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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 14

Ein Krieg um Öl

Der Irak im Spielball der Konkurrenz

Die Erdölreserven des Irak werden auf 112,5 Mrd. Barrel geschätzt — das sind 11% aller bisher bekannten Erdölreserven. Das macht den Irak, nach Saudi-Arabien, zum zweitgrößten Ölland der Welt. Experten schätzen darüber hinaus, der Irak könne auf immensen Vorräten sitzen, die bislang noch nicht entdeckt worden seien und sich auf 250 Mrd. Barrel summieren könnten — etwa die Größenordnung der saudi-arabischen Vorkommen. Insbesondere erwarten sie, Vorräte in der Größenordnung von 100 Mrd. Barrel in der Wüste im West-Irak zu finden.
Im Mai 2002 erklärte ein irakischer Vizeminister gegenüber Platts (ein Gremium, das auf Informationen über Erdöl spezialisiert ist), der Irak selber schätze seine noch nicht erschlossenen Vorkommen auf 214 Mrd. Barrel — seine Gesamtvorkommen würden damit über 300 Mrd. Barrel liegen!(1)
Wenn man rechnet, dass die Ölvorräte in den USA und in Norwegen beim aktuellen Rhythmus ihrer Ausbeutung noch 10 Jahre halten, die in Kanada nur 8 Jahre, im Iran 53 Jahre, in Saudi-Arabien 55 Jahre, in den Vereinigten Emiraten 75 Jahre und in Kuwait 116 Jahre, dann würden sie nach diesen Berechnungen im Irak 526 Jahre halten!
Laut Oil and Gas Journal beziffern die westlichen Ölkonzerne die Herstellungskosten eines Barrels irakisches Öl auf 1,5 oder sogar nur auf 1 Dollar. Zum Vergleich: In anderen Ländern, wo das Öl billig zu fördern ist, wie in Malaysia oder Oman, liegen die Herstellungskosten bei 5 Dollar pro Barrel, in Russland und Mexiko bei 6—8 Dollar, in der Nordsee bei 12—16 Dollar und in Texas oder Kanada bei über 20 Dollar. Der Verkaufspreis für Erdöl auf dem Weltmarkt schwankte in den letzten Jahren zwischen 20 und 35 Dollar. In Anbetracht dieser Zahlen erübrigt sich jeder Kommentar über das Interesse an der Ausbeutung irakischen Öls.

USA und GB ausgebootet

Mit der Verstaatlichung der Iraq Petroleum Company 1972, deren wichtigste Aktionäre Shell, BP, Esso (später Exxon), Mobil Oil und die Compagnie Française des Pétroles waren, wurde der anglo-amerikanischen Kontrolle über das irakische Öl ein brutales Ende gesetzt. Nach der Verstaatlichung wandte sich die irakische Regierung an französische Firmen und an die sowjetische Regierung um Kooperation und technische Ausstattung. 1990, kurz vor dem Golfkrieg II, hatten japanische Erdölfirmen angekündigt, sie stünden kurz davor, einen Vertrag über die Ausbeutung des sagenhaften Ölfelds Majnun zu schließen. Dann kam der Krieg und das Regime der Sanktionen über den Irak, und die japanische Konkurrenz war aus dem Rennen.
Im Verlauf der 90er Jahre hatten Verhandlungen über die Förderung der Erdölproduktion im Irak nach Ablauf der Sanktionen begonnen. Diese Verhandlungen fanden in der Hauptsache zwischen Lukoil (Russland), der China National Petroleum Corporation und TotalFinaElf (Frankreich) statt. USA und Großbritannien waren außen vor. Lukoil unterzeichnete 1997 einen Vertrag über die Ausbeutung des Ölfelds West-Qurna. Im selben Jahr gestattete ein anderer Vertrag der China National die Ausbeutung des Ölfelds Nord-Rumailah.
Beide Verträge beinhalteten Investitionen in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen Dollar. Die Verhandlungen mit TotalFinaElf über die Ausbeutung des Ölfelds von Majnun, eines der Felder, die die größte Ausbeute versprechen, und des Felds von Nahr Umar waren weit fortgeschritten. Türkische Unternehmen unterzeichneten kleinere Verträge über die Ausbeutung von Erdgasfeldern.
Im November 2002 berichtete die britische Wochenzeitung The Observer, der Irak habe "im vergangenen Monat" mehrere Verträge mit verschiedenen Erdölfirmen, vor allem chinesischen, französischen und russischen, geschlossen. In den oberen Etagen der Ölkonzerne machte sich Nervosität breit. Am 19.Januar 2003 traf eine russische Delegation überstürzt in Bagdad ein, um ihre Beziehungen zum Irak wieder zu flicken. Saddam Hussein hatte nämlich Wind davon bekommen, dass Lukoil gleichzeitig mit der US-Regierung und Exil-Irakern über Konzessionen verhandelte, und hatte deshalb den Fünfjahresvertrag über die Ausbeutung des Ölfelds von West-Qurna annulliert. Die russische Delegation reiste nach Moskau zurück mit drei neuen, von Saddam Hussein unterzeichneten Verträgen… Saddam hatte auch Frankreich, China, Indien und Indonesien gewinnbringende Verträge angeboten. Den britischen oder amerikanischen Erdölkonzernen hingegen nichts.

Bewaffnete Konkurrenz

"Die amerikanischen und britischen Konzerne, die darauf hoffen, im Irak ihre historische Herrschaft wieder zu erlangen, fürchten, ihre Führungsrolle in der Erdölindustrie weltweit zu verlieren, wenn die Verträge, die von ihren Konkurrenten unterzeichnet wurden, in Kraft treten. Frankreich und Russland stellen die größte Bedrohung dar, aber auch China, Deutschland, Italien und Japan stehen auf der Liste", schrieb im Dezember 2002 ein Experte der Erdölindustrie.1
Er berichtet auch über die Versprechen, die der irakischen Opposition im Exil gemacht worden seien, die sich der Linie der USA angeschlossen hätte. Faisal Qaragholi, ein Erdölingenieur, der das Londoner Büro des Irakischen Nationalkongresses (INC) leitet, erklärte gegenüber einem Journalisten der Washington Post: "Wir werden sicherlich alle diese Verträge revidieren." Der wichtigste Sprecher des INC, Ahmed Chalabi, ging weiter und sprach sich für die Bildung eines Ölkonsortiums nach dem Krieg aus, in dem die US-Konzerne die führende Rolle spielen sollten; dies beunruhigte sofort den Vorsitzenden von British Petroleum.
"Wenn Sie eine Kehrtwende machen, und es sind Ihre Panzer, die das Regime abgesetzt haben, und Sie haben 50000 Soldaten mit ihren Panzern im Land stehen, dann gestalten sich Ihre Geschäfte aussichtsreicher. So funktioniert das. Die Franzosen hatten nur drei Soldaten und einen Panzer aus dem Jahr 1950. Das kann nicht laufen." Dieser Ausspruch stammt von einem Erdölanalysten der Crédit Suisse First Boston, Mark Flannery (2); er wirft ein grelles Licht auf den Zustand der innerimperialistischen Konkurrenz heute.
Der Irak war Gründungsmitglied der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) und hat bis zum Golfkrieg II eine zentrale Rolle gespielt. Die Sanktionen, die gegen das Land verhängt wurden, haben die Menge an Erdöl, die auf dem Weltmarkt verfügbar ist, und auch das Gewicht des Irak innerhalb der OPEC stark eingeschränkt. Die Rückkehr eines starken irakischen Angebots auf dem Weltmarkt — Experten schätzen es auf 6 Millionen Barrel pro Tag, das würde den Irak zum zweigrößten Produzenten in der OPEC machen, gleich hinter Saudi-Arabien — würde andere Länder zwingen, ihre Produktion entweder zu reduzieren oder eine starke Senkung des Ölpreises in Kauf zu nehmen.
Die Kontrolle über das irakische Öl durch ein Land, das nicht selbst Mitglied der OPEC ist, könnte darüber hinaus zur Marginalisierung der OPEC führen und den Weg zu einem Preiskrieg öffnen, der andere Ölförderungen unrentabel machen würde… Die US-Konzerne, die auch noch andere Ölfelder als nur die in Texas ausbeuten, könnten damit ihre Konkurrenten, die zu hohen Preisen fördern, in ernste Schwierigkeiten bringen.

Jean Michel

Anmerkungen
1. James A.Paul, "Oil in Iraq". Global Policy Forum, Dezember 2002.
2. John W.Schoen, MSNBC, "Iraqi Oil, American bonanza?", .

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