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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 5

‘Das kann nicht gut gehen‘

Ludwig Watzal über den Nahostkonflikt nach dem Irakkrieg und die Perspektiven des Friedensfahrplans

Der Irakkrieg hat zwar nicht zu der von vielen gefürchteten israelischen Vertreibung der Palästinenser aus der Westbank und dem Gazastreifen geführt. Trotzdem ist der Nahostkonflikt weiter eskaliert. Fast 100 Tote und mehrere Hundert Verletzte sind erneut zu beklagen. Für die SoZ sprach Christoph Jünke mit Ludwig Watzal, Journalist und Autor mehrerer Bücher zum Nahostkonflikt (zuletzt 2002 Feinde des Friedens. Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern im Aufbau-Taschenbuch-Verlag).

Welche Konsequenzen hat der Irakkrieg für den Konflikt in Palästina und Israel?

Ludwig Watzal: Der Irakkrieg muss auch im Zusammenhang gesehen werden mit dem 11.September. Der 11.September hat m.E. viele Werte, für die der Westen stand, außer Kraft gesetzt, insbesondere auch den Wert des Völkerrechts. Seitdem dominiert der Kampf gegen den Terrorismus. Im Zuge dieses Kampfes geriet der Irak ins Fadenkreuz, da man ihm unterstellte, er unterstütze auch Terroristen. Die Konsequenz war, dass Ariel Sharon sofort auf diesen Zug des Kampfes gegen Terror aufgesprungen ist. Es ist ihm gelungen, der Welt weis zu machen, dass es sich bei dem Befreiungs- und Unabhängigkeitskampf der Palästinenser um Terrorismus handele. Von daher hatte er freie Hand in seinen sog. Antiterrormaßnahmen. Bis zu dem Punkt, dass Arafat überleben müsse, hat Bush jr. ihm diese freie Hand gelassen. Das ist verhängnisvoll.
Und die Konsequenz sowohl aus dem Kampf gegen den Terrorismus als auch aus dem Irakkrieg ist, dass Israel entgegen aller Völkerrechtsnormen, entgegen aller politischen und moralischen Normen gegen die Palästinenser vorgegangen ist. Man hat massiv US-Militärtechnologie eingesetzt, Kampfhubschrauber, F16-Kampfbomber und schweres militärisches Gerät, um gegen einen Unabhängigkeitsaufstand vorzugehen und ihn mit brutaler Gewalt nieder zu schlagen. Dass Israel es sich leisten kann, im 21.Jahrhundert ein solches brutales Besatzungsregime aufrechtzuerhalten, ist der eigentliche Skandal.

Mit dem Ende des Irakkriegs begann die verbale Offensive gegen Syrien und den Iran als vermeintliche Helfer des irakischen Regimes. Syrien und Iran sind aber vor allem die Hauptunterstützer des islamistischen Fundamentalismus in Palästina. Man kann also auch hier einen direkten Zusammenhang sehen, denn es war ja klar, dass der Nahostkonflikt nach dem Irakkrieg erneut die zentrale Rolle spielen wird. Nun wird also Druck gemacht auf die noch verbliebenen Bündnispartner des palästinensischen Widerstands.?

In der Tat. Die Argumentationskette, mit der Syrien und der Iran nun ins Fadenkreuz geraten sind, ist sehr ähnlich: Paul Wolfowitz, der stellvertretende US-Verteidigungsminister, hat Syrien vorgeworfen, es habe Massenvernichtungswaffen. Dafür gibt es keinerlei Beweise. Das andere Argument war, Syrien unterstütze den Terrorismus, ein Argument, das der Differenzierung bedarf. Drittens müsse Syrien von einem Diktator befreit werden.
Wir haben also das gleiche Drehbuch wie bei Saddam. Noch versucht man es mit Diplomatie, und die Syrer gehen bereits vorsichtig auf die Forderungen der USA ein. Sie haben angekündigt, die Aktivitäten der verschiedenen palästinensischen Gruppen, die ja in Damaskus ihre Büros haben, einzuschränken. Auch die Unterstützung für die Hisbollah soll zurückgefahren werden. Der iranische Präsident Khatami hat soeben einen Besuch im Libanon gemacht und die Arbeit der Hisbollah quasi als rein innerlibanesische Angelegenheit bezeichnet.

Die Diskussion um den Nahostkonflikt konzentriert sich nun auf den sog. Friedensfahrplan von USA, Russland, EU und UNO. Welchen Charakter hat dieser Plan, zumal, wenn man ihn mit früheren Friedensplänen vergleicht??

