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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 5

Falsche Solidaritäten

Mag Wompel über die falsche Alternative Zwickel—Peters, den Arbeitsfetisch und die Aufgaben der Gewerkschaftslinken

Der von der IG Metall abgebrochene Streik um die Einführung der 35-Stunden-Woche im Osten hat einen historischen Charakter. Und einmalig ist die sich daran anschließende, öffentlich ausgetragene und ausgeschlachtete Diskussion, die diese Niederlage in der IG Metall ausgelöst hat. Über die verschiedenen linken Reaktionen und die Perspektiven eines linken Eingriffs in diese Debatte sprach Christoph Jünke für die SoZ mit Mag Wompel, Industriesoziologin in Bochum und Redakteurin des LabourNet Germany (www.labournet.de www.labournet.de).

Betrachtet man, wie verschiedene Linke den gescheiterten Streik der IG Metall und die Konsequenzen des jetzigen Richtungsstreites in der IGM kommentieren, so fallen zwei Tendenzen auf. Zum einen ist da ein Michael Jäger, seines Zeichen Freitag-Kommentator, der geschrieben hat, dass die Tatsache, dass Jürgen Peters kämpft »gut so [ist]. Denn daran, ob er steht oder fällt, hängt eine Sache.« Und weiter: »Deshalb muss Peters siegen. Der Schaden eines Siegs seiner Kritiker würde den Schaden des Streikzusammenbruchs um ein Vielfaches übertreffen.« Nur einen Tag später ist deine junge-Welt-Kolumne mit einer doch deutlich anderen Schlagseite erschienen. Du schreibst, dass es bei der ganzen Auseinandersetzung »in Wahrheit nicht mehr« als um einen »Streit um Nuancen der Selbstdarstellung der Gewerkschaftsspitzen« gehe. Du gehst sogar soweit zu sagen, dass wer sich in der aktuellen Auseinandersetzung hinter Peters stelle, »sich unterstellen lassen [muss], dass ihm kämpferische Töne zu kapitalfreundlichen Taten genügen«. Wie erklärst du dir den sehr weit gehenden Unterschied zwischen diesen beiden Aussagen zweier bekannter linker Kolumnisten.

Mag Wompel:Zuallererst: Dieser Streik ist kein gescheiterter, sondern ein abgebrochener Streik. Es war ein Streikbruch von Zwickel und den westlichen Betriebsratsfürsten, der in menschenverachtender Weise jenen Ostkollegen gegenüber durchgeführt wurde, die all unsere Hochachtung verdienen. Bevor der Streik scheitern konnte, ist er auf höchst ungewöhnliche, undemokratische Weise abgebrochen worden.

Scheitern bezieht sich darauf, dass die Forderungen, um die gekämpft wurden, nicht nur nicht durchgesetzt werden, sondern mehr noch, nun auch in Frage gestellt werden. Dies ist ein großer Rückschritt und in diesem Sinne ein Scheitern.

In diesem Sinne ist es ein Scheitern, ja, aber ein selbstverschuldetes Scheitern.
Doch nun zu deiner eigentlichen Frage. Ich wehre mich deswegen gegen die Darstellung in manchen Gewerkschaftskreisen und Großteilen der Presse, dass dies eine Auseinandersetzung zwischen zwei verschiedenen Flügeln und Personen sei, weil ich zwischen diesen beiden Flügeln keine großen Unterschiede sehe. Was ich sehe ist, dass der Streikbruch und das Verhalten der Medien und der Politik — ein klarer Bruch der Tarifautonomie —, dass dies zumindest eine sehr positive gewerkschaftspolitische Debatte ausgelöst hat, eine Debatte, die die Linke schon lange gefordert, aber nie aus eigener Kraft zustande gebracht hat. Insofern ist die Auseinandersetzung durchaus eine Chance für die Gewerkschaftsbewegung. Die Chance wird jedoch vertan, wenn wir die Debatte auf die Flügelkämpfe und die Personen Peters und Zwickel polarisieren.

