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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 4

SPD-Parteitag in Berlin

IG BAU bläst zum Protest

von LOTHAR NÄTEBUSCH

Die IG BAU hat zur Protestdemonstration vor dem SPD-Parteitag am 1.Juni in Berlin aufgerufen. Sie hat darüber hinaus dieses Vorhaben in die Initiativgruppe für ein Berliner Sozialforum getragen und angeregt, dass das Sozialforum Trägerin eines breiten Protestbündnisses wird. Was hat uns dazu bewogen?
Zum einen die Situation im Baubereich im allgemeinen, in Berlin im besonderen. Kein Bereich ist mit so vielen Problemen behaftet wie dieser. Wenn die Arbeitslosigkeit bundesweit in der Branche bei ca. 35% liegt, sind es in Berlin über 50%. Selbst zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 war die Arbeitslosigkeit im Baubereich Berlin nicht so hoch.
Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Viele Kolleginnen und Kollegen sind von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Der Berliner Senat hat seine Bautätigkeit drastisch zurückgefahren wegen seiner Schulden bei den Banken. Illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit verschärfen die Situation zusätzlich. Und es gibt nicht wenige Unternehmer, die gleichzeitig die Tarife unterlaufen. Hinzu kommt, dass viele gesetzliche Veränderungen, wie die "Riester-Rente", "Hartz-Kommission", "Rürup-Kommission", "Agenda 2010" unmittelbare Auswirkungen auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen haben. Die Umverteilung von unten nach oben hat unerträgliche Ausmaße angenommen.
Viele Kollegen sagen jetzt immer häufiger, das Maß ist mehr als voll. Wut und Empörung macht sich auf vielen Versammlungen Luft. Gleichzeitig begreifen sie, dass das allein nicht ausreicht. Sie verlangen, dass wir unsere Forderungen und Probleme öffentlich machen, auf die Straße tragen. Möglichst mit vielen Kollegen aus anderen Gewerkschaften und Organisationen gemeinsam. Dem kommen wir mit dem Protest am 1.Juni nach.
Die entscheidende Frage wird sein, ob es gelingt, alle Gewerkschaften im Kampf gegen den Sozialabbau zu mobilisieren. Dafür kann dieser 1.Juni, neben den bereits angekündigten Aktionstagen von DGB, Ver.di und IG Metall, eine wichtige Funktion erfüllen.
Doch dürfen wir es dabei nicht belassen. Aktionstage allein reichen nicht aus. Auf dem SPD-Sonderparteitag wird es möglicherweise kosmetische Korrekturen geben, und zwar bei den Regelungen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Dort wird es eher Korrekturen zum Negativen hin durch CDU/CSU und FDP geben, denen man dann den "schwarzen Peter" zuspielen wird.
Es mehren sich die Stimmen, die sagen, wir müssen es unseren Kollegen in Österreich und in Frankreich nachmachen. Die Stimmungslage in den Gewerkschaften hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Kriege in der Welt sowie der damit weltweite Sozialabbau hat Erkenntnis wachsen lassen.
Vom Sozialabbau sind nicht nur Gewerkschafter betroffen, sondern breite Teile der Bevölkerung. Der Abwehrkampf ist deshalb nur dann erfolgreich zu führen, wenn wir aufeinander zugehen und ein möglichst breites Bündnis herstellen.
In diesem Juni begeht man den 50.Jahrestag des Aufstands in Ostberlin, bei dem die Bauarbeiter eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Die Zeit des Kalten Krieges hat die Menschen in dieser Stadt besonders geprägt. Die IG Bau war damals eine Speerspitze des Antikommunismus in der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, geboren aus den Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus, wurde dabei nicht selten verletzt. Und manchem Kollegen Unrecht getan. Es wäre sicher illusionär zu meinen, dass der Antikommunismus überwunden ist. Er ist nicht gänzlich verschwunden, aber er funktioniert nicht mehr so. In zunehmendem Maße begreifen die Kollegen, dass Abwehrkämpfe dadurch geschwächt und gesellschaftlichen Alternativen der Weg versperrt wird.
Über den 17.Juni gibt es im DGB, aber auch in der IG BAU, sehr divergierende Sichtweisen. Der 17.Juni war weder ein "Volksaufstand" noch ein "faschistischer Putsch". Mir haben Kollegen aus Berlin (West) erzählt, wie sie seinerzeit in Versammlungen Aktionen für den Tag X in Berlin (Ost) vorbereitet haben. Das war schon sehr fragwürdig. Sie waren ja nun mal nicht von den Normerhöhungen betroffen. Also, es gab da offensichtlich Interessen, Konzepte und Verbindungen, um die Unzufriedenheit bei nicht wenigen DDR-Bürgern dafür zu nutzen, die Machtverhältnisse zugunsten des deutschen Kapitals zu verändern. Das scheiterte damals.
Der DGB hat für diesen Tag ein medienwirksamer Gedenktag geplant. Die gesamte Konzeption krankt daran, dass es im Vorfeld keine breite Diskussion in den Gewerkschaften gegeben hat. Hat man davor Angst und die Flucht nach vorn angetreten?

Der Autor ist Bezirksvorsitzender der IG BAU in Berlin.



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