SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 13

Eine Bilanz des Irakkrieges

Mehr verloren als gewonnen

Nach der erfolgreichen Invasion im Irak scheinen die USA auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Verständlich, warum viele das Gefühl haben, die USA seien unschlagbar und allmächtig. Das ist genau das, was nach dem Wunsch Washingtons die Welt denken soll.

Es gibt jedoch auch gute Gründe zu anzunehmen, dass die Macht überdehnt ist. Das wichtigste strategische Ergebnis der Besetzung des Irak ist es, diese Überdehnung noch weiter zu strapazieren, dabei wird das Missverhältnis zwischen Ziel und Mittel deutlich.
Unter den regierenden Neokonservativen ist es das Ziel der Washingtoner Regierung, eine übermächtige militärische Vorherrschaft über jedweden Rivalen zu erlangen. Der Drang nach immer größerer Vormachtstellung bringt jedoch unweigerlich Opposition hervor, und eben in dieser Opposition sehen wir die Wurzel der Überdehnung. Eine solche Macht kann durch eine starke Ausweitung der militärischen Stärke in eine schlechtere Position geraten.
Das mag surreal erscheinen, doch gibt es Anzeichen dafür:
♦  Das Unvermögen, ein US-freundliches Regime außerhalb von Kabul zu errichten;
♦  die Unfähigkeit eines zentralen Verbündeten, Israel, selbst mit Washingtons uneingeschränkter Unterstützung den palästinensischen Widerstand zu ersticken;
♦  das Aufflammen arabischer und muslimischer Proteste im Mittleren Osten, in Südasien und Südostasien, mit der Folge eines massiven Zulaufs zum islamischen Fundamentalismus, und das ist genau das, was Osama Bin Laden ursprünglich erhofft hatte;
♦  der Kollaps der Atlantischen Allianz aus dem Kalten Krieg und der Aufstieg einer neuen Allianz, die ein Gegengewicht bildet, mit Deutschland und Frankreich im Zentrum;
♦  die Herausbildung einer mächtigen globalen zivilgesellschaftlichen Bewegung gegen den Unilateralismus, Militarismus und die ökonomische Hegemonie der USA, deren jüngster Ausdruck die Antikriegsbewegung ist;
♦  der Verlust an Legitimität der US-Außenpolitik und der globalen militärischen Präsenz der USA, deren globalen Führung nunmehr selbst unter Verbündeten als imperialistische Herrschaft wahrgenommen wird;
♦  die Herausbildung einer mächtigen antiamerikanischen Bewegung in Südkorea, dem Vorposten der US-Militärpräsenz in Ostasien;
♦  die Regierungsübernahme seitens antineoliberaler und antiamerikanischer Bewegungen in Washingtons eigenem Hinterhof (Brasilien, Venezula, Ecuador), während die Bush-Regierung mit dem Mittleren Osten beschäftigt ist;
♦  eine zunehmend negative Auswirkung des Militarismus auf die Wirtschaft, da die US-Militärausgaben zunehmend von deficit spending abhängig werden und dieses zunehmend von der Finanzierung aus fremden Quellen, was die Wirtschaft, die bereits deflatorische Tendenzen aufweist, zusätzlich belastet.
Nur wenige Tage nach ihrem Sieg über eine viertrangige Macht konnten wir den politischen Treibsand erleben, den die amerikanische Invasion im Irak aufgewühlt hat, indem fundamentalistische islamische Kräfte unter den Schiiten, der größten Bevölkerungsgruppe, als die politischen Erben nach der Absetzung Saddams auftraten. Wenn Washington auf eine stabile, proamerikanische Ordnung im Mittleren Osten setzt, dann ist eine solche nirgends in Sicht. Wahrscheinlicher ist eine Zunahme der Instabilität, was Washington dazu verleiten wird, mehr militärische Macht und mehr Einheiten einzusetzen und somit eine Spirale der Gewalt in Gang zu bringen.