Es ist aber doch wirklich nicht zu übersehen, dass die Auseinandersetzung unabhängig, wie man die bisherige Politik von Peters einschätzt, innerhalb wie außerhalb der Gewerkschaften als ein Flügelkampf, als ein Strategiekonflikt um die Auseinandersetzung mit dem heutigen Stand neoliberaler Politik gesehen wird. In diesem objektiven Zusammenhang vertritt doch Peters eine bestimmte, im Vergleich zu Zwickel und Huber deutlich »gewerkschaftskämpferische« Strömung. Diesen Unterschied scheinst du mir zu negieren.
Weil es nicht so einfach ist. Der Unterschied zwischen einem Huber und einem Peters ist in der Tat verschwindend gering. Peters steht in meinen Augen für einen Radikalverbalismus, der auf kämpferische Töne setzt, auf die Huber bewusst verzichtet, aber in den realen Auseinandersetzung verhalten sich beide keinesfalls sehr unterschiedlich.
Das Gewicht dieses Personenkampfs kommt auch daher, dass es einen nie genannten, aber tatsächlich in der IG Metall vorhandenen dritten, und zwar klassenkämpferischen Flügel gibt, dem u.a. große Teile der organisierten wie nichtorganisierten Gewerkschaftslinken angehören. Große Teile dieses Flügels machen zur Zeit m.E. den taktischen Fehler, mit der voreiligen Unterstützung von Peters die Hoffnung auf eine zukünftig andere Politik von Peters zu verbinden. Das halte ich für eine Illusion. Warum ist es denn nicht möglich, zu sagen: »Wir verweigern den angeblichen Sachzwang, sofort Personen festzulegen und fordern zuerst eine seit Jahren überfällige politische Debatte. Bis dahin kann ein provisorischer Vorstand für bestimmte Vorgaben eingesetzt werden«? An diese Möglichkeit denkt jedoch keiner, auch nicht die Linken.

Ist dies nicht ein Ausfluss des Realismus, also der Erkenntnis, wie marginal diese dritte Strömung ist und dass man dafür keine Durchsetzungschance hat und sich trotzdem in der konkreten Auseinandersetzung verhalten muss?
Wenn vorbeugende Kniefälle Realismus sind, ist das realistisches Verhalten. Ich halte es für unnötig. Unnötig, weil es eine solche Chance wie seit fast 20 Jahren nicht mehr gibt, das Verhalten der Gewerkschaften als Gewerkschaften zu debattieren.

Vor dem Hintergrund, dass diese Personalentscheidung in den nächsten ein bis zwei Monaten gefällt werden wird, ist doch die Chance viel größer, dass der Peterskurs mehr Diskussionsmöglichkeiten bietet als jener, der sich gegen Peters durchzusetzen versucht.

Ich hab an keiner Stelle davon gesprochen, den Reformflügel einfach wählen zu lassen. Ich hab für einen dritten Weg gesprochen, dafür, sich keine unnötige, voreilige Personaldebatte aufzwingen zu lassen. Sobald Peters als kleineres Übel gewählt worden ist, wird die jetzt endlich aufkommende politische Debatte in der Gewerkschaft wieder tot sein — das ist die Gefahr, die ich sehe. Die IG Metall hat eine lange Tradition fehlender innergewerkschaftlicher Demokratie und wir stehen an dem Punkt, wo die Chance besteht, tatsächlich eine Debatte zu entwickeln.
Jahrzehnte hat sich eine ziemlich stalinistische Verhaltensweise in der IG Metall ausgeprägt, das haben wir doch jetzt an der großen Verhandlungskommission gemerkt, die dem Streikabbruch durch Zwickel nicht zu widersprechen wagte. Auch die Gewerkschaftstage sind überfüllt mit Delegierten, die nur mit dem Wohlwollen bestimmter Betriebsratsfürsten gewählt wurden. Eigentlich braucht die Gewerkschaftsbewegung ganz neue Ideen und Strukturen, wie Debatten geführt und Personalentscheidungen gefällt werden.

Kann es nicht sein, dass in der konkreten Auseinandersetzung Peters und die seinen darauf angewiesen sind, sich gerade in diese von dir skizzierte Richtung zu öffnen — eher als Zwickel und die seinen?

Wenn ich eine Gewerkschaftstagsdelegierte der IG Metall wäre, und das hätte neben der IG-Metall-Mitgliedschaft vorausgesetzt, dass man ein paar Jahre lang in einer bestimmten Richtung agiert hat, um aus Wohlwollen Delegierter werden zu können — es gibt ja nicht umsonst nur so wenige kritische linke Gewerkschafter als Delegierte —, dann würde ich wahrscheinlich deiner Argumentation folgen. Ich sehe meine Funktion aber nicht darin, zu sagen, was Gewerkschaftsdelegierte zu tun haben, ich kann nur von außen sagen, was eigentlich Not täte. Man kann damit scheitern.

Aber es geht doch wirklich sehr weit, wenn du in deinem besagten Kommentar schreibst, dass wir nicht nur die IG BCE, sondern auch die IG Metall in ihrer jetzigen Form gar nicht brauchen.

