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Wenn wir aus der Geschichte der Weimarer Republik lernen wollen, sollten wir uns an den Mann erinnern, der so früh, so
klar, so beharrlich wie keiner vor Hitler gewarnt hat: Carl von Ossietzky (dessen Todestag sich am 4.Mai zum 65.Mal jährt).
Sein publizistisches Werk (das bei Rowohlt komplett erschienen ist und jetzt im Internet zu
Ramschpreisen angeboten wird) lehrt: Das Nazi-Regime kam nicht etwa am 30.Januar 1933 unversehens über das deutsche Volk, es war kein
nächtlicher Spuk, der dann etwa am 8.Mai 1945 ebenso plötzlich zu Ende gewesen wäre, sondern es war das Ergebnis konsequenter
Zerstörung alles dessen, was die Revolutionäre von 1918/19 erkämpft hatten, das Ergebnis konsequenter Wiederermächtigung derer,
die den Ersten Weltkrieg gewollt, geführt und verloren hatten und nie aufhörten, nach Revanche und Weltherrschaft zu streben. Sie hassten
Ossietzky und verfolgten ihn lange vor 1933.
Das Reichsgericht verurteilte Ossietzky 1931 wegen Landesverrat und Geheimnisverrat. In der
von ihm geleiteten Weltbühne war ein Artikel über die geheime Aufrüstung erschienen, mit der sich die Reichswehr über die von
Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg eingegangenen verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen hinwegsetzte. Die militärische
Führung hatte darauf gedrungen, dass Ossietzky als verantwortlicher Redakteur bestraft wird, und in diesem Sinne handelte die Justiz ganz so
beflissen, so reaktionär, wie Ossietzky, Tucholsky und andere Weltbühne-Autoren sie immer schon charakterisiert hatten.
Das Urteil gegen Ossietzky war ein Urteil gegen das Recht der Presse, die Wahrheit zu
verbreiten, gegen das Recht der Bürgerinnen und Bürger, die Wahrheit zu erfahren, ein Urteil gegen das Öffentlichkeitsprinzip, das
republikanische Kernprinzip, ein Urteil für die Kriegsvorbereitung, für die Militarisierung der Gesellschaft. Die beteiligten Juristen machten im
Nazi-Staat weiter Karriere. Die bundesdeutsche Justiz weigert sich bis heute, dieses Urteil aufzuheben.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit langem angewöhnt, die Offiziere des
20.Juli 1944 als den deutschen Widerstand zu ehren. Es ist eine Schande, dass ausgerechnet diejenigen zu Repräsentanten des Widerstands erklärt
werden, die überwiegend selber zu den Tätern, den Mitschuldigen an Kommunistenverfolgung, Judenverfolgung, Raub- und Vernichtungskrieg
gehörten und sich gegen Hitler erst verschworen, als nach dem sowjetischen Sieg in Stalingrad und am Kursker Bogen und nach der Landung der
Westalliierten in der Normandie die militärische Niederlage Nazi-Deutschlands absehbar und nicht mehr aufzuhalten war. Einigen dieser Offiziere ging es
gar nicht um ein neues, demokratisches Deutschland, eher um ein Bündnis mit Großbritannien und den USA, um den Krieg im Osten doch noch
gewinnen zu können.
Gewiss sind Männer wie Stauffenberg, die ein Jahr vor dem Ende absprangen,
höher zu schätzen als diejenigen, die bis zuletzt fanatisch durchhielten und weiterhin Millionen und Abermillionen Menschen opferten und
später die Bundeswehr aufbauen durften. Die für uns wichtigste Tradition des Widerstands aber ist die, die am weitesten zurückreicht: die
Tradition des frühzeitigen, klarsichtigen, konsequenten Kampfs gegen Hitler und seine Förderer, die sich von ihm maximalen Profit versprachen.
Im März 1921 zwölf Jahre, bevor die zwölfjährige Hitler-Regierung begann schrieb Carl von Ossietzky:
"Das Kaiserreich ist zugrunde gegangen an der militärischen Ideologie, die es so fleißig ausgestreut. Die erste Tat der Republik hätte
sein müssen: ein unzweideutiges Abrücken von dem Bannkreis jener Gedanken. Das ist nicht geschehen. Schlimm genug war, dass man alte
Formationen mit ihren reaktionären Führern geschlossen übernahm schlimmer war es, dass man sich nicht frei machen konnte von
der Vorstellung, ein moderner Staat brauche, um die Achtung der Welt zu genießen, eine starke Wehrmacht … Die Republik hätte sich zu einem
neuen Geist bekennen müssen. Sie hat es versäumt, als es Zeit war. Sie hätte einen Strich machen müssen unters Vergangene
und sie zog einen dicken, weithin sichtbaren Bindestrich."
Im selben Jahr, im September 1921, schrieb Ossietzky über Hitlers "National-
Sozialistische Partei", es sei "ein Irrtum", in ihr nicht mehr zu sehen als "eine Krakeelerbande und Stuhlbeingarde".
