SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 8

Neuformierung des Medienkapitals

Ist der Traum vom »integrierten Medienkonzern« ausgeträumt?

Als im Frühjahr 2002 der Medienkonzern Kirch zusammenbrach, war rasch klar, dass dieses Ereignis die deutsche Medienwirtschaft verändern würde. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die — noch immer nicht abgeschlossene — Insolvenz nur der besonders spektakuläre Teil eines umfassenderen Vorgangs war. Seit dem Sommer vergangenen Jahres werden die Geschäftsfelder unter den Spitzenkonzernen der Medienwirtschaft neu aufgeteilt.
Um die Bedeutung der Vorgänge darzustellen seien die wichtigsten Vorgänge in der Spitzengruppe der Medienkonzerne genannt.

Bertelsmann, Springer, Kirch und andere

Der Bertelsmann-Konzern steigt aus dem Zeitungsgeschäft aus. Die Berliner Blätter (Berliner Zeitung, Berliner Kurier) sind im November 2002 an den Holtzbrinck-Verlag verkauft worden, für die Sächsische Zeitung und die Dresdner Morgenpost wird noch ein Käufer gesucht (die WAZ-Gruppe ist im Gespräch). Der Berliner Deal ist allerdings vom Kartellamt verboten worden; Holtzbrinck bemüht sich um eine Ministererlaubnis.
Bertelsmann ist aus dem elektronischen Handel ausgestiegen und fährt das Internetgeschäft stark zurück. Verschiedene Firmen (BOL, Pixelpark, Andsold u.a.) sind verkauft oder liquidiert worden.
Bertelsmann gibt das Geschäftsfeld Fachverlage auf, obwohl der Konzern dort Marktführer ist. Ende Mai ist die Gruppe BertelsmannSpringer an britische Investoren verkauft worden.
Immer wieder gibt es Gerüchte, dass auch ein Verkauf der Bertelsmann Music Group (die Nummer 3 weltweit) oder die Fusion mit einem Konkurrenten zu erwarten sei.
Der Springer-Konzern ist aus dem Buchgeschäft ausgestiegen. Die drittgrößte deutsche Buchgruppe, Ullstein-Heyne-List, ist im Februar 2003 an Random House (Bertelsmann) verkauft worden; das Bundeskartellamt hat allerdings Bedenken.
Springer hat das Fernsehgeschäft aufgegeben. Vier Produktionsgesellschaften sind im März 2003 verkauft worden, die Beteiligung an der Sendergruppe ProSiebenSat.1 (13,5%) soll verkauft werden, sobald das Börsenklima besser ist.
Springer gibt sein Engagement bei Kundenzeitschriften auf. Die Mehrheit am Yukom-Verlag ist im März 2003 an Burda verkauft worden.
Die Holtzbrinck-Gruppe ist aus dem Rundfunkgeschäft ausgestiegen. Im November 2002 sind zwölf Beteiligungen an Radiosendern und 47,3% des Fernsehsenders n-tv an Bertelsmann verkauft worden.
Holtzbrinck ist aus dem Geschäft mit Schulbüchern und weitgehend mit Fachbüchern ausgestiegen. Die Schulbuchsparte »Das Bildungshaus« wurde an den Konkurrenten Westermann (Südwestdeutsche Medienholding) verkauft, die Wissenschaftsverlage gingen an Reed Elsevier.
Zu alldem kommt der Zusammenbruch des Kirch-Imperiums, das bis zum Frühjahr vergangenen Jahres der zweitgrößte deutsche Medienkonzern war.
Kirch hatte 40,03% der Anteile am Springer-Konzern besessen. Diese Aktien sind im Dezember 2002 von der Deutschen Bank (an die sie verpfändet waren) angeeignet worden.
Die Agentur für Sportrechtehandel KirchSport (jetzt »Infront«) ist im November 2002 vom Geschäftsführer Günter Netzer (mit internationalen Finanziers im Hintergrund) übernommen worden.
Das Abonnentenfernsehen Premiere ist mehrheitlich von der Investmentfirma Permira gekauft worden.
Für die Sendergruppe ProSiebenSat.1 sowie die kirchsche Filmbibliothek hatte überraschenderweise der US-Milliardär Haim Saban den Zuschlag erhalten. Er hat aber Anfang Juni einen Rückzieher gemacht, so dass hier alles wieder offen ist.
In der zweiten Liga spielen sich ähnliche Vorgänge ab. Die FAZ-Gruppe, die sich ab 1998 zum Medienkonzern mausern wollte, muss ein Geschäftsfeld nach dem anderen wieder räumen: drei Anzeigenblätter sind eingestellt worden, ebenso die Business-Radio-Kette mit drei Sendern; die Anteile an der Buchhandelskette Habel sind verkauft worden, für die Buchverlage DVA, Kösel und Manesse wird noch ein Interessent gesucht. Der Süddeutsche Verlag hat im Januar 2003 seine Regionalzeitungen (Frankenpost u.a.) verkauft, möchte seine Fachverlagsgruppe Hüthing los werden und musste im Dezember 2002 den Einstieg eines Konkurrenten — der Südwestdeutschen Medienholding — mit 18,75% hinnehmen.

