: "Ich habe das Land und insbesondere
meine Partei … darauf eingerichtet, in der Außenpolitik militärische Mittel sehr, sehr sorgsam abzuwägen, aber nicht zu tabuisieren."
Es gehört zu den ironischen Scharmützeln der deutschen Geschichte, dass dieser
fantasielose Büttel der Herrschenden seinen zweiten Wahlsieg und das leichte Ansteigen der Sympathiewerte in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen
ausgerechnet einer kritischen Position zur aktuellen Kriegspolitik einer stärkeren Weltmacht verdankt. Seine "kreativste" Tat wird offensichtlich
nicht belohnt, und über das, was er sonst anrichtet, empören sich die Wähler und Mitglieder der SPD, und die Unternehmerverbände
lästern nach dem Motto: "Er kanns halt nicht."
Als Gerhard Schröder am 14.März seine "Agenda 2010" verkündete,
mit der eine nächste Welle an sozialpolitischen Sauereien eingeläutet werden soll, blieb der Widerstand der "SPD-Linken" zunächst
aus. Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds, Senkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau, höhere Selbstbeteiligungen an den
Gesundheitskosten und Privatabsicherung des Krankengelds und die Einschränkung des Kündigungsschutzes wurden weitgehend wortlos geschluckt.
Wer die sog. "Parlamentarische Linke", gut hundert Abgeordnete, kennt, wundert sich
darüber nicht. Sie ist mit zwei Sitzen, Erler und Müller, im Fraktionsvorstand und mit Andrea Nahles im Parteivorstand sowie mit zahllosen
Pöstchen fest eingebunden und war durch den neuen "Friedenskanzler" geradezu froh gelaunt zu jeder Schandtat bereit. Die an
einer Hand abzuzählenden, als "Blockadelinke" verteufelten, SPD-Führungsleute verschluckten ihre sonst üblichen Warnungen und
Motzereien, die sie früher nach vollzogenen Tatsachen hinterherschickten.
Von den Jusos ja, die gibt es auch noch kam sogar Lob, weil Schröder vage
die Möglichkeit angedeutet hatte, wieder mal über eine Ausbildungsumlage nachzudenken.
Schröder, Müntefering und der kleine Möchtegern-Ebert, Olaf Scholz, waren sich
ihrer Sache sicher. Sie verwarfen ihren ursprünglichen Plan, einen Sonderparteitag zur "Agenda 2010" durchzuführen, und bereiteten
stattdessen Regionalkonferenzen vor. Das sind Foren, die Schröder liebt. Es werden 15000 kleine und mittlere Funktionäre der Partei zusammengekarrt,
und Schröder darf sich vor vielen Kameras feiern lassen, ohne Abstimmungen, ohne Gegenredner und ohne Parteitagsfirlefanz.
Aber kaum war durch den Gang der Dinge im Irak die Friedensdiskussion ein wenig verebbt, regte
sich etwas, was kaum noch jemand für möglich hielt. Der, wie Rosa Luxemburg schon vor 90 Jahren schrieb, "alte stinkende Leichnam SPD"
zeigte nicht viel, aber für die Parteibürokraten schon zuviel Leben. Es kam zu Parteiaustritten, betriebliche, gewerkschaftliche und kommunale
Versammlungen gerieten zu emotionalen Ausbrüchen der proletarischen Seele der Partei. Die brave Basis, die immer noch unerschütterlich daran glaubt,
mit der SPD sei ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen, empörte sich.
Nicht von einer intellektuellen Linken, sondern von den Stützpfeilern ihrer Verbandsmacht
herausgefordert, gingen als nächstes die großen Gewerkschaften Ver.di und IG Metall auf Oppositionskurs. Selbst des Kanzlers Lieblingsgewerkschafter
Hubertus Schmoldt rang sich kritische Worte ab, immer noch sichtlich enttäuscht, dass Schröder das "Bündnis für Arbeit"
eigenhändig beerdigt hatte.
In den bei den letzten Wahlen schwer gebeutelten Landesverbänden Hessen und Schleswig-
Holstein wurde die Parteiführung erneuert. In Kiel kam es sogar zur offenen Abwahl des designierten Wunschkandidaten Schröders.