Was die Realisierung dieser "Roadmap", dieser Straßenkarte zum Frieden, angeht, bin ich sehr skeptisch. Es ist zwar ein Gesamtkunstwerk des Quartetts, in dem zum ersten Mal die Zielmarke der Gründung eines palästinensischen Staates (bis 2005) formuliert wurde. Aber schon jetzt sind die Vorbehalte gegen diesen Plan vor allem von israelischer Seite so groß, dass man skeptisch sein muss. Sharons Äußerungen sind sehr widersprüchlich. Den Stopp des Siedlungsbaus hat er in einem Interview vor einigen Wochen in Aussicht gestellt, doch vor einigen Tagen hat er dies eindeutig dementiert: Es werde keine Einschränkung der Siedlungstätigkeit geben.
Bei seinem geplanten Besuch bei Bush hat er bereits eine Liste von 15—17 Einwänden gegen die "Roadmap" angemeldet. Und die Signale aus Washington, dass man auf diese Einwände eingehen wolle, sind offensichtlich. Vor einigen Wochen war Elliot Abrahams, der ultrakonservative Bush-Berater für den Nahen Osten, bereits bei Sharon und hat bei seinen Vorgesprächen sehr viel Verständnis für die israelischen Einwände gezeigt.
Wenn von Seiten der Amerikaner diesen Einwänden nachgegeben wird, verlieren die USA völlig ihre Glaubwürdigkeit. Doch das scheint der Bush-Regierung egal, solange sie ihre Tagesordnung durchsetzen kann. Auch wenn die "Roadmap" von dem Quartett erstellt wurde, ist sie doch ein US-amerikanisch-israelischer Plan, der, wenn er eins zu eins umgesetzt wird, keinen unabhängigen Palästinenserstaat zur Folge hat, sondern mehr eine Art der durch israelisches Militär bewachten Ghettoisierung der Palästinenser. Das auch im Plan selbst anvisierte Ziel eines freien, unabhängigen und lebensfähigen Palästinenserstaats kann ich mir nach diesem Fahrplan und dem jetzigen Vorgehen nicht vorstellen.

Aber der palästinensische Ministerpräsident Mahmud Abbas (Abu Mazen) hat seine Zustimmung zum Fahrplan bereits gegeben. Die Palästinenser sind verzweifelt bemüht, den Fahrplan zu bedienen. Wie stellt sich die Lage in Palästina dar? Mahmud Abbas macht doch den starken Eindruck einer "Marionette" Washingtons, es fehlt ihm in seinem eigenen Lager offensichtlich an Rückhalt.?

Ich würde nicht so weit gehen, Abbas jetzt schon als eine Marionette der USA zu bezeichnen. Den Palästinensern bleibt nichts anderes übrig, als diesen für sie nicht sehr positiven Fahrplan anzunehmen. Für sie ist er eine neue Möglichkeit, überhaupt wieder mit Israel ins Gespräch zu kommen. Doch seit der Verkündigung dieses Plans hat Israel alles getan, ihn erneut zu torpedieren. Die brutale Gewalt in den besetzten Gebieten geht mit jedem Tag weiter und deutet daraufhin, wohin die Sache laufen soll. Abbas Machtposition ist in der Tat nicht gefestigt. Noch immer ist Arafat im Hintergrund aktiv und kontrolliert einige Sicherheitskräfte, und ich kann mir bei dieser starken Machtposition Arafats nicht vorstellen, das Abbas irgend etwas tut, ohne es vorher mit Arafat abzustimmen.

Auf der einen Seite haben wir den durch die israelischen Wahlen, die USA und den Irakkrieg gestärkten Sharon, auf der anderen Seite die geopolitisch geschwächten und zerstrittenen Palästinenser. Droht eine Spaltung innerhalb Palästinas??

Sharon ist in der Tat sehr stark, über 70% der Israelis unterstützen seine verhängnisvolle Politik. Auf der anderen Seite wünschen sich fast ebenso viele den Frieden mit den Palästinensern. Inwieweit es auf palästinensischer Seite zu einer Spaltung kommen kann, hängt davon ab, ob es Abbas gelingt, im Gespräch mit Sharon zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Eine entsprechende Geste Sharons würde seine Position stärken. Wenn er jedoch nur als quasi Befehlsempfänger aus diesen Gesprächen herauskommt, ist sein Ende nah, denn das wird ihn völlig diskreditieren.
Bisher fährt er jedenfalls nicht die harte Linie einer gewaltsamen Entwaffnung von Hamas und Islamischem Jihad, die ihm die USA und Israel nahe legen. Er versucht eher die weiche Linie eines Waffenstillstands mit ihnen. Wenn ihm diese Strategie gelingen würde, wäre seine Position gestärkt. Doch ich glaube nicht, dass Israel an dieser Strategie ein großes Interesse hat.

Die Meinung der Europäer scheint in diesem ganzen Konflikt keinerlei Rolle mehr zu spielen. Solana wurde von Sharon einfach ausgeladen, weil er sich auch mit Arafat und Abbas treffen wollte.?

Europa spielt in dem ganzen Quartett eine marginale Rolle. Schon die Art der Übergabe der "Roadmap" ist hier ein Zeichen. An Sharon wurde sie vom US-amerikanischen Botschafter in Israel übergeben, an die Palästinenser von dem UNO-Bauftragten Larsson. Die EU spielte hier keine Rolle.
Israel jedenfalls lehnt die EU als einseitig ab, will sie aber mit im Boot haben, weil sie die EU als Finanzier der von ihr angerichteten Verwüstungen braucht. Politisch hat die EU keinen Einfluss mehr.

