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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 11

Zwei Jahre Betriebsarbeit

als spannende Lektüre

Von Peter Vollmer, dem Gründer und Leiter der Stiftung »Menschenwürde und Arbeitswelt« in Berlin ist ein Buch mit autobiografischen Aufzeichnungen erschienen. Es ist ein Rückblick auf seine Jahre in einem Kabelwerk in Berlin von 1976 bis 1978, und beruht auf damaligen persönlichen Aufzeichnungen. 25 Jahre her ist eine lange Zeit, und doch erscheint es wie gestern, wenn Peter Vollmer von seinen betrieblichen Erfahrungen berichtet — lange bevor Günter Wallraffs Ganz unten Furore machte. Peter war infolge seiner Überzeugungen nach der Studentenbewegung jahrelang Arbeiter in Berliner Metall- und Elektrobetrieben und später bei BMW bekannter oppositioneller Betriebsrat, bevor er ausschied und die Stiftung gründete.
Seine Notizen aus der Zeit, dazu Akten und Flugblätter, Gerichtsunterlagen und persönliche Erzählungen ließen ihm keine Ruhe, nur im Schrank zu bleiben, und so legt er nun ein Buch über seine zwei Jahre beim »Kabelwerk Winckler« vor.
Über die Einstellung, die praktische Einweisung und Anlernzeit, Arbeits- und Lebensbedingungen bis hin zur spannenden Betriebsratswahl mit einer oppositionellen Liste »Frischer Wind« und die betrieblichen und juristischen Auseinandersetzungen berichtet Peter Vollmer anschaulich und eindrücklich.
Arbeitsdruck, mangelnder Arbeitsschutz, untätige Betriebsräte, Kündigungen sind die Erfahrungen dieser Zeit. Aber vor allem auch der Widerstand der Kolleginnen und Kollegen, die Formierung einer Oppositionsliste vor allem mit türkischen Kollegen, die politischen und gewerkschaftlichen Diskussionen einer heißen Zeit werden anschaulich geschildert.
Peter Vollmer ging mit der Absicht in die Betriebe, den Kollegen eine gesellschaftliche und betriebliche Alternative aufzuzeigen und mit ihnen praktisch zu verwirklichen. Die damalige RGO (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition) war eine Möglichkeit dazu. Peter schildert die Vorbereitungen der Betriebsrätewahl von 1978, als es bundesweit zu vielen oppositionellen Listen kam. Wichtige betriebliche Forderungen und der Wunsch nach Widerstand sind die Triebkräfte. Der IGM-Betriebsrat, die Betriebsleitung und Meister bekämpfen entschieden den Versuch der Oppositionellen. Es gibt sofort Behinderungen, Ungültigkeitserklärungen des Listenvorschlags, gerichtliche Gegenschritte der Gruppe um Peter Vollmer. Es kommt zu Schikanen, Druck auf die Listenteilnehmer, Drohungen. Die IG Metall in Westberlin reagiert mit Flugblättern und Denunzierung. Peter, der schon aus der IGM ausgeschlossen ist, kann seine Stellung halten, weil er Rückhalt in der Belegschaft hat.
Die Liste »Frischer Wind« erhält 40% der Stimmen, aber die IGM-Liste hat zusammen mit den Angestellten eine deutliche Mehrheit. So kommt es, dass Peter bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Betriebsrat mit Werksleitung und Vorgesetzten aneinandergerät, abgemahnt und schließlich gekündigt wird, mit Zustimmung der BR-Mehrheit, Hausverbot eingeschlossen. Er gewinnt den folgenden Kündigungsschutzprozess bis in die zweite Instanz. Bevor er wieder im Betrieb anfangen kann, stirbt ein Kollege der Liste »Frischer Wind« bei einem Arbeitsunfall. Die RGO verteilt Flugblätter mit der Überschrift »Mord aus Profitgier« — erneute Kündigung von Peter Vollmer. Auch hier: Prozess gewonnen, aber keine Wiederbeschäftigung über Monate.
Inzwischen hat Peter Vollmer neue Arbeit gefunden und geht — nach fast zweijähriger Abwesenheit aus dem Betrieb — auf eine Abfindung ein. Damit beginnt für ihn ein anderes Kapitel und hoffentlich dann auch mal ein weiteres Buch, nämlich seine Arbeit bei BMW in Berlin.
Das Buch ist »Geschichtslektüre« aus erster Hand und wichtig, um zu verstehen, was nicht nur in jener Zeit in Betrieben und Gewerkschaften geschah. Der persönliche Blick des Autors ermöglicht eine solidarische Auseinandersetzung — sehr zu empfehlen.

Rolf Euler

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