Das Empire wird herausgefordert

Was Afghanistan heute ist, ist wahrscheinlich der Irak morgen — d.h. eine instabile Ordnung, die zudem weder wirklich repräsentativ, noch demokratisch ist.
Eine Kombination aus der eigenen nach innen gewendeten Repressionspolitik der arabischen Regime und ihrem Unvermögen, Palästinensern und Irakis zu Hilfe zu kommen, wird diese Regime wahrscheinlich weiter an die Seite der USA treiben und in eine noch prekärere Beziehung zu den arabischen Massen.
Herausragende Beispiele dafür sind Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten. Die wahrscheinlich Folge ist die Stärkung des politischen Islam; seine Chancen, in vielen arabischen Ländern die Regierung zu übernehmen, sind gestiegen. Eine demokratische Öffnung der politischen Systeme dort — die Washington behauptet, vorantreiben zu wollen — wird ironischerweise einen solchen Prozess eher noch befördern, selbst im Irak, wo unter den Schiiten die radikale Strömung dominiert.
Dieselbe Drift kann sich leicht in anderen Teilen der muslimischen Welt abspielen, vor allem in zwei Ländern, die die USA als strategisch äußerst bedeutsam einstufen: Pakistan und Indonesien.
Ebenso wie die Sicherheit Washingtons wird auch die Sicherheit Israels weiter untergraben werden — obgleich ihre Stärkung doch ein oberstes Ziel der Neokonservativen vom Schlage Paul Wolfowitz oder William Kristol war. Zusammen mit dem Scheitern des Versuchs, auf dem Wege formaler demokratischer Mechanismen eine stabile politische Basis für die US-Hegemonie zu schaffen, wird dies die USA vor eine unangenehme Wahl stellen: den Rückzug der Truppen oder eine direkte Kolonialherrschaft. Die USA werden versuchen, eine solche Entscheidung so weit wie möglich hinauszuschieben, und sie werden immer mehr Geld und Ressourcen in politische Konstrukte stecken, die nicht funktionieren können.
Währenddessen werden lokale Varianten der neuen zivilgesellschaftlichen Bewegung für Frieden und gegen die konzerngesteuerte Globalisierung in anderen Teilen der Welt Regierungsmacht übernehmen oder damit drohen: besonders in Lateinamerika. Brasilien, Ecuador und Venezuela werden attraktivere Modelle werden, während neoliberale Ökonomien sich zunehmend diskreditieren und die Weltwirtschaft auf allen Ebenen anhaltend stagniert.
Während die USA zunehmend als universelle Bedrohung wahrgenommen werden und die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs, Deutschlands, Russlands und Chinas zunehmend in Widerspruch mit Washington geraten, werden letztere ihre Koalition, die während der Irakkrise entstanden ist, konsolidieren. Einige der gewichtigeren Länder der Peripherie, wie Brasilien, Indien und Südkorea, könnten sich der Allianz anschließen. Dieses Gegengewicht kann sich verstetigen, selbst wenn die Beteiligten wechseln.
Eine Folge dieser diplomatischen Allianz wird eine engere Militärkooperation sein. Wahrscheinlich bildet sich eine europäische Verteidigungsmacht unabhängig von der NATO heraus. Eine weitere Folge wird die Zunahme der Militärausgaben, der Waffenproduktion und der Entwicklung neuer Waffensysteme seitens der neuen Allianz sein — entweder separat oder in gegenseitiger Kooperation.Eine dritte Folge wird ihre stärkere wirtschaftliche und technologische Kooperation sein, um die nötige wirtschaftliche Infrastruktur für den anhaltenden militärischen Wettlauf zu schaffen.
Ironischerweise wird Washingtons Kreuzzug für ein Monopol auf Massenvernichtungswaffen zu größeren Investitionen in die Entwicklung eben solcher Waffen auf der Seite seiner großen Rivalen führen; zugleich werden die kleineren Länder und nichtstaatliche Akteure darauf ebenfalls nicht verzichten wollen.
Globale wirtschaftliche Stagnation und der Unilateralismus der USA werden den IWF und die WTO weiter schwächen und Tendenzen zum Protektionismus und Regionalismus stärken. Regionale Wirtschaftsabkommen, die Handelsvorrechte, Kapitalkontrollen und technologische Kooperation kombinieren, werden attraktiver werden als multilaterale Freihandelsabkommen und als bilaterale Handelsabkommen mit den USA oder der EU. Handelskriege werden zunehmen und die Verhältnisse zusätzlich destabilisieren.
Ein Akteur wird in all dem eine zentrale Rolle spielen: China. Während die US- Wirtschaft im Sumpf der Stagnation stecken bleibt und Washington sein militärische und politisches Engagement überdehnt, nimmt Chinas relative Stärke zu. Die Unilateralisten werden sich mehr und mehr Sorgen über Chinas wachsende Stärke machen und die politischen und ideologischen Konflikte mit Peking verschärfen.
Ihre Handlungsmöglichkeiten sind indes begrenzt, da Wall Street wachsende Finanzinteressen in China hat, US-Konzerne mehr und mehr von Investitionen in dieses Land abhängen und die Verbraucher in den USA zunehmend von Importen aus China abhängen — von Lowtechgütern ebenso wie von Hightechgütern. Aus diesem Wirrwarr wird es für Washington keinen einfachen Ausweg geben.
Schlussendlich — und ebenfalls ironischerweise — wird es für die UNO neues Leben geben, weil die anderen Länder gelernt haben, dass ihre Fähigkeit, Legitimität zu verleihen oder zu verwehren, ein wichtiger Trumpf in der internationalen Realpolitik bleibt. Die Rolle der UNO als Mechanismus, die USA zu isolieren, wird gestärkt werden, und Washington wird darauf mit noch mehr Schmähungen und Drohungen antworten, wird aber nicht in der Lage sein, sie zu boykottieren.

Walden Bello

Walden Bello ist Direktor des Instituts Focus on the Global South in Bangkok.



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang