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Nach dem Regierungswechsel 1998 war mit dem weiteren Abbau des Sozialstaats ein Umbau des Sozialstaats verbunden, der
unter anderem auf eine ideologische Aufwertung der Arbeit und eine autoritäre Integration durch Arbeit setzte. Was für den Angriffskrieg gegen
Rest-Jugoslawien und die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik zutrifft, gilt auch für die sozialpolitische Modernisierung: Nur unter Rot-
Grün konnte der Umbau des Sozialstaats derart vorangetrieben werden. Auf der einen Seite waren es die Sozialdemokraten, die den Konsens mit den
Gewerkschaften organisieren konnten. Auf der anderen Seite waren es die Grünen, die durch ihren früh einsetzenden »Erfolg« in den
achtziger Jahren eine linke Opposition zunehmend in den Block an der Macht integrierten. Auch deshalb ist eine linksradikale Gegenmacht in Deutschland so
marginal. Sie hat kaum noch ein Feld, in das sie intervenieren oder Positionen, die sie radikalisieren kann.
Und die Gewerkschaften? Sie haben dem Ganzen nur eines entgegenzusetzen: Aus Angst vor
der eigenen Irrelevanz wird konstruktiv mitgemacht. Bei der Rentenreform ebenso wie bei den Vorschlägen der Hartz-Kommission. Letztere ist nur ein
Moment in einer sich immer stärker autoritär gebärdenden Staatsführung. Diese »Expertokratie« versucht soziale
Konflikte und Interessensgegensätze zu versachlichen und so in eine Frage für scheinbar neutrale Experten zu transformieren. Zum anderen etabliert
sich in dieser Form ein Autoritarismus, der statt auf das bürgerliche Ideal mündiger Bürgerinnen und Bürger auf einen unreflektierten
Glauben an Experten setzt. Die Einbindung der Gewerkschaften in der Hartz-Kommission durch die Regulierung der Leiharbeit steht in einer Kontinuität.
Seit den 80er Jahren ist die Folgebereitschaft der Gewerkschaften bei der Modernisierung ökonomischer Strukturen und Anpassung an
Weltmarktbedingungen nie gefährdet gewesen.
Der Scherbenhaufen, vor dem die radikale Linke angesichts kaum stattfindenden sozialen
Widerstands steht, sollte zumindest Anlass für eine gehörige Portion Selbstkritik sein. Während aber der eine Teil der radikalen Linken sich
um sich selbst dreht und für Klassenkämpfe nur mehr ein müdes Lächeln übrig hat, scheinen viele traditionelle Linke nicht in der
Lage zu sein, Form und Inhalt ihrer Politik zu reflektieren. Weiterhin wird bspw. auf Großdemonstrationen gesetzt, die ihren Sinn und Ausdruck verlieren,
wenn die Massen fehlen. Die Misserfolge werden meist schön geredet. Kläglich musste das bei der Demonstration gegen den Sonderparteitag der
SPD am 1.Juni in Berlin erfahren werden. Dort wurde aber auch noch mehr sichtbar. Angesichts schwindender Mitglieder ist der positive Bezug vieler linker
Gewerkschafter auf die globalisierungskritische Bewegung wesentlich durch das eigene Interesse geprägt. Die wichtigsten Kämpfe, so der Tenor,
sind immer noch die eigenen. Das drückt sich u.a. in einer Fixierung und einem positive Bezug auf Lohnarbeit aus. Gleichzeitig werden andere
gesellschaftliche Verhältnisse, die durchaus zentral für soziale Kämpfe sind, ausgeklammert. Allen voran die Geschlechterverhältnisse.
Der ideologischen Aufwertung von Arbeit wird nicht nur kaum etwas entgegengesetzt, sondern diese wird aus einer anderen Perspektive selbst betrieben. Aber
auch an anderer Stelle brechen viele nicht mit der Form herrschender Politik. Wie viele NGOs forcieren sie die Form autoritärer Politik mit
Gegenexpertise und Expertenhearings. Statt an den eigenen Bedürfnissen und einem Anspruch auf ein gutes Leben anzusetzen, werden konstruktiv
diskussionswürdige Alternativen entwickelt und der Staat als Adressat kaum in Frage gestellt. Er könnte, wenn er nur wollte, ja auch anders. Diese
Form der Politik gibt den Experten jeglicher Couleur dem eigenen Widerstand im Alltag Vorrang. Der autoritäre Alltagsverstand, an dem es durchaus
anzusetzen gilt, wird damit aber nicht kritisiert, sondern affirmiert. Demgegenüber gilt es, die Möglichkeit vom Widerstand im Alltag wieder
sichtbar zu machen. Soll sich ein nennenswerter Protest gegen die noch drohenden Sozialkürzungen etablieren, muss die dumpfe Wut über
Einsparungen und die individuelle Ohnmacht in ein solidarisches kollektives Handeln und kontinuierlichen offensiven Widerstand verwandelt werden. Das kann
nur dort geschehen, wo Experten keinen Einblick haben und kein Apparat ansetzen kann: Bei den eigenen Bedürfnissen, im Alltag und in einer aktiven
Aneignung eines schönen Lebens.
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