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Einer der sensibelsten Bereiche bei den GATS-Verhandlungen ist die Privatisierung der Wasserversorgung.
Wasser ist neben Luft der einzige Stoff, dessen Bedarf für den Menschen durch keinen
anderen Stoff ersetzt werden kann. Wasser hat einen zentralen Stellenwert im Leben der Menschen.
Um eine zuverlässige Wasserversorgung zu gewährleisten, wurde sie in den
meisten Ländern aus dem Marktgeschehen herausgenommen und staatlich organisiert. Darin dokumentiert sich ein tiefes Misstrauen gegenüber der
sonst so vehement vertretenen Position, der Markt würde jederzeit und überall alles zum Besten richten. Für diese Bereitstellung von
Gütern zur Deckung der Grundbedürfnisse wurde der Begriff der (kommunalen) Daseinsvorsorge geprägt.
Seit einiger Zeit unterliegt das Nebeneinander von Markt bei "normalen"
Gütern und staatlich organisierter Bedarfsdeckung bei Grundbedürfnissen bei uns und auch in anderen Ländern massiven
Veränderungen, in zweifacher Hinsicht: Erstens soll nicht mehr der Staat diese Güter bereitstellen, sondern private Unternehmen (Privatisierung,
Entstaatlichung). Zweitens soll ihre Bereitstellung nicht mehr in Form der gelenkten Versorgung geschehen, sondern sie soll den Marktgesetzen unterworfen
werden, also den Kriterien der Produktion für den Profit (Deregulierung, Liberalisierung, Kommerzialisierung).
Frankreich und Großbritannien sind die einzigen großen industrialisierten Länder, in denen die Wasserwirtschaft größtenteils
bereits privatwirtschaftlich organisiert ist. Die dort gemachten Erfahrungen sind auch für unser Land lehrreich.
Die Wasserversorgung ist in Frankreich Aufgabe der 36000 Gemeinden. Diese vergeben per
Ausschreibung das Recht zur alleinigen Versorgung eines bestimmten geschlossenen Versorgungsgebiets: in den Städten meist an private, im zersplitterten
ländlichen Raum meist an eigene kommunale Unternehmen (den privaten Versorgern ist es hier zu kleinräumig). Die Anlagen bleiben im Eigentum
der Gemeinden. Zeitlich befristet auf etwa 20 Jahre erhält das Versorgungsunternehmen in einer Art Konzessionsvertrag die Betriebsführung. Auf
dieses wird auch das Planungs-, Investitions- und Finanzierungsrisiko übertragen. Ein Rahmen für Investitionen, Wasserpreise usw. wird zwischen
der ausschreibenden Gemeinde und dem bewerbenden Versorgungsunternehmen vertraglich vereinbart.
Den Städten stehen auf der Seite der Konzessionsnehmer nur wenige große
Privatkonzerne gegenüber. 70% der gesamten französischen Wasserversorgung wird durch die drei Konzerne Vivendi, Suez und Saur abgedeckt.
Diese Marktstruktur begünstigt Bieterabsprachen zwischen den Marktteilnehmern. So
werden laufend Bestechungsskandale bei der Vergabe von Konzessionsverträgen bekannt. Derartige Strukturen wirken preistreibend. Tatsächlich
liegen die Wasserpreise bei privatwirtschaftlicher Versorgung um 1520% höher als bei einer kommunal betriebenen Versorgung.
Relativ hohe Wasserpreise entstehen auch durch die unstete Investitionstätigkeit der
Privaten: Gegen Ende der Konzessionszeit werden Investitionen, die nicht unbedingt sein müssen, zurückgefahren und zurückgehalten,
solange der Anschlussvertrag nicht unter Dach und Fach ist.