Ebenso unruhig wurde es in Bayern, wo Wahlkampf bevorsteht, und im Land des durch alle
Talkshows und Zeitungen geisternden Oskar Lafontaine, dem Saarland. Dazu kam die Ost-SPD, die fürchtete, die Politik Schröders würde in ihren
Ländern zu einem echten "Projekt 18%" führen. In Hessen, Schleswig-Holstein und im Saarland wurde ein Sonderparteitag gefordert.
In dieser Situation kam das von einigen aus der "Blockadelinken" angeleierte Mitgliederbegehren "Wir sind die Partei" gerade recht. Mit
dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), Otmar Schreiner, dem IG-BAU-Vorsitzenden Klaus Wiesehügel und
mehreren anderen bekannten Gewerkschaftern hängten sich gewichtige Kräfte an.
Das "Mitgliederbegehren" nimmt zum ersten Mal in der Parteigeschichte ein 1993
eingeführtes Statutenrecht in Anspruch. 10% der Parteimitglieder (67000 Stimmen) können demnach eine Position einbringen, die im Falle, dass der
Vorstand sie nicht übernimmt, mittels eines Mitgliederentscheids geklärt werden muss, der dann in der einfachen "Ja"- oder
"Nein"-Form zur Abstimmung vorgelegt wird.
Das Mitgliederbegehren "Wir sind die Partei" enthält sieben Punkte, in denen
mehr soziale Gerechtigkeit gefordert wird, die konkreten Maßnahmen aus der "Agenda 2010" abgelehnt werden und überdies eine
nachfrageorientierte Politik und die Wiedereinführung der Vermögensteuer gefordert wird. Alles ziemlich lafontainisch dünn, aber sicher nicht
"übernahmefähig" für den Parteivorstand.
Das Instrument "Mitgliederbegehren/Mitgliederentscheid" ist für sich bereits
Ausdruck einer tief entdemokratisierten Partei. Kommen doch darin nur Einzelstimmen und dazu in zugespitzter Polarisierung "Dafür oder
dagegen" zum Ausdruck. Eine kollektive, notfalls in Strömungen und Tendenzen organisierte Debatte von unten nach oben ist das natürlich nicht.
Dennoch zeigte sich die Parteiführung um Schröder, Scholz und Müntefering sehr
dünnhäutig. Nach kurzer Überlegung und entsprechenden Verrenkungen vor den Medienmikrofonen trat man die Flucht nach vorn an und
verkündete einen Sonderparteitag. Aber, um die inhaltliche Debatte gleich abzuwürgen, koppelte Schröder dies in der ihm eigenen
unverschämten Art mit einer faktischen Vertrauensfrage. Entweder er und die Agenda oder gar nichts.
Schon grotesk muten Münteferings Beleidigte-Leberwurst-Tiraden an, der allen Ernstes
beklagte, die Abweichler in der Fraktion hätten ihn nicht vorher konsultiert. Das sagt der Wadenbeißer eines Kanzlers, der bisher jede seiner politischen
Maßnahmen den Parteigenossen als fertiges Menü und über die Medien präsentierte.
Die Gegenmaßnahmen der Parteispitze zeigten zum Teil die erwünschte Wirkung. Die
"Linke" wurde schnell in die bekannten Klüngelgrüppchen "Parlamentarische Linke", "Regierungslinke",
"Blockadelinke", "Wahlkampflinke", "Gestaltungslinke", und wie sie sich immer selbst und gegenseitig nennen, aufgesplittert. Ob
das Mitgliederbegehren "Wir sind die Partei" fortgesetzt wird, ist nun umstritten.
Aber der Sonderparteitag am 1.Juni findet statt. Für den auf schnellen Durchmarsch und Erfolg
erpichten Schröder und seine Generäle eine peinliche Verzögerung. Und damit es keinen Ausrutscher beim Parteitag in Berlin gibt, muss die Regie
schon geschickt lavieren. "Eine faire Parteitagsregie" fordern die Initiatoren des Mitgliederbegehrens, mit viel Zeit für Debatte und ohne
Selbstdarstellung der Führungsriege. So fair wird die Parteiführung ganz sicher nicht sein.
Der tapferen "Linken" in der SPD sollte deshalb ausnahmsweise von außen, durch
Gewerkschaften und die übrige Linke, mächtig Unterstützung gegeben werden. Die unbedingt nötige Verhinderung der "Agenda
2010" ist den Versuch wert.
Thies Gleiss
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