Welche Rolle spielt dabei Deutschland? Welche Rolle kann es spielen??

Unser Außenminister hat sich ja zu Recht intensiv eingemischt in die Politik des Nahen Ostens, jedoch mit einer leichten Schieflage. Fischer hat immer nur die Terroranschläge der Palästinenser verurteilt, aber eisern geschwiegen zu den Vandalismen und den gezielten extralegalen Tötungen durch das israelische Militär. Man muss sich das klar machen: Eine demokratisch gewählte Regierung beauftragt Soldaten, gezielt gewisse palästinensische Politiker zu liquidieren.
Das ist ein Verstoß gegen jede Rechtsnorm, sowohl völkerrechtlich wie auch innerstaatlich. Das hat nichts mit Selbstverteidigung zu tun, den man hätte alle diese Leute auch verhaften könne. Das haben wir ja im Falle Marwan Barghutis gesehen. Dies zu kritisieren wäre die Aufgabe der deutschen Regierung gewesen und ist nicht geschehen.
Ebenso moralisch verwerflich ist die Häuserzerstörung. Nicht nur, dass Häuser von Terroristen zerstört werden, man bestraft die ganze Familie, die dafür eigentlich nichts kann. Das widerspricht der vierten Genfer Konvention und dem Völkerrecht und gehört intensiv kritisiert. Dazu hätte sich auch der Außenminister äußern müssen.
Der vertritt jedoch die Meinung, dass es Deutschen aufgrund unserer verhängnisvollen Geschichte nicht zusteht, Israel zu kritisieren. Das kann kein überzeugendes Argument sein, denn es geht um eindeutige Rechtsverstöße, die benannt und kritisiert werden müssen — wenn auch nicht mit erhobenem Zeigefinger, wie wir das so gerne machen. Doch man unterstellt dieser Kritik, dass sie antisemitisch sei. Das ist sie natürlich nicht, solange sie sich gegen politische Entscheidungen der Regierung in Israel richtet und nicht gegen Identitäten. Die Kritik der Israelis als Israelis wäre in der Tat Antisemitismus. Die Kritik an der Politik eines Staates ist dagegen eine legitime Kritik — auch für Deutschland.

Auch hier scheint die große Lehre des Irakkriegs zu sein, dass Fragen der Macht die Fragen des Rechts in ihre Grenzen gewiesen haben.?

Dagegen muss sich aber eine Demokratie wehren. Sie beruht auf dem Recht als dem Schutz der Bürger vor dem Staat, und das Völkerrecht soll zu einem geregelten Umgang innerhalb der Staatengemeinschaft führen. Und wenn das Recht durch die Macht ausgehebelt wird, müssen sich Demokratien zusammen tun und das kritisieren. Das ist unser Recht und unsere Schuldigkeit.

Der Sturz des Saddam-Regimes, die zunehmende politische Isolierung und Defensive der Palästinenser, die Schwäche der EU — sind all dies nicht sogar Indizien, die erwarten lassen, dass die Palästinenser eher mehr denn weniger zu militärischen Verzweiflungstaten greifen werden??

Das ist denkbar. Man muss verstehen, dass die Terroranschläge nicht aus Jux und Dollerei begangen werden, dass die palästinensischen Terroristen nicht einfach so vom Himmel fallen. Ein Volk, das so in die Hoffnungslosigkeit getrieben wurde, das eingemauert wird, dessen Existenzgrundlagen man zerstört, dessen Territorium man kolonisiert, greift zu solchen Verzweiflungstaten. Das heißt nicht, dass die willkürlichen Terroranschläge im israelischen Kernland gerechtfertigt sind — ich halte sie für abscheulich und unmoralisch —, aber man muss das ganze Bild sehen. Der Terror muss gestoppt werden, ja — aber zuerst muss die Besatzung beendet werden, denn das eine ist die Ursache das anderen.
Die Terroranschläge haben sich ja sehr negativ gegen die Palästinenser ausgewirkt, in dem sie gerade hier in Europa viel Unterstützung verloren haben. Und man muss Arafat vorwerfen, dass er dies nicht unterbunden hat. Doch es kann durchaus noch zu mehr Anschlägen kommen vor dem Hintergrund der aktuellen Situation.

Sharon und die israelische Seite brauchen allerdings weniger denn je Rücksicht nehmen auf die Palästinenser. Welchen Grund hätte er, auf die Wünsche und Forderungen der Palästinenser einzugehen??

Oberflächlich betrachtet gibt es in der Tat für ihn keinen Grund, darauf einzugehen. Er hat den stärksten Freund, den man sich wünschen kann. Langfristig ist dies jedoch zu kurz gedacht. Man kann kein Volk einmauern. Das kann nicht gut gehen. Auf Dauer kann eine solche Besatzung nicht aufrecht erhalten werden. Und von daher ist der Sieg Sharons ein Pyrrhussieg.

Homepage von Ludwig Watzal.



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