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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 1

Wo sind die Römer?

Als uns Peter Brückner vor einem Vierteljahrhundert die Bundesrepublik zu erklären versuchte, stellte er die strategisch entscheidende Frage: »Karthago muss zerstört werden, ehe es sich selbst zerstört — aber wo sind die Römer?« Auch heute stehen wir vor einem ähnlichen Trümmerhaufen.
Der spürbare gesellschaftliche Aufbruch der zweiten Hälfte der 90er Jahre ist zum Stillstand gekommen und Ratlosigkeit breitet sich aus. Die Woche um den 28.Juni herum scheint sich als Wendepunkt der innenpolitischen Situation zu erweisen. »Nur Nein-Sagen geht nicht mehr. Die Zeit der Nein-Sager ist zu Ende«, so Kanzler Schröder in seiner Regierungserklärung vom 4.Juli.
Einen knappen Monat nach jenem SPD-Sonderparteitag, auf dem sich die Partei- »Linke« dem neoliberalen Kurs der rot-grünen »Agenda 2010« nachhaltig beugte, knickte auch die PDS vor der Hegemonie des vorherrschenden Neoliberalismus ein, indem sie jede Form der innerparteilichen Kritik an ihrer aktiven Mitverantwortung für entsprechende Deformprojekte als sektiererischen Linksradikalismus erfolgreich ausgrenzte. Am selben Tag, an dem Lothar Bisky zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde, am besagten 28.Juni, wurde der IG-Metall-Streik für die 35-Stunden-Woche im Osten Deutschlands vom Vorsitzenden Klaus Zwickel für beendet erklärt, nachdem die entsprechenden Verhandlungen mit den Arbeitgebern gescheitert waren.
Die sich hieran anschließende wochenlange Medienkampagne hat sinnbildlich verdeutlicht, dass sich Grundlegendes im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis der BRD geändert hat. Nun wird nicht mehr über Arbeitszeitverkürzung gestritten, sondern die Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit gefordert. Die Gewerkschaften sind mit einer forcierten Erosion des Flächentarifvertragssystems konfrontiert, die Rentnerinnen und Rentner müssen sich auf weitere Kürzungen ihrer Renten ebenso einstellen wie die Beamten auf die Kürzung ihrer Bezüge. Während eine große Koalition der Gesundheitsdeformierer die Kosten von Krankheit weiter privatisiert und den ohnehin schon sozial Schwachen stärker als anderen aufbürdet, werden wir Zeugen einer vorgezogenen Steuer»reform«, die einmal mehr die »Großen« und manche »Mittlere« entlastet, die »Kleinen« dagegen belastet. Finanziert wird diese Deform vor allem mit einer Neuverschuldung, die dann in Bälde den Vorwand für weitere »schmerzhafte« Kürzungen abgeben wird. Und all dies, um dem goldenen Kalb einer möglichen Konjunkturerholung zu dienen, die ferner denn je ist. Jüngste Meldung: Der Krankheitsstand der Lohnarbeitenden ist so gering, wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Die Menschen nehmen aus Angst vor der drohenden Arbeitslosigkeit ihr Recht auf körperliche Regeneration nicht mehr wahr.
Was also tun? Der Neoliberalismus muss zerstört werden, ehe er die Gesellschaft selbst und die in ihr lebenden Menschen weiter zerstört. »Aber wo sind die Römer?«
1978, im selben Jahr, als Brückner sein zitiertes Buch veröffentlichte, setzte die IG Metall in einem Stahlstreik ein neues Zeichen und forderte erstmals die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche. Zur gleichen Zeit erlebten wir den Aufstieg neuer sozialer Bewegungen, die dem vermeintlichen Sachzwang eine andere Logik entgegensetzten. Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis begann, sich nach links zu verschieben. Und es begann mit einem selbstbewusst-trotzigen: Nein!

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