Der integrierte Medienkonzern

Es wird inzwischen offen ausgesprochen, dass die Medienkonzerne sich von der Strategie des »integrierten Medienkonzerns«, die bis vor kurzem noch als allgemein anerkanntes Credo galt, wieder verabschieden. Die Strategie schlug sich in dem Bemühen nieder, möglichst viele Geschäftsfelder zu besetzen. Leo Kirch hat schon sehr früh sein Unternehmen daran ausgerichtet und sämtliche Stufen der Produktion und Verbreitung seiner Produkte im Konzern vereint: vom Filmstudio über Kinos und Fernsehsender, Videoproduktion und Rechtehandel bis zur Entwicklung technischer Geräte (Decoder). Auch sein verbissenes Bemühen, eine Kapitalmehrheit beim Springer-Konzern zu erreichen (was ihm nicht gelungen ist), hat er so begründet.
Es ist verständlich, dass ein solches Szenario für Konzernchefs verführerisch klingt. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heißt »Synergieeffekte«. Durch die Synchronisierung und Verknüpfung der verschiedenen Produktionsstufen und Mediensparten sollte ein Maximum an Profit erzielt bzw. eine möglichst gute Kosten- Nutzen-Rate verwirklicht werden. In etlichen der weltweit größten Medienunternehmen ist die Politik an diesem Muster ausgerichtet worden. Die spektakulärsten Beispiele sind AOL/Time-Warner und Vivendi-Universal — zwei Mediengiganten, die es in ihrer derzeitigen Form nur gibt, weil mit ihnen integrierte Medienkonzerne geschaffen werden sollten.
♦  Im Sommer 2000 kaufte der Internetkonzern AOL den Medienkonzern Time-Warner für 166 Milliarden Dollar. Ziel der AOL-Strategen Steve Case und Robert Pittman war es, durch die Integration von traditionellen und elektronischen Medien neue Dimensionen der Profiterzielung zu erschließen. Ergebnis 2002: 92 Milliarden Dollar Verluste.
♦  In Frankreich wandelte der Präsident des ehemaligen Energieversorgers CGE, Jean-Marie Messier, den Konzern binnen drei Jahren in den drittgrößten Medienkonzern der Erde um: Vivendi-Universal. Allein die beiden letzten Akquisitionen kosteten 42 Milliarden Euro. Verlust in 2002: 23 Milliarden Euro.
♦  Das gleiche Konzept beflügelte den Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann, Thomas Middelhoff, der Case und Messier zu seinen engen Freunden zählte. Er musste nicht viel dazu kaufen, denn sein Konzern war schon auf fast allen Medienmärkten aktiv. Middelhoffs Ziel war es, die verschiedenen Sparten unter eine unternehmerische Strategie zu zwingen und den Konzern an die Börse zu bringen.
Der integrierte Medienkonzern erlebte seine Blüte zeitgleich mit der überschäumenden Börsen- und Internetkonjunktur seit 1998. In Deutschland war der »Neue Markt« das Synonym für die Goldgräberstimmung. Als die Blase Ende 2000 platzte, zeigte sich, dass die Erwartungen an das neue Medium überzogen und die Aktien überbewertet waren. Hierin liegt die Ursache für die horrenden Verluste bei AOL/TW und VU. Die Transaktionen waren nicht in bar, sondern größtenteils durch Aktientausch bezahlt worden. Inzwischen sind die Papiere nur noch einen Bruchteil des Kaufpreises wert, und entsprechend hoch sind die Abschreibungen in den Jahresabschlüssen. Um sie bezahlen zu können, sind AOL/TW und VU dabei, einen Teil der eingekauften Firmen wieder loszuschlagen — mit gewaltigen Verlusten freilich.
Auch in Deutschland ist eine Reihe von Medienfirmen durch überteuert eingekaufte Beteiligungen in den Abgrund gerissen worden. Das betrifft vor allem Entertainmentkonzerne wie EM.TV, Kinowelt, Helkon, Advanced Medien, Das Werk und andere.
Für die Probleme der deutschen Medienkonzerne spielt auch die Konjunkturflaute seit 2001 eine Rolle. Sie ist mit einem Rückgang der Werbeeinnahmen verbunden: Die sind 2001 um 6,3% und 2002 um 4,4% gesunken, im Januar und Februar 2003 um weitere 0,6 bzw. 2,1% (jeweils im Vergleich zum Vorjahreszeitraum). Besonders hart betroffen waren die Zeitungen, und hier wieder am stärksten die großen überregionalen, sowie die Wirtschaftspresse. Deswegen sind z.B. der Süddeutsche Verlag und die FAZ-Gruppe in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Auch der Holtzbrinck-Konzern leidet darunter, denn er betreibt nicht nur Zeitungen, sondern ist mit der »Verlagsgruppe Handelsblatt« Marktführer bei den Wirtschaftsmedien.
Die Konjunktur- und Werbekrise reicht allerdings nicht als Begründung für das Scheitern des integrierten Medienkonzerns. Denn sonst müsste es allen großen Medienkonzernen ähnlich gehen. Das ist aber nicht der Fall.
Unter den zehn größten deutschen Medienkonzernen sind vier (WAZ, Bauer, SWMH und Burda), die die Werbekrise bislang erstaunlich gut gemeistert haben. Der Bauer-Verlag steht sogar so blendend da, dass er sich die Übernahme der kirchschen Fernsehsender und Filmbibliothek zugetraut hat (er ist erst im letzten Moment ausgestiegen und hat Haim Saban das Feld überlassen). Die SWMH ist beim Süddeutschen Verlag eingestiegen, und die WAZ-Gruppe war an einem Einstieg bei Springer (durch Übernahme der Kirch-Aktien) ebenso interessiert wie am Kauf der Bertelsmann-Zeitungen in Sachsen. Für beide spielte das dafür erforderliche Geld keine Rolle.
Der Unterschied liegt darin, dass diese vier Konzerne weitgehend auf ihr Kerngeschäft konzentriert geblieben sind (Zeitungen bei WAZ und SWMH, Zeitschriften bei Bauer und Burda). Die anderen haben versucht, sich in zusätzlichen Mediensparten festzusetzen und dort neue Geschäftsfelder zu erschließen. Sie haben dabei zum Teil eine beachtliche Bandbreite erreicht, aber nirgends ist es ihnen gelungen, die gekauften Firmen zum Erfolg zu führen. Bertelsmanns Zeitungsgeschäft (man ist dort erst 1990 eingestiegen) war ebenso verlustreich wie Springers Ausflug in die Belletristik oder in die Filmproduktion, der Süddeutsche Verlag stöhnt unter der Last seiner 1999 zugekauften Fachverlage, Holtzbrinck mochte die Verluste bei n-tv nicht mehr tragen, und die FAZ-Gruppe hat den Ausflug ins Radio- und Buchgeschäft teuer bezahlt.

