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Noch nie endete ein Kongress der Französischen Kommunistischen Partei so wie der 32.Parteitag vom 3. bis 6.April in
Saint-Denis bei Paris. Die bürgerlichen Medien sprachen von Chaos und Durcheinander. Die wieder gewählte Parteichefin Marie-George
Buffet erklärte in ihrer Rede zum Abschluss des Parteitags unter anderem: "Unsere Partei ist geschwächt, und diese
Schwächung lässt uns an uns selbst zweifeln."
Dabei hatte man sich Jahrzehnte lang bei der KP bemüht, nach außen hin
Geschlossenheit und Stärke zu demonstrieren. Die wirklichen Entscheidungen wurden nicht auf dem Kongress getroffen, der eine Showveranstaltung
blieb, sondern lange davor in den Kaderstrukturen.
Das Problem, mit dem die französische KP auf ihrem jüngsten Kongress heftig
konfrontiert wurde, könnte man als das Auseinanderklaffen zwischen Sein und Bewusstsein bezeichnen. Denn die KP ist real seit Mitte der 90er Jahre eine
politische Formation, in der unterschiedliche politische Strömungen existieren, die in entgegen gesetzte Richtungen streben. Anders als etwa
während der Ära Marchais treten divergierende Auffassungen auch nach außen hin deutlich hervor. Aber zugleich weigert sich die KP nach
wie vor, das Fraktionsrecht das Recht, als Tendenz mit eigenem Profil innerhalb der Partei aufzutreten einzuführen.
Im Vorfeld des Parteitags befand sich die grob als "Orthodoxe" bezeichnete
Parteirichtung in der Offensive. Das markanteste Ereignis in diesem Zusammenhang war die innerparteiliche Abstimmung zu den Texten, die auf dem Parteitag
zur Orientierungsdebatte vorgelegt werden sollten. 45% der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder (ein knappes Drittel der offiziell angegebenen 150000
Mitglieder) stimmten für einen ihrer Texte. Nur 55% für den Textentwurf der amtierenden Parteiführung, was ein absolutes Novum in der
Parteigeschichte darstellt.
Der Text der "Neostalinisten" aus dem Pas-de-Calais (betitelt "Die KP
wiederaufbauen und die Kommunisten auf revolutionärer Grundlage wieder zusammenführen") erhielt 23% Zustimmung. Der softer gefasste
Text ehemaliger Marchais-Anhänger aus den 80er Jahren um Nicolas Marchand und dem Wirtschaftswissenschaftler Yves Dimicoli ("Zusammen
für eine Neuorientierung, für einen neuen Schwung der KP") erzielte 22% der Stimmen. Hingegen hatten die "Refondateurs"
(Neugründer) keinen eigenen Orientierungstext vorgelegt. Sie unterstützen derzeit eher die Parteiführung unter Marie-George Buffet.
Das zentrale Anliegen der "Orthodoxen" unterschiedlicher Schattierungen besteht darin, die innerparteilichen Veränderungen der letzten
Jahre aufzugeben. Ihnen geben sie die Schuld am Rückgang des gesellschaftlichen Einflusses der KP, wie er sich im schlechtesten Wahlergebnis ihrer
Geschichte (3,37% bei der Präsidentschaftswahl im April 2002) widerspiegelt.
Dabei werfen sie aber gern objektive und subjektive Faktoren zusammen. Denn neben den von
ihnen beklagten Reformen an den Parteistrukturen ("Resultat reformistischer Aufweichung") haben noch ganz andere Faktoren zum Niedergang der
französischen KP beigetragen: Das Ende der "realsozialistischen" Staaten, die bis 1989 nach wie vor einen positiven Orientierungspunkt
für die Partei darstellten; die Formveränderungen der Arbeitsgesellschaft und der Niedergang traditioneller Industriezweige, in denen die KP und die
ihr früher nahe stehenden CGT gut verankert waren.
Ferner hat die sozial- und wirtschaftspolitische Bilanz der Linksregierungen unter
sozialdemokratischer Führung, an denen die KP von 1981 bis 1984 und zuletzt zwischen 1997 und 2002 beteiligt war, stark zur Frustration und
Desorientierung bisheriger Linkswähler beigetragen. Auch in den Reihen der KP ruft daher die Erfahrung mit der Regierung Lionel Jospins
(19972002) eher negative Erinnerungen hervor.
Die Orthodoxen kritisieren die Beteiligung an einer Regierung, die in keiner Weise eine
Veränderung des ökonomischen Systems anstrebte, nur verhalten. Sie stellen nicht die Regierungsbeteiligung im bürgerlichen Rahmen an sich
in Frage, sondern monieren lediglich, dass das jüngste Regierungsexperiment im Fahrwasser der Sozialdemokratie für die KP schädlich
gewesen sei.
