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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 10

Die Gewerkschaften müssen mit Labour brechen

Interview mit Pat Sikorski

Patrick Sikorski ist stellvertretender Generalsekretär der britischen Eisenbahnergewerkschaft RMT, die bei der Debatte über einen möglichen Bruch der Gewerkschaften mit der Labour Party eine führende Rolle spielt.

Tony Blair stand an der Seite von George Bush bei der Invasion des Irak, und Labour-Minister wie Robin Cook sind zurückgetreten. Was bedeutet dies alles für New Labour?
Labour steckt in der tiefsten politischen Krise seit dem letzten Weltkrieg. Die Frage ist, wie sich diese Krise organisatorisch auswirkt.
Das neoliberale und imperialistische Projekt der Blair-Fraktion hat die Labour Party international in eine Koalition mit der harten Rechten gebracht. Das Problem besteht darin, dass es auf dem Rücken vieler Niederlagen der Arbeiterbewegung durchgesetzt wurde, und die bisherigen Bemühungen, es zu stoppen, keinen Erfolg hatten.
Wir können diese Krise mit der Krise in der Labour Party in den 30er Jahren vergleichen. Labour spaltete sich damals, aber Ramsay MacDonald führte nur eine sehr kleine Minderheit der Partei in die Regierung. Im heutigen Kontext scheint es jedoch sicher, dass Blair weiter die überwältigende Mehrheit der Partei führen wird, und es ist eine offene Frage, ob die kleine sozialistische Strömung, die es im Parlament und in den Wahlkreisen noch gibt, den notwendigen Bruch mit Labour vollziehen wird oder weiter auf ihrer Linie beharrt, die Partei für sich zu "reklamieren" — eine verlorene Sache, nebenbei gesagt.
Die jetzt um die Antikriegsbewegung herum und in den Gewerkschaften stattfindende Radikalisierung wird nicht von der Partei strukturiert. Auch nicht vom TUC. Es gibt keinerlei nationale Anleitung in Bezug auf irgendeine der heute für die Arbeiterbewegung entscheidenden Fragen. Mit diesem Problem sind momentan all diejenigen konfrontiert, die wieder eine sozialistische Alternative aufbauen wollen.

Bieten die Radikalisierung um die Antikriegsbewegung und die neue Generation, die auf die Straße geht, nicht eine neue Chance, links von Labour etwas Neues aufzubauen?
Natürlich. Der klarste Beleg dafür ist der Einfluss der Bewegung auf die Perspektiven der Scottish Socialist Party (SSP) bei den Wahlen im Mai. Weil die SSP ihren entscheidenden Durchbruch bereits mit der Wahl von Tommy Sheridan zum Abgeordneten des schottischen Parlaments erzielte, hat sie jetzt eine realistische Chance, genügend Sitze zu gewinnen, um im schottischen Parlament eine eigene Frakiton zu bilden. Die Umfragen sagen ihnen ein zweistelliges Ergebnis voraus.
In England hinken wir diesen Entwicklungen noch hinterher. Die Socialist Alliance könnte von der Explosion der Massenbewegung profitieren, aber es ist eine offene Frage, ob ihr diese zu einem Durchbruch bei den Wahlen verhelfen wird.
Ich glaube nicht, dass die Alliance dasselbe Image hat wie die SSP. Nicht nur, weil die SSP einen Abgeordneten hat, sondern weil die Alliance eine gewisse Verengung zum Ausdruck bringt, die bei Wahlen nicht hilfreich ist.
Die SSP hat gut daran getan, sich als Partei individueller Mitglieder zu konstituieren, die in den Gemeinden kontinuierlich zu einfachen Fragen, aber auch zu Themen wie dem Kernkraftwerk von Faslane Kampagnen durchführt; hierdurch ist es ihr gelungen, organisatorisch wie politisch von der Antikriegsbewegung zu profitieren.
Die Socialist Alliance ist nicht in der Lage, sich direkt mit der neuen Bewegung zu verbinden. Sie ist eine Föderation von Gruppen der extremen Linken, die de facto von der Socialist Workers Party (SWP) dominiert wird — die bei weitem die größte Organisation darin. Aber völlig zu Recht gilt die auf eine breiteren Basis operierende Stop the War Coalition (SWC), in den Augen von Millionen als Organisatorin der Antikriegsbewegung. Mir ist nicht klar, wo da die Socialist Alliance anzusiedeln ist.
Das ist sehr wichtig für all diejenigen, die wollen, dass etwas Größeres und Stabileres entsteht, denn zu den energischsten Anhängern der Bewegung gehört eine Masse junger Leute, die keinen Deut auf die Gewerkschaften, auf Labour oder irgendeine andere Partei geben. Was haben wir auch schon in den letzten Jahren für sie getan? In dieser und in vieler anderer Hinsicht sind sie am stärksten von der Antiglobalisierungsbewegung beeinflusst.

Wie kann etwas entstehen, das über den Stand der Socialist Alliance hinausgeht? Siehst du eine Möglichkeit, dass die Riege der Kritiker in den Gewerkschaften zum Bestandteil einer neuen politischen Entwicklung werden kann?
Die Antwort auf die schwere Krise der politischen Repräsentation muss aus den Gewerkschaften kommen. Es gibt in den Gewerkschaften auch eine sich radikalisierende Mitgliedschaft, was in einigen Gewerkschaften in der Wahl linker Generalsekretäre zum Ausdruck kommt. Diese sind auf einer Plattform gewählt, die eindeutig gegen New Labour und gegen Blair gerichtet ist. Tatsächlich wird man heute nicht zum Generalsekretär gewählt, wenn man als Blair-Anhänger gilt. Nach diesem Krieg gegen den Irak wird dies noch mehr der Fall sein, daran besteht kein Zweifel.
Die Riege der Kritiker hat sich bei den Debatten im TUC gegen den Krieg ausgesprochen. Die meisten haben sich entschieden gegen jeden Krieg, egal ob mit oder ohne UN-Resolution, gewandt. Es war der rechte Flügel, der die UN-Karte ausspielte, um damit die Verabschiedung der Antikriegsanträge zu verhindern. Dann gibt es natürlich noch Fragen wie die Privatisierung und der Antigewerkschaftsgesetze, die momentan die Scheidelinie zwischen links und rechts in den Gewerkschaften bilden.
Dies alles wird man nun zu einer logischen Schlussfolgerung treiben müssen, und die Gewerkschaften müssen anfangen, mit dem Monopol von Labour zu brechen. Die Gewerkschaften müssen die politischen Kräfte unterstützen, die unsere Politik vertreten. Die werden aus der SSP in Schottland, aus der Socialist Alliance in England, aus Plaid Cymru in Wales kommen. Dazu gehören auch noch andere, die links von Labour stehen, und auch Sozialisten, die noch in der Labour Party sind.
In der RMT haben wir im vergangenen Jahr Beschlüsse über Statutenänderungen gefasst, die es der Gewerkschaft ermöglichen, sozialistische Kandidaten außerhalb der Labour Party zu unterstützen. Dies führt notwendig dazu, dass die Regel, nach der alle Gewerkschaftsgliederungen Mitglieder der jeweiligen Ortsvereine von Labour sein müssen, abgeschafft wird. Damit wird nur eine bereits bestehende Realität anerkannt, weil die große Mehrheit der Gewerkschaftsgliederungen seit langem aufgehört haben, Mitglieder der Labour Party zu sein.
Damit kommen wir zum Problem, dass wir eine neue politische Vertretung für die Gewerkschaften brauchen. Dazu gehört auch, dass die Gewerkschaften in ihren eigenen Reihen nach Menschen Ausschau halten, die sie als Kandidaten aufstellen können, wie es bei der Gründung der Labour Party der Fall war.
Diese Debatte kann leicht in eine Sackgasse geraten, wenn man meint, bei der Suche nach Alternativen zu Labour gehe es gleich um eine fertige neue Partei, der die Gewerkschaften sich nur anzuschließen bräuchten. Das ist falsch. Wir brauchen jetzt ein gemischtes Herangehen, um die besten Kandidaten zu finden.

Aber die Frage der politischen Repräsentanz der Arbeiterbewegung und die Unterstützung von Parlamentskandidaten durch die Gewerkschaften führte damals zur Bildung einer Partei — der Labour Party.
Ja, auf einen solchen Prozess wird es dann hinauslaufen.

Ein solcher Prozess bräuchte einen Katalysator. Gibt es in der Gewerkschaftslinken Kräfte, die die Bildung einer neuen Partei vorschlagen würden?
Ja. Aber die Erfahrungen mit der Socialist Labour Party (SLP) sind eine Warnung vor allzu kurzen Prozessen. Man kann nicht von der Basis einer Gewerkschaft direkt zur Bildung einer fertigen sozialistischen Partei übergehen. Die sich neu radikalisierenden Kräfte werden nicht automatisch einer politischen Partei beitreten. Die jungen Leute bspw. würden sich heute nicht gleich einer politischen Partei anschließen — denn sie betrachten Parteien als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung.
Die RMT hat sich der gesamten alten Gruppe von Abgeordneten, die sie früher unterstützt hat, entledigt und unterstützt jetzt eine neue Gruppe von Labour-Abgeordneten, die die Politik der RMT vertreten. Wir haben ihnen gesagt, dass sie die Wiederverstaatlichung der Eisenbahn zu unterstützen haben, dass sie gegen die Privatisierung der U-Bahn und gegen alle gewerkschaftsfeindlichen Gesetze sein müssten.
Wir werden auch Kandidaten unserer eigenen Gewerkschaft unterstützen. Und wir werden eine Kampagne für Tommy Sheridan führen.

Es besteht natürlich auch die Gefahr, die günstige Gelegenheit zu verpassen. Wir haben jetzt eine gewaltige Bewegung, und wenn sie abflaut und es wurde nichts Neues aufgebaut, werden wir ein großes Problem haben.
Ja, das ist immer so. Aber schau dir die Situation in Italien an. Da gibt es die Partei der kommunistischen Neugründung (Rifondazione Comunista), die recht stark ist. Sie haben eine Tageszeitung, viele Gemeinderäte und einige Abgeordnete. Und sie verwechseln nicht den Aufbau der Partei mit dem Aufbau der Bewegung. Sie glauben nicht, dass sie ihre Partei dadurch aufbauen können, dass sie andere politische Strömungen in der Massenbewegung "vertreiben" oder "besiegen". Sie gehen nicht an die Massenbewegung heran, um dort eine "Klärung" herbeizuführen.
Ihr Vorsitzender Fausto Bertinotti sagt, die Linie von Sozialisten sollte nicht sein, die Hegemonie in der Bewegung auszuüben, sondern sicherzustellen, dass die Bewegung die Hegemonie über die Gesellschaft ausübt, d.h. die Bedingungen für die Herstellung von Gleichheit und die Verhinderung von Kriege und Barbarei schafft.
Ich glaube, es wäre sehr falsch, wenn Sozialisten im Europäischen Sozialforum als nächsten Schritt vorschlagen würden, einen Kampf zur Verdrängung der Sozialdemokraten zu führen. Wir sprechen über die Neugründung einer politischen Vertretung der Arbeiterklasse. Dies zwingt uns zu einem Herangehen, das nicht zu forsch sein darf und umfassend sein muss.
Ich weiß nicht, ob die Socialist Alliance etwas Kreatives in dieser Massenbewegung erreichen kann, wenn sie derart von der SWP dominiert wird. Will die SWP die Alliance für diese Chance öffnen?

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