In aller Regel sind die Kommunen bei der Konzessionsvergabe den sich bewerbenden
Konzernen fachlich ausgeliefert, was ebenfalls eine preistreibende Wirkung hat. Um die Ungleichheit der Vertragspartner bei den Verhandlungen zu mindern,
werden die Kommunen u.a. durch den Verband der delegierenden Kommunen, Beratungsbüros des Städtebundes, Hochschulen und Institute,
Wirtschaftsberater und Anwälte und durch staatliche Stellen (Départements, Regionen) unterstützt.
Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass das Wasserversorgungssystem in
Frankreich objektiv teuer ist, weil es ein gesichertes Privatmonopol gibt, das Preisüberwälzung, teilweise korrupte Konzessionsvergabe und nicht
optimale kurzfristig ausgerichtete Investitionstätigkeit erlaubt.
1989 wurde die öffentliche Wasserversorgung in England und Wales in etwa zehn Unternehmen zusammengefasst und in einem Rutsch privatisiert
(außer in Schottland). Seither hat sich die Versorgungsqualität deutlich gebessert, auch wenn die Wasserqualität und das Umweltschutzniveau
im Vergleich zu Deutschland nach wie vor niedrig sind.
Bevor man, wie die Anhänger der Privatisierung, diese Verbesserungen dem positiven
Wirken des Marktes zuschreibt, muss man das Ausgangsniveau und die Rahmenbedingungen bedenken. Vor 1989 verbot das britische Haushaltsrecht den
öffentlich-rechtlichen Wasserversorgern auf kommunaler Ebene eine Kreditaufnahme. Sie waren angewiesen auf Geldzuwendungen durch das
zentralstaatliche Finanzministerium. Damit waren sie viel schärferen finanziellen Restriktionen unterworfen als die deutschen Kommunen. Die Thatcher-
Regierung sperrte die notwendigen Geldmittel für die Wasserversorgung, weshalb die Wasserversorgung zusehends verrottete.
So restriktiv die Thatcher-Regierung sich gegenüber den finanziellen Bedürfnissen
der bis 1989 öffentlichen Betreiber zeigte, so entgegenkommend erwies sie sich danach gegenüber den privaten Investoren. Den Wasserversorgern
wurden aus Steuermitteln über 8 Mrd. Euro Schulden erstattet, zudem erhielten sie eine Startsubvention von 2,6 Mrd. Euro. Damit konnten sie die
dringendsten Maßnahmen in Angriff nehmen, und die Privatisierung erschien zunächst als ein Segen.
Die zweite Ursache für die Qualitätsverbesserung war die Verschärfung
einer Reihe von Vorschriften über die Wasserqualität seitens der EU in den 90er Jahren. Diese Qualitätsanforderungen stießen
häufig auf erbitterten Widerstand seitens der privaten Betreiber. Ohne Privatisierung wäre die Qualitätsverbesserung reibungsloser verlaufen.
Trotz der äußerst günstigen Kaufbedingungen stiegen die Wasserpreise
nach der Privatisierung über viele Jahre hinweg jährlich um real 5%. Gleichzeitig nahmen Gewinnmargen, Dividenden und Vorstandsgehälter
in einem Tempo zu, dass die Kritiker der Privatisierung auf zunehmendes Echo stießen. Die staatliche Regulierungsbehörde stellte fest, dass fast der
gesamte Umsatzzuwachs bis 1997 als Dividende oder als Gehaltserhöhung für die Chefetage ausgeschüttet wurde.
Zur Dämpfung des Unmuts setzte die Regulierungsbehörde knappere
Preissteigerungsgrenzen und forderte für das Jahr 2004 sogar eine Preissenkung. Im Gegenzug drohten die privaten Versorger mit Investitionsboykott.
Sogar die Thatcher-Regierung war sich darüber im Klaren, dass private Konzerne in
einem so monopol- und renditeträchtigen wie auch sozial empfindlichen Bereich wie der Wasserversorgung beaufsichtigt werden müssen. Sie hat
daher der englischen Öffentlichkeit eine umfangreiche Wasserwirtschaftsüberwachungsbürokratie beschert. Es gibt das Office of Water
Services für die wirtschaftliche Überwachung (u.a. Preisgrenzen), die Environment Agency zum Schutz der Umwelt, das Drinking Water
Inspectorate für die Trinkwassergüte, die Customer Service Committees und den National Customer Council für die Verbraucherinteressen,
neuerdings zusätzlich den Consumer Council for Water zur Unterstützung der oben Genannten.
