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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 9

»Richtig Muffensausen«

Vor dem zweiten diesjährigen Sonderparteitag der PDS

»Wenn ein Flügel versucht, den anderen aus der Partei zu drängen, wird das ein Nullsummenspiel werden, das die Partei letztendlich kaputt macht.« Gabi Zimmer, auf Linke als »das Böse« fixiert, dürfte kaum bemerkt haben, wie sehr sie Recht hat. Der Ausschuss der »Reformer« aus ostdeutschen Landes- und Fraktionschefs, beiden MdB, den Senats- und Regierungsmitgliedern sowie abgedankten Parteivorsitzenden, der die PDS dirigiert, drängt diese zügig ins Aus. Nach dem erzwungenen Entscheid zum Sonderparteitag am 28./29. Juni zwecks Vorstandssäuberung erhob er Lothar Bisky zum Spitzenkandidaten.
Der »Babelsberger Intellektuelle« gab sich populistisch und brauchte markige Worte über die Pflicht, »diese linkssozialistische Partei zu erhalten«; nicht jeder Reformschritt dürfe »zulasten der kleinen Leute« gehen. Doch konterte er Angriffe wegen der PDS-Teilhabe am neoliberalen Umverteilungskurs in Berlin mit dem Satz, das Wirken dieser Parteiorganisation sei »von großer Bedeutung«, nehme sie doch Antikommunisten die Angst. Senatoren sollten nicht in jeder Frage »sklavisch an die PDS gebunden sein«. Bisky demonstrierte zugleich Geschichtsblindheit, indem er etwa Le-nins Schrift Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück von 1904 mit dem Entscheid zur Neuen Ökonomischen Politik 1921 gleichsetzte.
In der Sache blieb der Vorsitzende in spe eisenhart. Er forderte einen Richtungsentscheid für »Realpolitik«, wies ein Zusammengehen mit Uwe Hiksch und Diether Dehm zurück und bedang sich stete Harmonie zwischen Geschäftsführer und Parteichef aus. Andere Parteirechte komplettierten dies. Zimmer bestand darauf, den vorliegenden Programmentwurf unverändert zu verabschieden. Thomas Falkner, einst Apparatschik beim Parteivorstand, setzte »modernen Sozialismus als transformatorischen Prozess« mit Regierungsbeteiligung gleich.
Um das Geplante zu erreichen, wurden Hiksch, Dehm und der Vorstand von der Vorbereitung des Sonderparteitags und der Aufstellung einer Kandidatenliste für die künftige Führung ausgeschlossen. Hiksch darf keinen Tätigkeitsbericht erstatten, weil er darin anderes sagen würde als Zimmer. Winfried Wolfs Vergleich zwischen solcher Art innerparteilicher Demokratie und »alter Politbüromanier« ist berechtigt. Trotz diverser Absicherungen gegen jede Überraschung aber offenbarte der Rechte Benjamin Hoff: »Wir alle haben richtig Muffensausen vor dem Parteitag.«
An Basis und Mitte kann das nicht liegen, auch an der Linken nicht. Letztgenannte gab treffende Urteile ab, ist aber de facto nicht aktionsfähig. Das Marxistische Forum beklagte, Regeln innerparteilicher Demokratie würden »durch Willkürregeln eines Ausnahmezustands abgelöst«. »Ausgerechnet in einer Situation, da die SPD mit … der rigorosen Demontage von sozialen Leistungen einem neuen geschichtlichen Desaster entgegengeht, treten nun maßgebliche Politiker der PDS an, Ansätze einer stärkeren sozialistischen Profilierung … zu beseitigen und die Führung auszuwechseln, um den alten, offensichtlich gescheiterten Kurs fortsetzen zu können.«
Uwe-Jens Heuer äußerte, die Linke verfüge nur über 10% der Stimmen und habe lediglich in Einzelfällen bis 25% mobilisiert. Wolf hingegen verwies auf die in Münster und Gera der Rechten zugefügten Niederlagen, die auch eine Folge koordinierten linken Vorgehens waren. Nun werde der Sonderparteitag entscheiden, »ob die Linke überhaupt noch einen Klappsessel im Karl-Liebknecht-Haus haben wird«. Heuer mutmaßte: »Es kann sich noch eine Weile hinziehen und ein langer unschöner Tod werden.«
Der Sprecherrat des »Geraer Dialogs« gab am 14.6. eine Zeitung zum Parteitag heraus, die rechten Anwürfen und den tatsächlichen Zielen der Pseudoreformer gewidmet war. Der Parteitagsdelegierte Nick Brauns warf darin Zimmer und Bisky vor, sie veranstalteten »eine Mischung aus SED-Ostdeutschland und CSU-Bayern«.
