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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 15

Internationale Papierindustrie

Schmutziges Weiß

Kann denn ein Paket Druckerpapier etwas mit Menschenrechtsverletzungen zu tun haben? Trägt die Rolle Klopapier Mitverantwortung am Raubbau an den letzten Urwäldern? Haben selbst Schulhefte ihre Unschuld verloren? Bevor es im PC oder im WC endet, hat unser Papier nicht immer im Einkaufsregal gelegen.

Jedes Kind weiß: Das Schulheft wird aus Holz gemacht. Zu Zellstoff verarbeitet liefert Holz den Rohstoff für die Papierproduktion. 19 Millionen Tonnen Papier verbrauchen wir hierzulande, mehr als ganz Afrika und Südamerika zusammen genommen, und ein deutsches Kind hat in seinem ersten Lebensjahr bereits so viel Papier verbraucht wie ein Inder nach 56 Jahren.
So viel auch geklagt wird, der deutsche Wald müsse nach Sturm Lothar dringend durchforstet werden, so wenig wird inländisches Holz für die Herstellung von Papier genutzt. Für die vertikal konzentrierten Holz- und Zellstoffkonzerne ist der Weltmarkt wirtschaftlich viel lukrativer. 88% des Zellstoffs für deutsches Papier stammen aus dem Ausland, meist aus Skandinavien und Kanada, zu wachsenden Anteilen auch aus Indonesien und Brasilien.

Beispiel Kanada

Kathedralen gleich strecken sich dicke Urwaldriesen bis zu 100 Meter in den Himmel. Üppig bemoost schluckt der Grund jeden Laut. Norwegischen Fjorden ähnlich schneiden Buchten sich Hunderte von Kilometern tief in die sagenhafte Landschaft, bringen Schwertwale mit sich und vor allem den Lachs! Weißkopf-Seeadler kreisen über allem und Grizzlys geben ihm seinen Namen: Der Great Bear Rainforest (GBR) ist der letzte zusammenhängende temperate Regenwald der Erde mit Urwaldriesen, die schon 500 Jahre alt waren als Christoph Kolumbus meinte, Amerika entdeckt zu haben. Siebenfach prasseln die Niederschläge im Vergleich zu Deutschland herab, und Boden, Wurzelwerk und Baumriesen stellen den weltweit wirksamsten Kohlendioxidspeicher dar, weit mehr noch als die üppigen Tropenwälder.
Und hier, an der Westküste der Provinz British Columbia holzen sechs multinationale Konzerne ab, was sie per Lizenz vom Staat kriegen können. Trotz eines unterzeichneten Abkommens zum Schutz des GBR schreitet die Zerstörung voran. Noch immer beziehen Papierfabriken in Deutschland Zellstoff von dort. Ungeachtet der Landrechte der dort lebenden indigenen Völker wird nach wie vor in deren Territorien abgeholzt.
Die Nuxalk (übersetzt: das Lachsvolk) sind eines von sechs dieser Völker in British Columbia. Hierzulande oft fälschlich Indianer genannt, leben sie seit dem Rückzug der Würm-Kaltzeit in British Columbia, ähnlich den Germanen im Weserbergland oder anderswo. Einst ein wohlhabendes Küstenvolk, das den Reichtum des Lebensraums zu nutzen und zu schätzen wusste, leben heute 80% der Nuxalk von Sozialhilfe.
Der hohe Alkoholmissbrauch und eine enorme Selbstmordrate sind eng mit der jüngsten Geschichte dieses Volkes verbunden. Vor 200 Jahren drangen die Unterdrücker auf den von den Nuxalk angelegten Handelswegen in den GBR ein. 100 Jahre später lebte von ihrem Volk nur noch 1%. Heute besiedeln wieder 3500 Nuxalk Bella Coola, ein im Vergleich zum traditionellen Stammesgebiet der Nuxalk empörend kleines Reservat.
Waren es früher pockenverseuchte Decken, mit denen diesem Volk bewusst zugesetzt wurde, sind es heute die Holz- und Zellstoffmultis, die ihre Existenzgrundlage durch Kahlschlag verwüsten. Wenn die logging trucks mit Urwaldriesen das Nuxalk-Territorium Richtung Vancouvers Zellstofffabriken verlassen, bleiben 40 Hektar große Wunden in einem Ökosystem zurück, das der ganzen Erde als Klimapuffer dient. Zu Zellstoff verkocht, enden 1000 Jahre alte Bäume im Hewlett Packard, um mit einer einzigen E-Mail bedruckt bestenfalls zu Altpapier zu werden.

