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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 4

Back to the Roots?

Die SPD und die allgemeine Krankenversicherung

von Klaus Engert

Als im deutschen Reichstag 1883 der Gesetzentwurf zur allgemeinen Krankenversicherung zur Abstimmung anstand, kämpfte ein gewisser Friedrich Engels in der vordersten Front der Gegner dieses Gesetzentwurfs. So drohte er in einem Brief an August Bebel vom 10.Mai 1883 damit, im Falle der Zustimmung der Reichstagsfraktion der SPD aus der Partei auszutreten.
Verfolgt man die derzeitigen Verhandlungen der Regierung mit der Opposition über die geplante sog. »Gesundheitsreform« (PISA lässt grüßen: schön wäre es ja, wenn sich Gesundheit reformieren, d.h. neu einrichten ließe…), dann könnte man zu der Ansicht gelangen, dass sich die deutsche Sozialdemokratie nach 120 Jahren auf ihre Wurzeln besonnen hat. Denn sie ist emsig dabei, die von Bismarck gegen ihren Willen inaugurierte Solidarversicherung scheibchenweise zu beseitigen. Übrig bleiben wird irgendwann eine Basisversorgung auf niedrigem Niveau, der Rest wird der privaten Versicherungswirtschaft zum Fraße vorgeworfen. Dabei kommen Schröder und Konsorten sogar auf so lustige Gedanken wie den, in Zukunft die Raucher für den Mutterschutz bezahlen zu lassen.
Wie so häufig, haben die Sozialdemokraten ihren alten Parteigenossen Engels gründlich missverstanden. Der hatte nämlich nicht deswegen etwas gegen das bismarcksche Gesetz, weil es auf den Prinzipien der Solidarversicherung beruhte, sondern weil er die Unabhängigkeit der damals bereits bestehenden, ausschließlich von den Beitragszahlern selbstverwalteten Kassen von Staat und Kapital bewahren wollte. Und er hatte auch etwas dagegen, dass sich die Solidarität nur auf die unteren Einkommensgruppen beziehen sollte.
Ausgerechnet Herr Seehofer, ein marxistischen Gedankenguts eigentlich völlig unverdächtiger Zeitgenosse, versuchte die Koalitionäre mit seinem Vorschlag der »Bürgerversicherung« auf die alte marxistische Spur zu bringen. So ernst hat er das allerdings sicher nicht gemeint, denn er hätte ja während seiner Amtszeit genügend Gelegenheit gehabt, das, was er jetzt — zum Missbehagen seiner eigenen Parteikameraden — als Königsweg propagierte, in die Tat umzusetzen.
Dass die Genossen und ihre grünen Pausenclowns nicht auf Seehofer hören mögen, versteht man noch. Aber die von ihnen selbst eingesetzte Rürup-Kommission hatte eine ähnliche Option (Aufhebung der Versicherungsgrenze, also Ausweitung statt Abbau des Solidarprinzips) schließlich auch schon ins Spiel gebracht. Das war der Koalition wiederum so peinlich, daß dieser Vorschlag unkommentiert in der Versenkung verschwand.
Engels hielt viel von Radikalität. Die heutige SPD auch: von Marktradikalität.

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