SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 4

Steinbrück (NRW) und Peters (IGM)

Zweierlei Maß

von CHRISTOPH JÜNKE

WWenn zwei etwas Vergleichbares tun, heißt das bekanntlich noch lange nicht, dass sie auch vergleichbar behandelt werden. Da hätten wir zum einen den ominösen Koalitionsstreit in NRW. Fünf Wochen lang versuchte der NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück mit einer bewundernswerten Halsstarrigkeit seinen kleinen grünen Koalitionspartner aus der Koalition zu mobben. Scheinbar ohne jeden Plan und offensichtlich ohne jede Fähigkeit, sein Anliegen legitim erscheinen zu lassen, stellte er die »Reform«fähigkeit der Bündnisgrünen immer wieder öffentlich in Frage. Weder seine politischen Freunde noch seine Feinde, auch nicht die geballte Pressemacht vermochte es, sich einen halbwegs stimmigen Reim auf die ganze Sache zu machen.
Als schließlich die weitgehende Pleite der v.a. von den Sozialdemokraten kontrollierten Landesbank WestLB ruchbar wurde und allen halbwegs intelligenten Menschen gleichsam sinnlich klar machte, dass solcherart ökonomische Krisen weniger auf das Anspruchsdenken der Beschäftigten, als auf die Profitgier der Manager zurückzuführen sind, schritten Parteichef Schröder und Wolfgang Clement ein und zwangen Steinbrück bei einem Kamingespräch in die Knie. Steinbrück musste vor den Grünen kuschen, endgültig auf seinen geliebten Metrorapid verzichten, sowie eine stärkere Reduzierung der Steinkohlesubventionen und einen nachhaltigen Abbau der staatlichen Verwaltung akzeptieren. Eine komplette Niederlage.
Da hätten wir zum anderen den ominösen Tarifstreit in der Metallindustrie, eine seit langer Zeit beschlossene Tarifauseinandersetzung um Grundsätzliches, die der designierte neue IG-Metall-Vorsitzende auf der einen Seite auch als persönlichen Kampf inszenierte, auf der anderen Seite jedoch merkwürdig bremste, indem er möglichst vielen in seiner eigenen Gewerkschaft möglichst wenig auf die Füße treten wollte. Ein halbherzig und bürokratisch geführter Streik und Peters taktische Fehler machten es seinen innergewerkschaftlichen Opponenten offenbar möglich, bei der ersten besten Gelegenheit in die Gegenoffensive zu kommen. Anders als Steinbrück wollte und konnte Peters allerdings nicht zu Kreuze kriechen und musste sich doch in der Sache geschlagen geben.
Soweit so gut oder so schlecht — je nachdem. Doch wie unterschiedlich war die Reaktion der sich in der Medienindustrie verkörpernden »öffentlichen Meinung«. Trotz gelegentlich sanfter Häme und offener Worte — Steinbrück sei als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet, so bspw. die SZ — haben sie den einen, ihren gefallenen Sohn, sogleich gehätschelt und gepflegt. Steinbrück genießt hier noch immer den Nimbus eines dynamischen und wichtigen Landespolitikers. Auffällig beeilte man sich, die Irritationen der letzten Wochen im Blätterwald der Archive dem Vergessen anheim zu geben.
Wie anders dagegen bei der IG Metall. Nach derem Scheitern ging die Häme und Hetze erst richtig los. Ein kaum verkappter Klassenkämpfer und Traditionalist, ein »Strippenzieher« sei Jürgen Peters, ein Mann, der an seinem Spitzengehalt klebe wie die Made im Speck. Von Bild bis SZ, von den Fernsehsondersendungen bis zur Tagesschau, vom niederen bis zum höheren Journalismus, von der offenen Meinungsbekundung bis zur Auswahl der vermeintlich objektiven Bilder und Interviewpartner, das Ausmaß an ideologischer Gleichschaltung war und ist in der Tat bemerkenswert. So selbstverständlich das politisch-persönliche Versagen eines Peer Steinbrück keine einzige Rücktrittsforderung erntete, so selbstverständlich konzentrierten sich bei Peters und Düvel die entsprechenden Forderungen gerade darauf. An ihrem nach bürgerlichen Kriterien ausgerichteten fachlichen Können kann es also nicht liegen.
Verständlich wird dieses zweierlei Maß nur, wenn man nach den dahinter stehenden, berühmt-berüchtigten gesellschaftspolitischen Interessen fragt. Nicht weil Steinbrück wirkliche Probleme mit den Grünen in NRW hatte, hat er versucht, sie aus der Koalition zu drängen. Und ebensowenig ist Jürgen Peters der Klassenkämpfer, als den ihn zur Zeit alle darstellen. Steinbrück wusste allerdings, was in den kommenden Jahren, im Rahmen einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise, an »Aufgaben« noch auf ihn zukommt bzw. an ihn gestellt wird. Die Grünen könnten sich dabei als weniger handsam erweisen als die FDP. Ebenso Klaus Zwickel: Sehr genau wissend, was auf die Gewerkschaftsbewegung noch an »Aufgaben« zukommt, bzw. an sie gestellt werden wird, wollte er die Gunst der Stunde nutzen und klar Schiff machen.
Beides ist zu einem gehörigen Maß Spekulation, aber bürgerliche Politik denkt eben langfristig und versucht dabei, Möglichkeiten in eine bestimmte Richtung zu begrenzen oder zu nutzen. Bei den NRW-Grünen dürfte diese Strategie problemlos aufgehen. Ob sie bei der IG Metall aufgeht, ist unsicherer. Trotz aller Bürokratisierung und Verflechtung mit dem bürgerlichen Staat, ist eine soziale Bewegung wie die IG Metall anfälliger für Gegenströmungen. Es käme darauf an, solche zu stärken — und die elende Macht der neoliberalen Medien zu brechen.

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