Der rechte Flügel folgt der Parole »Vorwärts, zurück in die Politik« — bzw. was er sich darunter vorstellt. Zu den Aktivitäten zählt ein Aufruf von 36 Amts-, Mandats- und Würdenträgern. Demnach sollen Vertreter der Gemeinden und kommunalen Spitzenverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände und Bewegungen, von Medien-, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, die MdL und MdB einen Sozialkonvent bilden, der den Sozialstaatsabbau steuert. Das erinnert an »klassenübergreifende« Appelle zu Volks- und Nationalen Fronten.
Zum 17.Juni verabschiedete die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus mit allen anderen eine Resolution, die den »ersten Volksaufstand im sowjetischen Machtbereich« als Vorläufer zum »demokratischen Ende« von 1989 anpries. Bei Bisky und den PDS-MdB verstärkten sich angesichts der Bildung einer »europäischen Friedenstruppe«, die im Nordostkongo Bürgerkrieg führenden Gewalthaufen entgegen treten soll, erneut Tendenzen, dem Münsteraner Parteitagsbeschluss zuwider Militäreinsätze mit BRD-Teilnahme außerhalb des Bündnisgebiets zu unterstützen. Carsten Hübner, Vorstandssprecher für Menschenrechte, erklärte, auch für Einsätze jenseits eines UNO-Mandats zu sein.
Am 11.6. stellten Zimmer und Bisky den Leitantrag für den Sonderparteitag vor. Er trägt den Brecht entlehnten Titel »Gerechtigkeit ist das Brot des Volkes« und wurde von 52 Personen unterschrieben, darunter sechs Vorstandsmitgliedern, den ostdeutschen Landes- und Fraktionsvorsitzenden, zwei westdeutschen Landessprechern, 14 MdL und mehreren Länderministern, nicht von Gysi, den Europaabgeordneten und Dieter Klein. Die Autoren nehmen Anlauf, die Parteikrise zu erklären, beschreiben aber nur Symptome, z.B. dass »unser Widerspruchsgeist und unsere Kraft zum Widerstand … spürbar nachgelassen« hätten und die PDS nicht mehr als Partei erkennbar gewesen sei, »die vorrangig die Interessen, Sorgen und Hoffnungen der Menschen vertritt«.
Für die Wahlniederlage vom 22.September 2002 machen sie auch strategische Fehlentscheidungen verantwortlich, ohne jedoch konkret zu werden. Die Rolle der PDS als Mehrheitsbeschaffer für Schröder verkehren sie zu der These, dergleichen tue die Partei nicht. Allein die anderen seien »Verwalter und Gestalter des neoliberalen Kapitalismus und seiner Globalisierung«.
Im zweiten Antragsteil wird der PDS-Vorstand beauftragt, Lehren aus der Krise zu ziehen, das neue Programm und Offenheit gegenüber sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen durchzusetzen, das Antikriegsprofil auszubauen, Wahlkämpfe zu führen und »eine dringend notwendige Parteireform« vorzunehmen. Die Verfasser sagen nicht, welcher Art sie sein soll. An eine Rückkehr zur innerparteilichen Demokratie, Einhaltung von Statut und Mehrheitsbeschlüssen ist fraglos nicht gedacht.
Im dritten Teil wird die Agenda 2010 missbilligt, z.B. durch den Satz, Kürzung der Arbeitslosenbezüge ohne Angebot von Arbeitsplätzen sei »unanständig«. Die Autoren bejahen einen Umbau des Sozialstaats, doch müsse, wer das will, »bereit sein, sich mit den wirklich Mächtigen anzulegen«, er dürfe nicht feige vor ihnen kriechen.
Propagiert wird eine »Agenda Sozial«, die auf Abbau der Erwerbslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung, ein »Innovationsprojekt Ost«, Beiträge aller Erwerbstätigen und Eigentumsarten zur Renten- und Arbeitslosen- bzw. Kranken- und Pflegeversicherung, einer Grundrente, Rücknahme der Verzichte auf Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuern und Sparmaßnahmen nicht allein zulasten der Lohnabhängigen und sozial Schwachen gerichtet ist.
Der Aufruf zum Sozialkonvent wird unterstützt. Laut Präambel will die PDS »energisch eingreifen in die Diskussion um die Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialsystems« und sagen, »dass es zur unsozialen Abrisspolitik … gerechte und solidarische Alternativen gibt«. Erfolge des rechten Parteiflügels aber konterkarieren alle guten Vorsätze.

Manfred Behrend

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