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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 13

Sechs Faustregeln für die Antikriegsbewegung

USA raus aus dem Irak!

Der Krieg ist noch lange nicht vorbei. Das zeigt nicht nur die Entschlossenheit der US-Regierung, mit Syrien jetzt das Spielchen zu wiederholen, das sie mit Saddam getrieben hat. Auch die Etablierung einer Kolonialregierung in Bagdad trifft dort auf massiven Widerstand, wie die Demonstrationen vor Ostern in der irakischen Hauptstadt gezeigt haben.
Die Antikriegsbewegung und die globalisierungskritische Bewegung, aber auch die Gewerkschaften, die bisher die Millionenproteste getragen haben, müssen nun, da das Regime von Saddam gefallen ist, die Stoßrichtung ihrer Mobilisierungen weiterentwickeln.

1. Der Irak gehört den Irakern…

Bundeskanzler Schröder hat sich mal wieder weit aus dem Fenster gehängt, als er diesen Ausspruch tat, kaum hatten die GIs die Regierungsgebäude in Bagdad besetzt und war der Widerstand der irakischen Armee zusammengebrochen. Das war damals unverhohlen an die Adresse Washingtons gerichtet: Deutschland werde, zusammen mit Frankreich und Russland, nicht hinnehmen, dass die USA die Kriegsbeute allein einstreichen wollen. Hinter diese Haltung hat sich inzwischen die gesamte EU geschart, sie gipfelt in der Forderung nach einer "legitimen, von der UNO anerkannten Regierung".
Diese Formulierung besagt nicht dasselbe wie die Forderung, dass allein die irakische Bevölkerung über die Zusammensetzung der neuen Regierung zu bestimmen hat. Eine von der UNO eingesetzte Regierung wäre nach deutscher Lesart legitim, würde aber das Kriterium der Selbstbestimmung der Bevölkerung im Irak dennoch nicht erfüllen. Mindestvoraussetzungen für eine selbstbestimmte Regierung im Irak sind:
• Keine ausländische Militärpräsenz im Irak!
• Keine Reparationen! Der Irak darf nicht in die Schuldenabhängigkeit getrieben werden.
• Hände weg vom irakischen Öl!
• Die durch den Krieg geschaffenen Zustände können nicht Grundlage für einen friedlichen Wiederaufbau sein. Die UNO muss deshalb den Krieg im Nachhinein als völkerrechtswidrig verurteilen.
Der Weltöffentlichkeit wurde vorgemacht, der Krieg sei "für die Demokratie im Irak" geführt worden. Zentraler Bestandteil von Demokratie aber ist das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung eines Landes. Diese Forderung ist im Irak und im Nahen Osten sehr lebendig, wie die anhaltenden Demonstrationen nach dem Ende der Kriegshandlungen zeigen. Die Antikriegsbewegung muss sie aufgreifen, wenn sie mehr sein will als eine Bewegung zur Abwehr militärischer Gewalt.

2. …auch das Öl unter ihrem Sand!

Der Krieg gegen Irak war ein verdeckter innerimperialistischer Krieg. Er richtete sich in der Substanz nicht gegen Saddam Hussein, sondern gegen andere imperialistische Konkurrenten. Das Geschacher um die irakischen Ölreserven (siehe S.13) macht deutlich, dass hier ein Wirtschaftskrieg um das wichtigste Schmiermittel der westlichen "Zivilisation" mit militärischen Mitteln ausgetragen wurde. Die "westliche Allianz" hat davon einen tiefen Riss bekommen, der nicht zu kitten sein wird, solange die kapitalistische Konkurrenzlogik das Wirtschaftsgeschehen dominiert.
Das ist das Neue an diesem Krieg gegenüber vorhergehenden Kriegen, deswegen stellt er auch eine zusätzliche Gefährdung, nicht nur der Völker im Nahen Osten, sondern auch der Bevölkerungen in den imperialistischen Ländern dar. Sie haben die Bedrohung gespürt und sind massiv auf die Straße gegangen.
Dieser Krieg ist lange nicht zu Ende. Der Streit um die Kontrolle über das irakische — und saudische und iranische und kasachische… — Öl wird nach dem Fall von Bagdad mit den Mitteln der Politik fortgesetzt, aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann ein neues Land zum Zankapfel und casus belli erklärt wird.
Die Antikriegsbewegung darf nicht die Stellung irgendeines imperialistischen Konkurrenten auf Kosten eines anderen unterstützen; vielmehr gilt es, uneingeschränkt das Recht der Völker zu verteidigen, über ihre natürlichen Ressourcen souverän zu verfügen.

3. Nein zur Militarisierung der EU!

Die europäischen Regierungen — darin sind sie sich alle einig — ziehen aus dem Krieg die Schlussfolgerung, dass die USA nicht allein in der Lage sein sollen, sich die Kontrolle über Rohstoffe zu sichern, die ihnen nicht gehören. Sie teilen mit ihnen den imperialistischen Anspruch auf die Ressourcen der Welt.
Die Antikriegsbewegung muss diese imperialistische Logik grundsätzlich ablehnen; sie ist die Ursache für Kriege wie in Afghanistan oder im Irak oder die, die im Nahen und Mittleren Osten oder auch in Lateinamerika noch folgen werden. Sie muss auch die sich daraus ableitende Grundlage der neuen NATO-Politik ablehnen, wonach die "Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen" ein "Verteidigungsfall" ist.
Eine Aufrüstung der EU würde der sich verschärfenden ökonomischen Konkurrenz um die knapper werdenden Ressourcen die militärische Konkurrenz zwischen den imperialistischen Ländern hinzufügen. Zwangsläufig würden daraus größere, längere und noch zerstörerische Kriege folgen.

4. Eine alternative Weltwirtschaftsordnung

Ein wesentliches Motiv für den Krieg gegen den Irak war die Hoffnung maßgeblicher Wirtschaftskreise, die Zerstörungen, die der Krieg im Irak anrichtet, könnten sich als Konjunkturprogramm auswirken. Eine zynische Motivation, die zeigt, wie sehr die kapitalistische Wirtschaftsordnung an ihr Ende gekommen ist, weil sie nicht mehr in der Lage ist, auf friedlichem Wege zu expandieren.
Die Antikriegsbewegung muss auch dieser ökonomischen Logik des Krieges Paroli bieten. Eine Wirtschaft, die die Herstellung dessen, was die Menschheit an Nahrungsmitteln und Industriegütern braucht, auf eine kleine Region konzentriert und die große Mehrheit der Weltbevölkerung zu abhängigen, verarmten Konsumenten importierter Produkte macht, kann nur zu Kriegen führen. Sie ist kein Modell einer Weltwirtschaft, die die Entwicklung aller Regionen der Welt befördert.
Die einzige Alternative besteht im Entwurf einer anderen Weltwirtschaftsordnung, die ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen massiv reduziert und sich auf Gleichheit und Kooperation zwischen den Völkern gründet.

5. Keine deutsche Interventionsarmee!

Die neue NATO-Doktrin (siehe oben) rechtfertigt de facto Angriffskriege. Darauf aufbauend bezeichnet die Bundeswehr seit 1992 "den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen" als "vitale Sicherheitsinteressen" der Bundesrepublik. Da ist es völlig logisch, dass Peter Struck, "die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigen" will. Ein solcher Auftrag fragt nicht nach dem Völkerrecht, sondern nach der Zweckmäßigkeit eines Krieges für die eigene Wirtschaft.
Wenn die Antikriegsbewegung ihre Ablehnung von Präventivkriegen und ihre Bindung an das Völkerrecht ernst nimmt, muss sie den auch von "Rot-Grün" betriebenen Ausbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee stoppen.

6. Weiterentwicklung des Völkerrechts

Grundsätzlich ist eine Weltordnung abzulehnen, die darauf basiert, dass ein Land oder eine Gruppe von Ländern sich das Recht anmaßt, Weltpolizei zu spielen und darüber zu befinden, welche Regierung und welche politische Ordnung ein Land haben darf. Diesen Grundsatz haben die USA (aber nicht sie allein) nach dem Zweiten Weltkrieg immer dann verletzt, wenn sie ihre geopolitischen Interessen gefährdet sahen. Die Begründung "Wir bringen oder wir sichern die Demokratie" war immer Vorwand. Die Wirklichkeit war häufig genau entgegengesetzt: Die USA haben gewählte Regierungen mit Hilfe blutiger Militärputsche abgesetzt und Diktaturen an die Macht gebracht.
Das notwendige, gemeinsame Interesse aller Völker an der weltweiten Entwicklung von Demokratie kann nicht gewaltsam durchgesetzt werden, auch nicht per UN-Beschluss. Demokratie kann nur von unten durchgesetzt werden und fordert den Respekt vor den Souveränitätsrechten einer Nation oder eines Volkes. In diesem Sinne muss die UN-Charta von 1948 weiterentwickelt werden — durch systematische Unterbindung jeglicher Militär- und Finanzhilfen für diktatorische Regimes; durch eine Politik, die die Selbstorganisation der landeseigenen Opposition befördert; durch die Verpflichtung zu einer offenen Asylpolitik.

Angela Klein

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