Tatsächlich handele es sich "um einen äußerst raffiniert arbeitenden und äußerst skrupellosen Geheimbund und eine
Stoßtruppe der Gegenrevolution". Ossietzky sprach von "desperaten und zu allem fähigen Burschen". Dieser Gesellschaft gelinge
es, "eine Pogromstimmung vorzubereiten". Da würden Flugblätter verbreitet gegen die "Saujudenregierung" in Berlin. Es
werde versucht, oppositionelle Politiker und Publizisten durch Ankündigungen bevorstehender Mordanschläge einzuschüchtern.
Und in diesem Artikel wies Ossietzky auch darauf hin, dass Hitler damals in München
"allgemein als das Protektionskind des Herrn Polizeipräsidenten" galt und "dass, als schließlich doch die Polizei einige der
Flugblattverteiler festnehmen musste, darunter einer als Polizeibeamter entlarvt wurde". Zudem erwähnte Ossietzky einen Münchener
Fabrikanten, der sich als Mäzen dieser Gesellschaft hervortat.
So waren Hintergründe und Triebkräfte des Nazismus schon 1921 beschrieben:
die alten militärischen und militaristischen Formationen mit ihren reaktionären Führern, daraus entstehend eine "Stoßtruppe der
Gegenrevolution", finanziert mit Industriespenden, gefördert von reaktionären Kräften im Staatsapparat, namentlich in der Polizei (die
damals auch die Funktion der heutigen sog. Verfassungsschutzbehörde hatte). Und was die Nazis verbreiteten, war Gewalt verheißende
Einschüchterungspropaganda gegen die junge Demokratie, wobei sie von vorn herein an antisemitische Vorurteile appellierten und sie schürten.
In der ganzen Zeit der Weimarer Republik warnte Carl von Ossietzky vor den gesellschaftlichen Kräften, die auf Hitler setzten und ohne die er
nie Reichskanzler hätte werden können. Mit zunehmender Deutlichkeit warnte er vor dem Monopolkapital, dessen Herrschaftsanspruch keine
Grenzen kennt.
Mit all diesen Analysen und Warnungen behielt er Recht und musste es am eigenen
Leibe erfahren: Nach der Haft in Berlin-Tegel, zu der ihn das Reichsgericht verurteilt hatte, wurde er 1933 unmittelbar nach dem Reichstagsbrand wieder
verhaftet, kam ins KZ Sonnenburg und dann nach Esterwegen. Die Quälereien, denen er hier ausgesetzt war, ruinierten seine Gesundheit. Hinfällig
wie ein Greis war der Mittvierziger, als er nach der Nominierung zum Friedensnobelpreis in die begrenzte Freiheit eines Berliner Krankenhauses entlassen
wurde, wo er 1938 an den Folgen der Haft starb. Den Nobelpreis konnte er nicht entgegennehmen. Das Preisgeld wurde veruntreut. Hitler befahl, nie wieder
dürfe ein Deutscher einen Nobelpreis bekommen.
Hat Deutschland nach 1945, nach seinem zweiten verlorenen Weltkrieg, den Schlussstrich
gezogen oder war es wieder ein Bindestrich? Im Potsdamer Abkommen trafen die Hauptsiegermächte 1945 durchaus im Einvernehmen
mit den Überlebenden des antifaschistischen Widerstands Vorkehrungen, um dem Nazismus und dem deutschen Militarismus auf Dauer den Boden
zu entziehen. Dazu gehörten die gründliche Entnazifizierung des Staatsapparats, die Auflösung und das Verbot aller militärischen
Verbände, aller militaristischen und nazistischen Organisationen, die Demontage der Rüstungsindustrie, die Entflechtung des Monopolkapitals, der
großen Konzerne, an deren förderndem und nutznießendem Verhältnis zum Nazismus kein Zweifel bestand.
Doch nach wenigen Jahren waren alle wieder da, sogar die großen
Rüstungsgewinnler wie Flick und Krupp. Die Konzerne gewannen weiter an ökonomischer und politischer Macht. Zutreffend konstatierte der DGB
in den 60er Jahren in seinem damaligen Grundsatzprogramm die Wiederherstellung der alten Macht- und Besitzverhältnisse.
Als Beispiel will ich nur die Konzentration und Monopolisierung in der Medienindustrie
erwähnen. Der in den 20er Jahren entstandene reaktionäre Hugenberg-Konzern, der zu den Totengräbern der Weimarer Republik
gehörte, war ein Zwerg gemessen an den riesigen Medienkonzernen von heute, die im Wesentlichen alle die gleiche Tendenz haben. Unisono propagieren
sie die freie Marktwirtschaft, zu der sie den Monopolkapitalismus umlügen, und eine immer stärkere militärische Rolle der BRD.
Selbstverständlich fehlt es nie an irgendwelchen humanitären Begründungen für Militäreinsätze und an angeblichen
Notwendigkeiten für Einschnitte in soziale Errungenschaften. In aller Regel erweisen sich die Propagandabehauptungen schon bald, nachdem sie ihre
Wirkung getan haben, als Propagandalügen.
Die Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen Propaganda, die das Volk hindert,
sich gegen Uniformierung, Entrechtung und Enteignung zu wehren, halte ich nach wie vor und mehr denn je für eine entscheidende Aufgabe: die
beharrliche Aufklärung, wie sie einst Carl von Ossietzky geleistet hat übrigens ein kleiner, bescheidener Mann aus armen
Verhältnissen, der fast zeitlebens in Untermiete gewohnt hat.
Eckart Spoo
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