SoZ Sozialistische Zeitung |
Unter den Schlägen der Repression durch eine geschwächte und bedrängte Regierung setzt die
ägyptische Antikriegsbewegung ihre Mobilisierung fort.
In Kairo wird man sich noch lange an den 20.März 2003 erinnern, den Tag, an dem fast
20000 Demonstrierende vom Mittag bis Mitternacht einen der zentralen Punkte der Stadt, den Tahrir-Platz, besetzt hielten. Dies hatte es seit 1972 nicht mehr
gegeben. Damals war es die Studentenbewegung, die dort bis zum Morgengrauen ausharrte. Diesmal waren alle Generationen vereint: Schüler und
Studenten, aber auch Angestellte, Arbeiter, Rentner…
Das Bündnis von Organisationen, das die Mobilisierungen gegen den Krieg leitete*,
hatte für den Tag nach der Invasion zu einer Versammlung auf dem Platz aufgerufen. Die Initiative übertraf alle Erwartungen. Es ist ein bedeutender
Erfolg für die Aktivisten, die trotz der schlechten Erfahrungen vom 15.Februar weiterhin Mobilisierungen organisieren: Damals waren nur etwa 1000
Demonstrierende gekommen, die von einer zehnfachen Anzahl Polizisten eingekreist wurden.
Am 20.März auf dem Tahrir-Platz war es anders. Massenhaft, aber ruhig: kein Stein flog
gegen die Schaufenster der Fast-Food-Restaurants. Zu Zusammenstößen kam es hingegen, als die Demonstrierenden versuchten, zur US-Botschaft
vorzudringen; laut Al Jazeera gab es 150 Verletzte.
Viele Losungen griffen Präsident Mubaraks Haltung zum Krieg an, aber auch die
Verantwortung der Regierung für die wirtschaftliche und soziale Krise, die gegenwärtig das Land kennzeichnet. Die Staatsmacht wurde
ausmanövriert; sie war von der Mobilisierung überrascht. Vertreter des Regimes ließen verlauten, wenn man nicht eingreife, werde es zu
einem neuen Januar 1977 kommen damals gab es die "Brotrevolte", die von Sadat blutig unterdrückt wurde.
Auf der anderen Seite gelangten die Aktivisten zur selben Analyse. Die Abwertung des Pfunds
(innerhalb eines Monats ist der Euro von 4,7 auf 6,1 Ägyptische Pfund gestiegen) hat zur Erhöhung der Preise geführt, auch bei
Grundnahrungsmitteln wie Öl, Zucker, Mehl, Linsen u.a. Eine Erhöhung der Preise für alle Verkehrsmittel ist für den Sommer
vorgesehen. Die Bevölkerung versinkt zunehmend in einen Zustand verallgemeinerter Verarmung. Die Regierung war deshalb zu Recht alarmiert.
Am darauffolgenden Tag hatten sich die Demonstrierenden am selben Platz und zur selben
Stunde verabredet, nach dem Freitagsgebet. Aber die Repression setzte nun schon beim Verlassen der Moschee ein; deren Tür wurde eingedrückt.
Am Ausgang warteten Wasserwerfer und Soldaten der zentralen Sicherheitsorgane. Kleine Gruppen von Demonstranten gelangten gleichzeitig zum Tahrir-Platz.
Kleine Demonstrationen tauchten überall auf, Gruppen von Kriegsgegnern strömten von den Seitenstraßen auf den Platz.
Außer einer französischen Flagge gab es keine Transparente und Fahnen. Einige
Aktivisten gingen in einer Menge verloren, die zu organisieren ihnen nicht gelang. Es handelte sich um eine spontane Explosion. Fast 50000 Demonstrierende
genossen zum ersten Mal das Glück, durch die Straßen einer Stadt zu gehen, die aus dem Alltag austrat; sie skandierten dabei Losungen der
Solidarität mit dem irakischen und palästinensischen Volk, aber auch gegen die ägyptische Regierung: "Eins, zwei, drei wo ist
die Armee?", "Ein Dollar = 7 Pfund".
An den Rändern des Platzes verstärkte sich die Repression. Vor den
Wasserwerfern zurückweichend, zerrissen Demonstranten ein Mubarak-Bild und riefen: "Regierungsschund!"
Während die Ordnungskräfte erstaunlicherweise Distanz hielten, ging ein
Feuerwehrwagen in Flammen auf, was später der Regierung als Rechtfertigung für die Repression diente. Soldaten der Sicherheitszentrale
verfolgten daraufhin Demonstranten bis in die Seitengassen der angrenzenden Wohnviertel, Polizeihunde vor sich herführend.
Am Abend kam es zu einer Horrorszene, als Sicherheitskräfte den Sitz der
Anwaltsvereinigung stürmten, wo Demonstranten Zuflucht gesucht hatten. Polizeihunde wurden im Inneren des Gebäudes losgelassen, vier
Parlamentsabgeordnete geschlagen und aufs Geratewohl Festnahmen durchgeführt. Die Bilanz des Abends waren über 1000 Festnahmen und
Hunderte Verwundete.
Am Tag darauf nahm die Polizei willkürlich Passanten auf dem Tahrir-Platz fest und
stellte Listen über gesuchte Aktivisten zusammen. Auf den Polizeistationen und auf dem Gelände der zentralen Sicherheitsorgane, wo
Demonstranten festgehalten wurden, wurden Frauen und Männer mit beispielloser Brutalität geschlagen.
Eine Woche später waren immer noch Aktivisten im Gefängnis und mit Anklagen
konfrontiert wie "Angriff auf die öffentliche Ordnung" oder "Zugehörigkeit zu einer Untergrundorganisation".
Die Bewegung hat die Repression verurteilt. Sie erholt sich langsam, sie plant neue
Mobilisierungen gegen den Krieg, aber auch gegen die Haltung der ägyptischen Regierung (die auch von Demonstrationen in Syrien angeprangert wurde)
und gegen die Repression. Wie die Demonstrierenden in Tunesien am 24. und 25.März riefen: "Mubarak, du Schwächling, das
ägyptische Volk lässt sich nicht demütigen!"
Layla Badawi, Kairo
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04