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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 7

Geld ist genug da

Es wird allerdings für die Aufrüstung ausgegeben

Am 21.Mai hat der Haushaltsausschuss des Bundestags beschlossen, 8,3 Milliarden Euro für die Finanzierung von 60 Kriegstruppentransportflugzeugen vom Typ Airbus A400M auszugeben. Die Maschinen sollen ab 2010 ausgeliefert werden. Kurz zuvor veröffentlichte die Zweiwochenschrift Ossietzky den folgenden Beitrag, den wir mit freundlicher Genehmigung der Autorin nachdrucken.

Was haben wir für Politiker gewählt, die uns gebetsmühlenartig einzureden versuchen, wir dürften keine öffentlichen Schulden machen, weil wir damit auf Kosten unserer Kinder lebten, gleichzeitig aber gewaltige öffentliche Schulden machen und unseren Kindern die Zukunft mit Kriegsgerät verbauen, statt dringend benötigte Gelder in Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder zu investieren.
Pisa verlangt nach Kindergärten und -horten, die keine Aufbewahrungsanstalten sind, sondern Entwicklungschancen bieten, unabhängig vom Einkommen und Kontostand der Eltern. Geld für Schulen und Hochschulen, für Kindergärtner, Lehrer und Hochschullehrerinnen, für Altenheime, öffentlichen Nahverkehr und vieles andere, was uns und unseren Kindern und Enkeln nützt und sie reicher macht und die Umwelt schont — das wäre eine zukunftsorientierte Agenda 2010, 2020 und 2030.

Rechenkunst und Zaubertricks

127,6 Millionen Euro wird eine einzige dieser Maschinen kosten, deren Zweck es ist, Angriffstruppen und Todesgerät an den Hindukusch oder in andere Gegenden der Welt zu bringen, bis zu 7250 Kilometer von unseren Landesgrenzen entfernt. Rüstungskonzerne wie Airbus, EADS, MTU, nicht unsere Kinder, werden davon profitieren.
Für den unentgeltlichen Militärtransport ist offenbar Geld genug in Jammerminister Eichels Steuersäckel, aber nicht genug dafür, dass die Bürger unentgeltlich Straßen benutzen. Straßen in Deutschland werden gebührenpflichtig. Ab 15.September müssen Autofahrer 2 Euro je Fahrt durch den Rostocker Warnowtunnel zahlen, zusätzlich zur bereits gezahlten Mineralölsteuer.
Für den Bau des Tunnels stellte Eichel kein Geld bereit. Er brauchte es als kleinen Beitrag zur Finanzierung der Militärflugzeuge.
Ein einziger Kriegstruppentransporter kostet etwa soviel, wie im Zuge der baden- württembergischen Verwaltungsreform der 20%ige Abbau von Personal- und Sachkosten bringen soll. Zwei bis drei Transporter entsprechen der restlosen Streichung des Weihnachts- und Urlaubsgelds für alle Beamten und eine Nullrunde für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst, wie sie Finanzsenator Sarrazin der Bundeshauptstadt Berlin verordnen will. In keinem der 16 Bundesländer müsste in den nächsten vier Jahren eine einzige Stelle gestrichen oder der Tarif reduziert werden, wenn sie über die 60 mal 127,6 Millionen Euro verfügen könnten, und es bliebe mindestens noch eine Milliarde Euro übrig, um ein Konversionsprogramm für die betroffenen Beschäftigten der Rüstungskonzerne zu finanzieren. Stoppte die Bundesregierung auch den Kauf der 180 Eurofighter, stünden für solche Umstrukturierungen im Haushalt weitere 11,2 Milliarden Euro zur Verfügung.
60 mal 127,6 Millionen Euro ergibt rund 7,65 Milliarden Euro. Doch Anfang Mai ließ der Minister für Kriegsgerät, der dem Verteidigungsministerium vorsteht, verlautbaren, dass die 60 Transportmaschinen die Steuerzahler 10% mehr kosten werden, nämlich 8,332 Milliarden Euro. Die Differenz von 680 Millionen Euro entsteht durch die private Vorfinanzierung. Denn erstmals kann eine bundesdeutsche Regierung die laufend anfallenden Kosten eines Rüstungsprojekts nicht selbst finanzieren und nimmt deswegen bei den A400M- Herstellern einen Zwischenkredit auf.
Die Kosten der Vorfinanzierung, die Zinsen also, an denen sich die Konzerne oder Banken bereichern, sind etwa das Doppelte der Summe, die Bundesbauminister Stolpe aufwenden will, um mehreren zehntausend Langzeitarbeitslosen zu helfen. Die 200—400 Millionen Euro, die er für dieses Programm eingeplant hat, seien viel Geld, erläuterte Stolpe. Wohl wahr! Für Arbeitslose ist es viel, für die Vorfinanzierung eines Kriegstruppentransporters aber scheinen 680 Millionen Euro ein Pappenstiel zu sein.
Insgesamt sind beim EADS-Konzern für mehrere europäische Länder 180 Maschinen bestellt. Wenn ich von 127,6 Millionen Euro als Einzelpreis ausgehe, komme ich auf gut 22,8 Milliarden Euro, doch nun lese ich die Summe von 20 Milliarden Euro und bin verwirrt: Wenn 60 Flugzeuge 7,65 Milliarden Euro kosten, wieso kosten dann dreimal so viele Flugzeuge nicht dreimal soviel Geld? Haben die anderen Länder besser verhandelt? Oder wird über den Preis nicht die ganze Wahrheit gesagt? Kommen weitere Steuern auf die Völker zu, deren Regierungen sich an diesem Rüstungsprojekt beteiligen?