Indonesien, Brasilien

Wie schmutzig das Geschäfte mit dem weißen Papier oft ist, zeigt der gleichnamige Dokumentarfilm von Inge Altemeier. Auf Sumatra wurden in den letzten 15 Jahren riesige Zellstoff- und Papierfabriken gebaut mit der Erlaubnis, im Umkreis von 100 Kilometern Wald zu roden und mit Plantagen neu zu bepflanzen. Kleinbauern mussten dafür kurzerhand ihr Land verlassen, und viele Menschen, die existenziell auf das Wasser aus den Flüssen angewiesen sind, erkranken seitdem an Chlorakne. Im Oberlauf pumpen Zellstoffwerke ihre Bleichabwässer ungeklärt in die Flüsse.
Fragt man die Menschen nach der benachbarten Fabrik, ist ihnen ein Rätsel, was dort getrieben wird. Sie brauchen kein Papier, und sie sind auch nie nach ihrer Meinung gefragt worden.
1997 geriet wie in ganz Asien auch in Indonesien die Wirtschaft in eine extreme Krise. Auf Druck des IWF änderte die indonesische Regierung die Bodenrechte mit dem Ziel, ausländischen Zellstoffunternehmen die Abholzung der Regenwälder zu ermöglichen und die bankrotte Staatskasse zu füllen.
In den prosperierenden Papierunternehmen steckt viel Geld deutscher Banken, die in den 90er Jahren im damals boomenden Südostasien investierten. Von Umweltverbänden um Stellungnahme gebeten, geben die meisten Geldinstitute an, sie hätten seither Kriterien für die Kreditvergabe entwickelt, nach denen solche Investitionen nicht mehr möglich sind. Öffentlich machen wollen sie diese aber nicht.
"Unsere Zukunft liegt im Klopapier!" Unter diesem Motto verdrängt im Bundesland Espirito Santo der transnationale Konzern Aracruz Cellulose zusehends Familien, die von kleinbäuerlicher Landwirtschaft leben. Sinkende Kaffeepreise und drängende Kreditrückzahlungen stürzen mehr und mehr Kleinbauern in akute existenzielle Not.
Während sie kaum auf staatliche Hilfe hoffen dürfen, profitiert der Multi Aracruz ohne jede Verhältnismäßigkeit von staatlichen Fördermitteln. Tausende von Familien in Espirito Santo haben ihr Land an den Konzern verkaufen müssen. Arbeit finden in den Zellstoffwerken aber nur Wenige. Zugleich wurden hochwertige Ackerflächen und atlantischer Regenwald zu einer— "Grünen Wüste" — ausgedehnten Eukalyptusplantagen.
Der Großteil des bei Aracruz produzierten Zellstoffs — meist Hygienepapier — ist für den Export bestimmt, 10% davon gehen allein nach Deutschland.

Initiative 2000plus

Papier ist ein globales Produkt. Jeder fünfte weltweit gefällte Baum endet heute in einer Papiermühle, und die Zellstoffherstellung gehört laut World Watch Institute zu den größten Verursachern von Umweltproblemen überhaupt. Allein für den Papierbedarf hierzulande fallen jährlich 50 Millionen Kubikmeter Holz. Das sind umgerechnet 800 Gramm Holz pro Mensch und Tag. Einzigartige Ökosysteme werden für kurzlebige Papierprodukte zerstört und Kultur und Rechte betroffener Menschen missachtet.
Der internationale Markt ist geprägt von einer enormen Ungleichverteilung. Während sich Menschen in Entwicklungsländern teils mit weniger als 2 Kilogramm pro Jahr begnügen müssen, erlauben sich Industriestaaten wie Deutschland einen Pro-Kopf-Verbrauch von 226 Kilogramm und mehr im Jahr. Zwar wurde dem Recyclingpapier in diversen Studien beste technische und ökologische Qualität bescheinigt, dennoch erreicht die Altpapierfaser bei weitem nicht ihren potenziellen Lebenszyklus. Hartnäckig halten sich Vorurteile gegen Recyclingpapier, die längst überholt sind.
Von 200 Millionen verkauften Schulheften hierzulande sind nur noch 5% aus Recyclingpapier. Das Doppelzeichen der Papierindustrie "Aqua pro Natura/Weltpark Tropenwald" täuscht eine Umweltfreundlichkeit vor, die keine ist. Angesichts der desolaten Marktsituation hat sich 1999 in NRW die Initiative 2000plus konstituiert. Ziel ist es, über die Hintergründe der internationalen Papier- und Zellstoffmärkte aufzuklären, Recyclingpapier wieder ins rechte Licht zu rücken und den Rollback-Prozess auf dem Sektor Schulmaterialien umzukehren. Die Initiative setzt ganz auf Vernetzung und qualifizierte Bildungsarbeit. Mit ihren Infopaketen, Fortbildungen und Unterrichtsbesuchen hat sie mittlerweile eine Vielzahl von engagierten Mitstreitern gewonnen.
Inzwischen hat sich die Initiative 2000plus in andere Bundesländer ausgeweitet; insgesamt haben sich insgesamt 19 Umwelt- und Verbraucherverbände zusammengeschlossen. Auch auf internationalen Tagungen erhält das Konzept breiten Zuspruch.
Der Ansatz scheint zu funktionieren. So berichtete ein Hersteller für Schulhefte, dass er im Geschäftsjahr 2001 eine innerbetriebliche Verschiebung vom Primärfaserpapier zum Recyclingpapier um 41% vornehmen konnte. Er erklärt dies eindeutig mit der Tätigkeit der Initiative 2000plus.

Petra Schepsmeier

Weitere Infos .



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