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Wer im Wonnemonat Mai keine Zeit hatte, ins Kino zu gehen, und dies nun nachholen will, sollte zunächst nur danach
Ausschau halten, ob der brasilianische Film City of God am Ort läuft und dann eine Eintrittskarte lösen. Erzählt wird die Geschichte einer
Favela von Rio de Janeiro, genannt Cidade de Deus, über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg. Als Heranwachsender erkämpft sich Dadinho den
Status des lokalen Drogenbosses, dessen Aufstieg und Niedergang von einem ebenfalls in der Siedlung aufgewachsen Fotografen erzählt wird. Trotz der
z.T. brutalen Bilder des Films, die in vielen Momenten an Amores Perros erinnern, hinterlässt der Film nicht das fade Gefühl von
Teilnahmslosigkeit, das den Zuschauer nach dem Besuch des viel aufwendiger inszenierten Slumepos Gangs of New York von Martin Scorsese befallen hat.
Einer anderen Schicht der brasilianischen Gesellschaft hat Rubem Fonseca den Roman Bufo
& Spallanzani gewidmet, der großstädtischen Upperclass und ihren kulturschaffenden Anhängsel. Die Geschichte wird von Gustavo
Flávio erzählt, der, bevor er Liebhaber und Schriftsteller wurde, ein anderes Leben lebte, in dem er als Versicherungsdetektiv an Korruption und
Vetternwirtschaft scheiterte. Probleme bekommt er, als seine Geliebte erschossen in ihrem Wagen aufgefunden wird. Probleme macht Inspektor Guedes, der ein
zivilisiertes Verhör einem Geständnis unter Folter vorzieht, der aber clever genug sein könnte, die wahre Identität des Schriftstellers
herauszubekommen. Und Probleme macht der rachsüchtige Ehemann des Opfers.
Um Verhör und Anschlägen auszuweichen und endlich seinen Verlag mit einem
neuen Roman zu versorgen, zieht sich Flávio in den Dschungel zurück, in ein erstklassiges Naturressort mit wunderbarer ökologischer
Küche und unberührter Landschaft. Hier entwickelt sich ein Szenario, wie wir es aus Agatha Christies Geschichten um den Privatdetektiv Poirot in
einer Mannschen Zauberberg-Atmosphäre kennen: Reiche und Künstler, schöne Frauen, fragile Beziehungen, Geheimnisse der
Vergangenheit. Mittendrin Flávio, mit ständigem Hunger nach exklusiver Nahrung und willkürlichem Koitus. Und mit einer Schreibblockade:
Wie kann er nur den Roman über den im 18.Jahrhundert an Krötensex und Leidensfähigkeit forschenden Jesuiten Spallanzani beginnen?
Kaum sind die ersten Sätze niedergeschrieben, geschieht ein Mord in der illustren
Gesellschaft. Inspektor Guedes taucht auf und in seinem Gefolge Minolta, Flávios ehemalige Hippiegeliebte und jetzt so etwas wie der gute Geist und
lebenstüchtiger Anker des Schriftstellers.
Rubem Fonseca, hierzulande kaum verlegt, ist einer der großen Schriftsteller Brasiliens
des 20.Jahrhunderts und Impulsgeber für die literarische Auseinandersetzung mit dem städtischen Brasilien. Wenn der Roman Bufo &
Spallanzani auch sehr europäisch wirkt, die Geschichte könnte genauso in Italien, Tchechien oder Schweden spielen, spiegelt sie doch eine
Realität der brasilianischen Gesellschaft wider, wie es auf der anderen Seite City of God leistet. Und dann sind wir immer noch in den großen
Städten.
Udo Bonn
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