Rüstungskonversion als Programm

Bei den Rechenkunststücken von Ministern und Konzernvorständen sind allemal Zaubertricks dabei. Rüstungskonversion dagegen, also die Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Produktion, ist kein Hexenwerk mehr. Längst ist bekannt, dass ein Arbeitsplatz im Sozialwesen mit einem Drittel des Geldes zu finanzieren ist, das ein Rüstungsarbeitsplatz kostet. Wäre es also nicht vernünftiger, sozialer, umweltfreundlicher, beschäftigungswirksamer, zukunftweisender, statt der militärischen Transportflugzeuge 1100 Altenpflegeheime zu bauen? Statt 180 Eurofighter 200000 Sozialwohnungen? Oder anstelle von 80 Militärhubschraubern 1000 Grundschulen und 4000 Kindergärten?
Gewiss, dafür sind die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie nicht ausgebildet. Aber heute ist überall in der Wirtschaft lebenslanges Lernen angesagt. Zwei- bis dreimal im Leben müsse künftig jeder einen neuen Beruf erlernen, lassen uns die Industriebosse ständig wissen.
Warum sollte sich dann nicht ein Ingenieur, der Eurofighter konstruiert, bspw. zum Ausbildungsingenieur an einem Berufschulzentrum oder im Umweltschutz umqualifizieren? Könnte nicht der Pilot eines militärischen Transportflugzeugs schwierige Aufträge im Technischen Hilfswerk übernehmen (das besser auszustatten wäre) oder auch etwas ganz anderes machen, z.B. als hochqualifizierter Architekt für gut durchdachte Sozialwohnungen?
Kann der Koch auf einem Kriegsschiff nicht Koch in einem Kindergarten, Krankenhaus oder Pflegeheim werden und dabei neueste ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse in die Nahrung unserer Kinder und geschwächten Mitmenschen einfließen lassen? Die hochqualifizierten Facharbeiter in den Rüstungsbetrieben sind ebenfalls, bei entsprechender Weiterbildung, in der Lage, andere Produkte herzustellen.
Das alles ist freilich nicht von heute auf morgen möglich. Ein Konzept muss her, ein bundesweites Konversionsprojekt, das auch die Standortkonversion der Städte einbezieht, aus denen die Bundeswehr abrückt. Das Umlernen kostet Geld — aber Geld ist genug da. Geben wir es für Konversionsprogramme statt für Hochrüstung aus. Das hätte den Effekt, dass wesentlich mehr — weil preisgünstiger zu finanzierende — Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst entstünden. Die Probleme unserer Sozialkassen, im Wesentlichen verursacht durch die hohe Arbeitslosigkeit, würden sich verringern.
Deutschland hat ringsum keine Feinde. Abrüstung ist daher dringend geboten. Konversion in der Rüstungsindustrie und sozialverträglicher Abbau der Bundeswehr auf 100000 Soldaten wäre ein erster sinnvoller Schritt. Damit einhergehen muss eine Entmilitarisierung der EU. Wir brauchen eine Europäische Verfassung, die sich auf zivile Friedenspolitik zur Lösung von Interessenkonflikten konzentriert. Eine EU-Armee brauchen wir nicht. Ihr Aufbau muss gestoppt werden.
Grundfalsch wäre es, die EU so hochzurüsten wie die USA und sich davon sogar eine wirtschaftliche Belebung zu erhoffen. Steuergelder fürs Militär bringen die Wirtschaft nicht voran. Im wirtschaftlichen Vergleich zu den militärisch völlig überdimensionierten USA steht die EU gut da: Die USA haben rund 650 Milliarden Dollar in Europa direkt investiert, die EU dagegen 900 Milliarden Dollar in den USA — ein deutliches Anzeichen dafür, dass ein hoher Militärhaushalt die Ökonomie eines Landes eher schwächt als stärkt.
Das lassen auch die Analysen der Ökonomen Joshua Aizenman von der University of California und Reuven Glick von der Federal Reserve Bank of San Francisco erahnen: Sie verglichen Wachstum und Militäretats einiger Dutzend Länder über mehr als ein Jahrzehnt. Das Ergebnis war eindeutig. Aufgeblähte Militäretats wirken sich ökonomisch negativ aus.
Die wehrtechnische Industrie fordert, den Verteidigungshaushalt von derzeit 24,4 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro zu erhöhen. Für ihre Profiteure mag das attraktiv sein, für alle anderen — ob Beschäftigte oder Arbeitslose, Schüler oder Rentnerinnen — nicht. Der Aufbau einer Branche, die Europa Waffen liefert, bedroht die nachfolgende Generation mit Kriegsgefahr, Rezessionsgefahr und Einsturzgefahr des Sozialstaats. Gründe genug, sich den Rüstungsprogrammen zu widersetzen und auf Rüstungskonversion zu pochen.

Anne Rieger

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