Ihnen gegenüber steht vor allem die innerparteiliche Strömung der
"Neugründer". Ihr Hauptanliegen ist es, die innerparteilichen Strukturreformen seit 1994 weiterzutreiben, und "die von der
III.Internationale ererbte Parteiform zu überwinden". Die Debatte zwischen ihnen und den Orthodoxen ist vor allem eine Diskussion über die
Parteiform, wobei die Neugründer für die größtmögliche Öffnung der KP eintreten, während die Orthodoxen eher
für eine Stärkung der KP durch Rückbesinnung auf ihre Wurzeln plädieren.
In der Mitte zwischen beiden ideologischen Polen steht die Zentrums- oder
Hauptströmung der Partei, die sich wiederum in zwei größere Fraktionen aufteilt. Auf der einen Seite stehen die Unterstützer der
amtierenden Parteisekretärin Marie-George Buffet. Zu ihnen zählen aber auch viele KP-Mitglieder, die es einfach gewohnt sind, die jeweils aktuelle
Parteiführung zu unterstützen. Sie treten für eine Fortsetzung der innerparteilichen Reformen und für ein gewisses Maß an
Öffnung in die "Zivilgesellschaft", ohne aber "die Identität der Partei" zu opfern. Diesem Mittelblock hat sich die
Strömung der Neugründer derzeit angeschlossen.
Auf der anderen Seite gehören die Anhänger des im Jahr 2002 gescheiterten
Präsidentschaftskandidaten Robert Hue ebenfalls zur Mitte der Partei. Diese Fraktion tritt vor allem für ein bevorzugtes Parteienbündnis mit
der Sozialdemokratie ein und ist ansonsten eher strukturkonservativ. Die Hue-Anhänger haben auf dem jüngsten KP-Kongress vor allem durch ihr
Schweigen zur aktuellen innerparteilichen Debatte geglänzt. Zugleich schafften sie es, ihre überdurchschnittliche Vertretung in der neuen
Parteiführung zu bewahren. Im 220-köpfigen "Nationalrat", der das frühere Zentralkomitee ersetzt, stellen sie nach wie vor
7080 Mitglieder.
Unterrepräsentiert waren bisher vor allem die Orthodoxen. Die Fraktion um Jean-Claude
Danglot hatte bisher 2 Sitze im Nationalrat inne, während die sog. Konservativen etwas besser vertreten waren. Beide Flügel forderten eine deutlich
verbesserte Vertretung im Nationalrat.
Der orthodoxe KP-Politiker Maxime Gremetz, in den 60er Jahren selbst Metallarbeiter, war in den 80er Jahren einer der wichtigsten Parteikader unter
Georges Marchais. Er stellte schließlich eine konkurrierende Liste zum Wahlvorschlag des Parteivorstands auf. Das war in der KP-Geschichte noch nie
dagewesen und sorgte für extreme Aufregung. Viele Parteifunktionäre wurden aktiv, um die Präsenz zweier konkurrierender
Wahlvorschläge in einer Partei, die Jahrzehnte hindurch an einheitliche Beschlüsse gewohnt war, zu verhindern. Am Ende unterlag Gremetz und im
Namen der "Einheit der Partei" wurde der Wahlvorschlag der Parteiführung akzeptiert.
Der politische Grundlagentext, der als gemeinsame Grundorientierung ohne Gegenvorschlag
verabschiedet wurde, versucht es allen innerparteilichen Strömungen recht zu machen. Für die Neugründer wurde eine Passage aufgenommen,
die die Offenheit der KP für die nicht parteigebundenen "Kommunisten im Herzen" unterstreicht. Den Konservativen wurde Recht gegeben,
als sie eine Passage forderten, die zu nationalen Konferenzen zur Beschäftigungspolitik sowie zur Europapolitik aufruft. Die Strategie zu künftigen
Wahlen wird in dem Text offen gelassen. Die Orthodoxen hatten eine Festlegung auf wahlpolitische Alleingänge der KP gefordert, ihre Gegner sprechen
sich hingegen für Wahlbündnisse mit der radikalen Linken und/oder der Sozialdemokratie aus. Die heikle Frage wurde ausgeklammert, und der
"Entscheidung der Kommunisten auf lokaler und ggf. nationaler Ebene" überlassen. Die Frage ist, ob solche Kompromisse die Probleme der
KP auf Dauer übertünschen können.
Bernhard Schmid, Paris
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