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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 20

Mord & Totschlag

Martin Cruz Smith, Die schwarze Rose, Goldmann-Taschenbuch, 1998, 447 S., 8,50 Euro

"Hast du ihn geliebt? Blair, meine ich." "Klar. Den Hund habe ich geliebt, und um ehrlich zu sein, war der Hund liebenswerter als Blair oder ich."
Hier ist nicht von Tony Blair die Rede, sondern vom Ziehvater des Jonathan Blair, der männlichen Hauptfigur in Martin Cruz Smiths Roman Die schwarze Rose, der 1996 zum ersten Mal in deutscher Sprache verlegt wurde.
1876 hängt der in den USA aufgewachsene Bergbauingenieur Jonathan Blair an Malaria und Typhus erkankt in London herum mit dem sehnlichen Wunsch, nach Westafrika zu seiner Tochter zurückkehren zu können. Bei seinem letzten Aufenthalt an der Goldküste hat er sich den imperialen Zielen des British Empire verweigert, unter dem Vorwand der Abschaffung der Sklaverei, mitzuhelfen, das Königreich der Ashanti auszulöschen. Sein ehemaliger Auftraggeber, Bischof Hannay, schlägt ihm einen Deal vor. Wenn Blair herausbekommt, weshalb der Verlobte seiner Tochter Charlotte, der Hilfsprediger John Maypole, spurlos verschwunden ist, wird Blair genügend Geld für eine Passage von Liverpool nach Westafrika erhalten. Blair nimmt das Angebot an und begibt sich auf eine Zugreise in das Dorf Wigan, wo einer der wildesten Stämme des Empire lebt, arbeitet und leidet: Bergleute.
Wie auf einem fremden Planeten bewegt sich Blair zwischen dem aristokratischen Hannay- Clan, der das Land und die meisten Gruben besitzt und den Kumpel, deren gespensterhaftige morgendliche Prozessionen zu den Pütts den mit Chinin und Gin vollgepumpten "Detektiv" aus dem Schlaf reißen. In den Kneipen wird ihm mit Misstrauen begegnet, die wilden Hinterhofkämpfe der Männer, die nicht mit Fäusten aufeinander losgehen, sondern sich mit ihren Holzschuhen die Knochen eintreten, entfalten eine bedrohliche Atmosphäre für den Außenstehenden. Die Menschen haben ihre eigene Ordnung und wenn sich die Obrigkeit an einem von ihnen vergreift, wird auch schon mal das Rathaus gestürmt. Ordnung bedeutet aber auch, dass der Gewerkschaftsvertreter sich für den Ausschluss der Frauen von den Zechen stark macht. Ihnen ist es schon nicht mehr möglich, einzufahren, aber über Tage verteidigen die Kohlefrauen ihr Recht auf Arbeit.
Fasziniert von diesen selbstbewussten Frauen verliebt sich Blair in die Arbeiterin Rose Malyneux , der weiblichen Antipode zur blasierten Charlotte Hannay und muss dafür heftige Prügel einstecken. Mit seinem Auftrag, John Maypole ausfindig zu machen, kommt Blair nicht weiter. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem schweren Grubenunglück, bei dem 66 Bergleute ums Leben kamen und dem Verschwinden des Predigers, dessen sehnlichster Wunsch zu sein schien, das Los der Kumpel zu teilen?
Martin Cruz Smith, bekannt durch Gorki-Park und Nacht in Havanna hat mit dem historischen Kriminalroman Die schwarze Rose sein bislang bestes Buch veröffentlicht und es ist in gewisser Weise eine — bewusste? — Wiedergutmachung an den Menschen im black country, über deren politischen Bewusstsein George Orwell (bürgerlich: Eric Blair) in Der Weg nach Wigan Pier in abschätziger Weise geschrieben hat (siehe SoZ 3/03). Ohne Reduktion auf das Motto "Hart, aber herzlich" beschreibt Cruz Smith die überlebensnotwendige Solidarität unter Tage, die Arbeitsqual für Menschen und Tiere, die Verhärtung und auch gegenseitige Hilfe hervorbringt. Wie nebensächlich erscheint dabei das Schicksal eines schwärmerischen kleinen Predigers, auch wenn der selbst nur Opfer in einer von den Hannays beherrschten Welt ist.

Udo Bonn
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