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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 13

Imperiale Offenheit

von Christoph Jünke

Als Mitte Mai drei Selbstmordanschläge in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad fast 100 Menschen getötet haben — neben Briten, Deutschen, Franzosen und Australiern auch ein Dutzend US-Amerikaner —, antwortete US-Präsident Bush in der ihm eigenen Mischung aus Kriegsrhetorik und pubertierendem Trotz, die Mörder "werden erfahren, was amerikanisches Recht bedeutet". Abgesehen von der sich im Tonfall offenbarenden Arroganz der Macht stellen sich hier zwei Fragen: Was ist das für ein Recht, dessen Bedeutung anderen erst beigebracht werden muss, das also nicht bekannt zu sein scheint. Und vor allem: Warum spricht er hier vom amerikanischen Recht?
Vielleicht stand er ja noch unter dem Leseeindruck eines in der Mai/Juni-Ausgabe von Foreign Affairs (der regierungsnahen Zeitschrift für US-amerikanische Außenpolitik) erschienenen Beitrages, der Ende April auch in der New York Times nachgedruckt und via Website breit gestreut wurde. Ein Blick darauf lohnt sich in der Tat. Michael J. Glennon, seines Zeichens angesehener Rechtsprofessor mit einschlägigen Erfahrungen in der US-amerikanischen Politikberatung, beschäftigt sich in diesem Beitrag mit der Frage "Warum der Sicherheitsrat gescheitert ist".
Dass "der große Versuch, die Anwendung von Gewalt der Herrschaft des Rechts zu unterstellen, gescheitert ist" sei klar, und Glennon stellt freimütig und detailliert dar, wie die US-Regierung von Beginn an offen gegen den Sicherheitsrat und die UN-Charta agiert und letztere sogar "offenkundig geschändet" hat - übrigens bereits im Kosovokrieg. Eine Kritik ist hiermit nicht verbunden, denn der Sicherheitsrat sei bereits viel früher, nämlich mit dem Aufstieg der US-amerikanischen Unipolarität gescheitert, die "schlicht inkompatibel war mit der der UN zugedachten Funktionsweise". Nicht ein einzelnes Land, sprich: die USA, seien also schuld, denn "Staaten streben nach Sicherheit, indem sie nach Macht streben". Wären Frankreich, Russland, China in der Position der USA, hätten sie genauso gehandelt. So wie die USA ebenso ein Veto eingelegt hätten, wären sie in der Position der anderen drei gewesen. Eine solche Einsicht "beinhaltet kein Werturteil; sie beschreibt schlicht, wie Nationen verfahren".
Natürlich gäbe es regionale Unterschiede im Rechtsverständnis — während die US-Amerikaner "nachträgliche, korrigierende Rechtsregeln bevorzugen", bevorzugen die Europäer "dagegen präventive Rechtsregeln" —, aber letztlich gehe es um das Weltsystem der Macht: "Hegemonie steht in einem Spannungsverhältnis zum Prinzip der Gleichheit. Hegemonen haben immer den Versuchen widerstanden, ihre Macht legal zu beschränken."
Zu sagen, Glennon fände dies richtig, setzt bereits einen Wertmaßstab voraus, den er selbstbewusst ablehnt. "Luftschlösser" seien ebenso zu vermeiden wie "archaische Begriffe universeller Wahrheit, Gerechtigkeit und Moralität" und andere Dogmen oder große Theorien: "Die Menschheit braucht keinen ultimativen Konsens über Gut und Böse zu erringen. Die vor ihr stehende Aufgabe ist empirisch, nicht theoretisch." Keine neue internationale Rechtsordnung habe deswegen Zukunft, die nicht "die ihr zugrunde liegenden Dynamiken von Macht, Kultur und Sicherheit wiederspiegelt".
Das schöne (think positive!) an der neuen Pax Americana ist in der Tat die Offenheit, mit der das Imperium seine Ansprüche vorträgt. Waren Marx und Engels einst gefährliche Aufrührer, als sie der Bourgeoisie erklärten, dass "euer Recht nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse ist, ein Wille, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen Lebensbedingungen eurer Klasse", erscheint solch Aufklärung heute eher langweilig. Zogen Marx, Engels und die klassische Arbeiterbewegung aus der Spannung von Macht und Recht den Schluss, die Herrschaft zu entmachten und das Recht als soziales und allgemeinmenschliches auszubauen, so lösen die imperialen Ideologen die Spannung, in dem sie das Recht der Macht schlicht unterordnen.
Man nennt so etwas Faustrecht. Und es ist kein Zufall, dass der durch und durch vorbürgerliche christliche Fundamentalismus in den USA den Glennon-Artikel als Bestätigung seiner hierarchischen Weltsicht feiert. Der Weg dieser Fundamentalisten zu Bush jr. ist bekanntlich kurz. Und nun wissen wir auch, was er unter "amerikanischem Recht" versteht und warum er vom amerikanischen Recht redet, wenn er das internationale Recht meint.

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