Die deutsche Wasserwirtschaft ist durch die Existenz weniger größerer und einer Vielzahl von sehr kleinen Versorgungsunternehmen
geprägt, die in unterschiedlichen Rechtsformen geführt werden. Das Eigentum an den Unternehmen liegt noch überwiegend bei den
Kommunen. Soweit die (größeren) Kommunen Stadtwerke gebildet haben (es gibt etwa 800), ist die Wasserversorgung in der Regel eine
vergleichsweise kleine Sparte der Stadtwerke, die darüber hinaus oft noch die Sparten Bäder, Strom, Gas, Nahwärme und Verkehr
enthalten. Bei weitem am bedeutendsten sind die Sparten Strom und Verkehr.
Die Konzentration in der Wasserwirtschaft ist enorm hoch. Auf die 70% kleinsten
Unternehmen entfallen nur 8%, auf die größten 3,6% aller Unternehmen dagegen 60% der Wassermenge. Das durchschnittliche große
Unternehmen ist etwa 150mal so groß wie einer der Kleinbetriebe.
Die Unternehmensform Eigenbetrieb ist die unmittelbarste Unternehmensführung bei
den Kommunen. Alle Kosten und Erträge laufen über den kommunalen Haushalt, der Gemeinderat hat unmittelbar Einfluss auf die
Unternehmenspolitik, Personalpolitik, Preisfestsetzung usw. Diese Unternehmen werden in öffentlich-rechtlicher Form geführt. Eine
Kapitalbeteiligung von Privaten ist bei dieser Form nicht möglich.
Eigenbetriebe werden seit der Deregulierung der Stromwirtschaft 1998 häufig in
Eigengesellschaften umgewandelt in eine GmbH oder AG, die (zunächst) voll im Eigentum der Kommune ist, aber privatrechtlich geführt
wird. Kosten und Erlöse laufen nicht mehr über den Kommunalhaushalt, die Unternehmensführung ist weitgehend autonom, die Stadtspitze
hat als Eigentümerin nur noch über die Aufsichtsgremien Einfluss in grundlegenden Fragen.
Im Grunde ist der unscheinbare Schritt vom Eigenbetrieb zur Eigengesellschaft der
organisatorisch wesentliche Privatisierungsschritt, auch wenn die GmbH noch in kommunaler Hand bleibt. Denn jetzt liegt das Unternehmensziel nicht mehr in
der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge, sondern in der privatrechtlichen Gewinnerzielung und -maximierung. Jetzt können auch Anteile an
private Kapitalgeber verkauft werden.
Diese Umwandlung wird mit dem Argument vorangetrieben, die
Geschäftsführung der Stadtwerke sei dann wesentlich flexibler. Damit ist allerdings eine Entdemokratisierung in der kommunalen
Wirtschaftstätigkeit verbunden. Der Stadtrat hat dann weniger oder gar keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr in der kommunalen Energie-, Wasser-
und Verkehrspolitik.
Nur 15% der Wasserversorger sind privatrechtlich organisiert, sie kommen aber auf einen
Anteil von 48% der Wassermenge. 1,6% der Unternehmen befinden sich bereits vollständig in privatem Eigentum.
Die seit längerem zu beobachtende Umverteilung zugunsten der großen Einkommen fördert den Vermögenszuwachs und damit das
Anwachsen von großen, nach Verwertung suchenden Kapitalien. Zu dieser Entwicklung hat auch die staatliche Steuerpolitik massiv beigetragen.
Die Kehrseite sind Defizite der öffentlichen Hand. Besonders in die Klemme geraten
derzeit die Gemeinden. Die beiden Hauptursachen sind der beispiellose Absturz der Gewerbesteuer in Folge der immer größeren
Steuerschlupflöcher sowie die steigenden Sozialausgaben als Folge von Krise und Arbeitslosigkeit.
Nach dem Haushaltsrecht werden verschuldete Kommunen gezwungen (notfalls durch den
Entzug der Haushaltsvollmacht und den Einsatz einer Art staatlichem Konkursverwalter), Sachanschaffungen und Investitionen zusammen zu streichen und
dadurch die Neuverschuldung zu senken. Von den 23 großen Städten in Nordrhein-Westfalen müssen derzeit 21 Städte der
Kommunalaufsicht Haushaltspläne und Haushaltssicherungskonzepte vorlegen, die Details bis zum Eintrittsgeld für den Tierpark vorschreiben.
Die Schere zwischen dem Bedarf an Investitionen und den zur Verfügung stehenden
Mitteln öffnet sich weiter, auch bei der Wasserversorgung. In dieser Situation klopft der Vertreter eines Wasserkonzerns an die Tür, bietet
Investitionen und Beteiligung oder die Übernahme der Wasserwerke an. Eine für die anlagesuchenden Kapitalüberschüsse der Konzerne
günstigere Situation ist schwer vorstellbar.
Laut KPMG, der größten Beraterfirma für Anteilsverkäufe von
Stadtwerken, stehen noch Hunderte Stadtwerke zum Verkauf bereit. 650 Stadtwerke gelten als privatisierungsfähig. Rund 300 haben bereits einen privaten
Anteilseigner. Allein EON, der größte Stadtwerkebesitzer in Deutschland, zählt 190 Beteiligungen an Stadtwerken. Konkurrent RWE
zählt 50 Beteiligungen und 120 Kooperationsverträge.
Einen starken Anschub erfährt die Kommerzialisierung der Wasserwirtschaft durch die laufenden GATS-Verhandlungen. Deren Ziel ist ein
internationales Abkommen über die praktisch schrankenlose Ausweitung des Handels mit Dienstleistungen. Die GATS-Befürworter wollen
unbeschränkten Handel mit Versorgungsdienstleistungen (z.B. Energie und Wasser), in Bereichen wie Verkehr und Post, aber auch in den sensiblen
Bereichen Bildung und Gesundheit, womöglich auch in bisher eindeutig staatlichen Bereichen wie die Arbeitsvermittlung.
Da Dienstleistungen nicht wie Waren verschickt, sondern häufig nur an Ort und Stelle
erbracht werden können, bedeutet Handel mit ihnen die Öffnung des Inlandsmarkts für ausländische Anbieter. Das GATS ist also
anders als die bisherigen Warenhandelsabkommen gleichzeitig ein Handels- und Investitionsschutzabkommen.
GATS soll den Weg frei machen für die weltweite Deregulierung und Privatisierung der
öffentlichen Dienstleistungen. Vom Gedanken der Daseinsvorsorge als Ziel kommunalen Wirtschaftens wird nichts mehr bleiben. Wichtig ist dann die
höchstmögliche betriebswirtschaftliche Produktivität und die kaufkräftige Nachfrage.
Mit klarer Rückendeckung durch das Wirtschaftsministerium hat sich ein deutscher
Konzern erfolgreich an die Weltspitze der Wasserkonzerne vorgearbeitet: RWE, das vor einem Jahrzehnt noch keinerlei Wassergeschäfte betrieb. RWE
kaufte weltweit, v.a. in England und in den USA, große Wasserversorger, übernimmt derzeit von EON Gelsenwasser und damit den
größten traditionellen deutschen Privatversorger (im internationalen Vergleich ist er eher klein), und katapultierte sich damit mit knapp 70 Mio.
Kunden auf Platz 3 der Weltrangliste. Vor RWE liegen mit je 115 Mio. Wasserkunden nur noch die beiden französischen Konzerne Vivendi und Suez.
Für derartige Markteroberungsstrategien ist GATS der ideale Rahmen.
Franz Garnreiter
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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