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Man muss schon bis zu den Aktionen gegen die Lohn-Preis-Pakte und zum Oktoberstreik von 1950 zurückgehen, um
Vergleichbares zu finden. Danach herrschte über fünf Jahrzehnte die Grabesruhe der Sozialpartnerschaft. Die kleine 68er-Bewegung vermochte den
Stillstand nicht zu knacken. Fritz Keller ironisiert sie zur "heißen Viertelstunde". Unter Kreisky wurde der Kapitalismus moderner, es gab einige
Sozialreformen und "demokratische Durchlüftungen", Aufbruch gab es jedoch nicht. Österreich wurde zum negativen Weltrekordhalter:
Streiks wurden in Minuten- und Sekundenlänge gemessen…
Die neoliberale Generaloffensive von Schwarz-Blau hat die Situation grundlegend verändert.
Ihr Ziel ist es beginnend mit den Pensionen den Sozialstaat weitestgehend zu demontieren, die Gewerkschaften in die Knie zu zwingen und das
gesellschaftliche Kräfteverhältnis fundamental zu verschieben. Die Sozialpartnerschaft von oben wird gekündigt. Der
Gewerkschaftsbürokratie kommt zunehmend der Verhandlungspartner abhanden.
Vor diesem Hintergrund hat die ÖGB-Fhrung spät aber doch am
24.April den Beschluss gefasst, gegen die Pensionsraubpläne von Schüssel & Co. mit "gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen und
Warnstreiks" vorzugehen. Seither gab es Tausende Betriebsversammlungen, zahlreiche Streiks, den Aktionstag am 6.Mai mit 500000 Teilnehmenden und die
Riesendemo vom 13.Mai, wo trotz schwerer Unwetter an die 200000 Personen kamen.
Den meisten war klar, das war erst der Anfang. Schüssel hat eindeutig zu verstehen gegeben,
dass er seine Pläne eisern durchziehn will.
In 91 Haushaltsbegleitgesetzen (!) hat die Regierung ihre Kahlschlagskonzepte eingepackt; zugleich
sollen teure Abfangjäger angeschafft werden, und all das soll in Windeseile über die Bühne gehn. Selbst in der ÖVP und FPÖ kommen
Mandatare unter Druck, und es kann sein, dass einige von ihnen gegen die Regierungsvorlage stimmen.
Die Zuspitzung der politischen Lage hat weiterdenkende bürgerliche Politiker wie den
Bundespräsidenten auf den Plan gerufen. Sie wollen die wuchernde Eigeninitiative von unten so bald als möglich abbremsen und organisieren
abgehobene Spitzengespräche. Der erste "Runde Tisch" hat sich jedoch als Total?op erwiesen. Zu deutlich war seine Funktion. Originalton
Schüssel: "Es geht darum, die Emotionen rauszunehmen."
Die Gewerkschaftsführung, die noch immer sozialpartnerschaftlich orientiert ist, würde
einem faulen Kompromiss zustimmen. Derzeit sieht es aber nicht danach aus. Zu stark ist der Unmut in den Betrieben und in der Gesellschaft. Selbst gestandene
Bürokraten sehen, dass "noch viel drinnen ist", und wollen nicht klein beigeben.
Wahrscheinlich werden sich die Dinge in der nächsten Zeit deshalb zuspitzen. Selbst wenn es
Schüssel gelingen sollte, noch einmal genügend ÖVP- und FPÖ-Abgeornete hinter sich zu sammeln, sind weitere Konflikte vorprogrammiert.
Der ÖGB hat deutlich an Konturen gewonnen, vor allem aber haben sich Abertausende "unten" mobilisiert und werden sich nicht mit einem
Butterbrot abspeisen lassen.
Die kleine österreichische Linke steht vor neuen Aufgaben:
Mit dem Austrian Social Forum hat sich der wichtigste "zivilgesellschaftliche"
Zusammenschluss kritischer Kräfte entwickelt. Das ASF war federführend bei der Organisierung der großen Antikriegsdemos und hat die jetzigen
gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen mitgetragen. Im ASF sind die progressiven Strömungen im ÖGB prominent vertreten (GPA, Eisenbahner,
Chemiearbeiter). Hier wird es wichtig sein, inhaltliche Alternativen zum Neoliberalismsus zu entwickeln.
Die in Ansätzen vorhandene, aber zersplitterte Gewerkschaftslinke gilt es
zusammenzuführen; insbesondere müssen die Streiks auf breitere Basis gestellt werden, Gewerkschaftspolitik muss sich internationalisieren der
Sozialabbau läuft europaweit
Immer stärker wird das Gefühl, dass die politischen Vorstellungen der
Sozialdemokratie und der Grünen entschieden zu kurz greifen. Es gibt einen Bedarf nach einem antikapitalistischen Projekt.
All das und vieles mehr wird Ende Mai auf dem 1.ASF in Hallein diskutiert werden. Der Zeitplan ist
ideal: Am 4.Juni steht im Parlament die Abstimmung über die Haushaltsbegleitgesetze an.
Hermann Dworczak, Wien
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