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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 16

Ägypten

Die Proteste nehmen zu

Unter den Schlägen der Repression durch eine geschwächte und bedrängte Regierung setzt die ägyptische Antikriegsbewegung ihre Mobilisierung fort.
In Kairo wird man sich noch lange an den 20.März 2003 erinnern, den Tag, an dem fast 20000 Demonstrierende vom Mittag bis Mitternacht einen der zentralen Punkte der Stadt, den Tahrir-Platz, besetzt hielten. Dies hatte es seit 1972 nicht mehr gegeben. Damals war es die Studentenbewegung, die dort bis zum Morgengrauen ausharrte. Diesmal waren alle Generationen vereint: Schüler und Studenten, aber auch Angestellte, Arbeiter, Rentner…
Das Bündnis von Organisationen, das die Mobilisierungen gegen den Krieg leitete*, hatte für den Tag nach der Invasion zu einer Versammlung auf dem Platz aufgerufen. Die Initiative übertraf alle Erwartungen. Es ist ein bedeutender Erfolg für die Aktivisten, die trotz der schlechten Erfahrungen vom 15.Februar weiterhin Mobilisierungen organisieren: Damals waren nur etwa 1000 Demonstrierende gekommen, die von einer zehnfachen Anzahl Polizisten eingekreist wurden.
Am 20.März auf dem Tahrir-Platz war es anders. Massenhaft, aber ruhig: kein Stein flog gegen die Schaufenster der Fast-Food-Restaurants. Zu Zusammenstößen kam es hingegen, als die Demonstrierenden versuchten, zur US-Botschaft vorzudringen; laut Al Jazeera gab es 150 Verletzte.
Viele Losungen griffen Präsident Mubaraks Haltung zum Krieg an, aber auch die Verantwortung der Regierung für die wirtschaftliche und soziale Krise, die gegenwärtig das Land kennzeichnet. Die Staatsmacht wurde ausmanövriert; sie war von der Mobilisierung überrascht. Vertreter des Regimes ließen verlauten, wenn man nicht eingreife, werde es zu einem neuen Januar 1977 kommen — damals gab es die "Brotrevolte", die von Sadat blutig unterdrückt wurde.
Auf der anderen Seite gelangten die Aktivisten zur selben Analyse. Die Abwertung des Pfunds (innerhalb eines Monats ist der Euro von 4,7 auf 6,1 Ägyptische Pfund gestiegen) hat zur Erhöhung der Preise geführt, auch bei Grundnahrungsmitteln wie Öl, Zucker, Mehl, Linsen u.a. Eine Erhöhung der Preise für alle Verkehrsmittel ist für den Sommer vorgesehen. Die Bevölkerung versinkt zunehmend in einen Zustand verallgemeinerter Verarmung. Die Regierung war deshalb zu Recht alarmiert.
Am darauffolgenden Tag hatten sich die Demonstrierenden am selben Platz und zur selben Stunde verabredet, nach dem Freitagsgebet. Aber die Repression setzte nun schon beim Verlassen der Moschee ein; deren Tür wurde eingedrückt. Am Ausgang warteten Wasserwerfer und Soldaten der zentralen Sicherheitsorgane. Kleine Gruppen von Demonstranten gelangten gleichzeitig zum Tahrir-Platz. Kleine Demonstrationen tauchten überall auf, Gruppen von Kriegsgegnern strömten von den Seitenstraßen auf den Platz.
Außer einer französischen Flagge gab es keine Transparente und Fahnen. Einige Aktivisten gingen in einer Menge verloren, die zu organisieren ihnen nicht gelang. Es handelte sich um eine spontane Explosion. Fast 50000 Demonstrierende genossen zum ersten Mal das Glück, durch die Straßen einer Stadt zu gehen, die aus dem Alltag austrat; sie skandierten dabei Losungen der Solidarität mit dem irakischen und palästinensischen Volk, aber auch gegen die ägyptische Regierung: "Eins, zwei, drei — wo ist die Armee?", "Ein Dollar = 7 Pfund".
An den Rändern des Platzes verstärkte sich die Repression. Vor den Wasserwerfern zurückweichend, zerrissen Demonstranten ein Mubarak-Bild und riefen: "Regierungsschund!"
Während die Ordnungskräfte erstaunlicherweise Distanz hielten, ging ein Feuerwehrwagen in Flammen auf, was später der Regierung als Rechtfertigung für die Repression diente. Soldaten der Sicherheitszentrale verfolgten daraufhin Demonstranten bis in die Seitengassen der angrenzenden Wohnviertel, Polizeihunde vor sich herführend.
Am Abend kam es zu einer Horrorszene, als Sicherheitskräfte den Sitz der Anwaltsvereinigung stürmten, wo Demonstranten Zuflucht gesucht hatten. Polizeihunde wurden im Inneren des Gebäudes losgelassen, vier Parlamentsabgeordnete geschlagen und aufs Geratewohl Festnahmen durchgeführt. Die Bilanz des Abends waren über 1000 Festnahmen und Hunderte Verwundete.
Am Tag darauf nahm die Polizei willkürlich Passanten auf dem Tahrir-Platz fest und stellte Listen über gesuchte Aktivisten zusammen. Auf den Polizeistationen und auf dem Gelände der zentralen Sicherheitsorgane, wo Demonstranten festgehalten wurden, wurden Frauen und Männer mit beispielloser Brutalität geschlagen.
Eine Woche später waren immer noch Aktivisten im Gefängnis und mit Anklagen konfrontiert wie "Angriff auf die öffentliche Ordnung" oder "Zugehörigkeit zu einer Untergrundorganisation".
Die Bewegung hat die Repression verurteilt. Sie erholt sich langsam, sie plant neue Mobilisierungen gegen den Krieg, aber auch gegen die Haltung der ägyptischen Regierung (die auch von Demonstrationen in Syrien angeprangert wurde) und gegen die Repression. Wie die Demonstrierenden in Tunesien am 24. und 25.März riefen: "Mubarak, du Schwächling, das ägyptische Volk lässt sich nicht demütigen!"

Layla Badawi, Kairo

* Dieses Bündnis umfasst das Volkskomitee zur Unterstützung der Intifada, die Ägyptische Gruppe gegen die Globalisierung, zahlreiche NGOs u.a. Initiiert wurde sie von verschiedenen Strömungen der Linken und extremen Linken sowie von der nasseristischen Strömung.
Protestbriefe sind erwünscht, an: Staatspräsident Mohammed Hosni Mubarak, Abedine Palace, Kairo, Ägypten.



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