Zurück zum Kerngeschäft?

Allem Anschein nach ist die Idee eines integrierten Medienkonzerns wenig tragfähig. Das bedeutet nicht, dass es nicht weiterhin Versuche der Großverlage geben wird, ihre unterschiedlichen Medien in eine zentrale Strategie zu binden und »Synergieeffekte« in Profit umzumünzen. Der Bertelsmann-Konzern hat hier mit der Rundum-Kampagne »Deutschland sucht den Superstar« und der flächendeckenden (Musik, Zeitschriften, TV, Video) weltweiten Nutzung des Elvis-Presley-Jubiläums in vergangenen Jahr Maßstäbe gesetzt. Aber was bedeutet es, wenn die Medienkonzerne jetzt von dieser Strategie wieder Abschied nehmen, »Randaktivitäten« abstoßen und sich auf ihr »Kerngeschäft« konzentrieren?
Das Ergebnis wird nicht selten eine weitere Machtzusammenballung auf den Einzelmärkten sein. Das gilt überall dort, wo die »Randaktivitäten« von einem anderen großen Medienkonzern gekauft werden. Wegen des Umfangs der zu bewegenden Summen kann das meistens gar nicht anders sein. Sehr deutlich zeichnet sich das auf dem Buch- und Zeitungsmarkt ab, wo — die kartellrechtliche Genehmigung vorausgesetzt — die Stellung von Bertelsmann bzw. Holtzbrinck erheblich gestärkt würde.
Um so notwendiger wäre es, dass die Medienpolitik ihrer Aufgabe gerecht würde und sich um die Machtstrukturen und die inhaltliche Unabhängigkeit der Medien kümmerte. Aber dazu müsste man sich mit mächtigen Kapitalgruppen anlegen, und das kommt in Deutschland derzeit nicht in Frage. Medienpolitik wird vorrangig als Standortpolitik verstanden und betrieben. Damit schwinden im Konfliktfall die Hemmungen, den »eigenen« Medienkonzernen Schwierigkeiten bei Fusionen und Kooperationen zu bereiten. Die Finanzhilfe der Bayerischen Staatsregierung und der Bayerischen Landesbank für den Kirch-Konzern war ein beklemmendes Beispiel dafür.

Gert Hautsch

Gert Hautsch ist Mitglied im Ver.di-Fachgruppenvorstand Frankfurt und verfasst Vierteljahresberichte zur Medienwirtschaft .

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