Das gilt übrigens auch für Ver.di. Danke, dass du das fragst, denn darauf wollte ich hinaus: Ich habe grundsätzlich Probleme damit, »nur« weil das Kapital und die Medien die Gewerkschaften zersetzen wollen, falsche Solidaritäten zu praktizieren, die gerade künftige Debatten und Entwicklungen ausschließen. Das Kapital will nicht die Gewerkschaften zersetzen. Es will sie soweit schwächen, dass sich das Gewicht noch mehr von den Gewerkschaftsfunktionären zu den Betriebsräten hinwendet. Die Betriebsräte als Ordnungskraft möchte das Kapital gerne haben.
Aber ich bitte, nicht falsch verstanden zu werden. Ich reiße mir täglich den Arsch auf, um v.a. mittels des Labournet die Gewerkschaften als für alle Lohnabhängigen notwendige Organisationen zu verteidigen. Die Frage ist nur, ob dies die Gewerkschaften sind, mit denen wir es zurzeit zu tun haben. Die IGM nimmt, wie auch der gesamte DGB, in Anspruch für alle Arbeitenden und auch die Erwerbslosen zu sprechen. Sie fragen diese nur nicht und haben schon seit Jahren dem Sozialabbau zu Lasten der Erwerbslosen und Sozialhilfeempfänger zugestimmt. Sie haben ungefragt Niedriglohntarifen zugestimmt, die erst bei Stundenlöhnen von 2 Euro eine Klage wegen Unzumutbarkeit und Lohnwucher zulassen. Sollen wir für diese Gewerkschaften kämpfen und den Führungen damit zeigen, weiter so? Bei meinen Vortragsreisen durch die Lande sag ich den Leuten nicht: »Scheiß auf die IG Metall oder Ver.di.« Ich rufe alle auf, auch und gerade Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger, selbst aktiv zu werden und die Gewerkschaften in eine Richtung aufzumischen, die zu unterstützen sich auch lohnt. Ich hab nicht gesagt, lasst die Gewerkschaften links liegen, ich hab gesagt, lasst die Gewerkschaftsführungen rechts liegen.
Was wir brauchen sind Mitglieder, die sich nicht damit begnügen, ein paar Euro Mitgliedsbeitrag abzudrücken, um ihre Interessenpolitik erst zu delegieren und diese dann anschließend am Stammtisch zu beschimpfen. Wir brauchen Menschen, für die Kampf zum Leben gehört und nichts lästiges, zu delegierendes darstellt, Menschen die kämpfen wollen und dafür einen Zusammenhalt brauchen.

Was zu dem Missverständnis von mir und anderen beigetragen haben mag, ist ein anderer Punkt, den du in deiner Kolumne angesprochen hast. Wenn es um die politische Zielperspektive geht, siehst du als ein Hauptproblem die »jahrzehntelange politische Fixierung auf die angebliche Alternativlosigkeit der Lohnabhängigkeit«. Das ist zumindest sehr missverständlich, denn du kannst doch nicht im herrschenden Kapitalismus verlangen, dass die Leute ihre Lohnarbeit aufgeben.

Eins der Hauptprobleme, mit denen wir es zu tun haben, ist die Argumentation, dass es hauptsächlich darum gehe, Menschen in Lohnarbeit zu bringen, ohne zu fragen, um welche Form der Lohnarbeit es sich da handelt. Eine solch entleerte Forderung nach Arbeitsplätzen führt dazu, dass Arbeitskämpfe nicht konsequent geführt werden, um die Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Im Moment stimmen DGB und Gewerkschaftsführungen allem zu, was angeblich Arbeitsplätze erhält oder schafft, egal zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis. Über Arbeitsqualität ist schon lange nicht mehr geredet worden.
Nicht nur der Peters-Flügel, auch verdammt viele des dritten, klassenkämpferischen Flügels lassen sich auf die Logik »Hauptsache Arbeitsplätze« ein. Wenn ich dem Unternehmen nicht weh tun will, um Arbeitsplätze ja nicht zu gefährden, dann bleibt mir im Kapitalismus wirklich keine andere Wahl, als den Lohnabhängigen weh zu tun. Dabei ist es längst offensichtlich, dass es — egal zu welchem Preis — nie wieder Arbeitsplätze für alle geben wird. Das ist doch eigentlich klasse!
Natürlich geht es um viel mehr, als endlich die angebliche Naturgesetzlichkeit der Lohnabhängigkeit in Frage zu stellen.
Tatsache ist doch, dass die Gewerkschaften, die wir haben, mittlerweile noch nicht einmal ihre ureigensten Aufgaben erfüllen. Die Bildungs- und Aufklärungsarbeit der Gewerkschaften wird ebenso immer schlechter wie die Rechtsschutzbetreuung und wenn, dann im Sinne des Co-Management betrieben.
Und nicht zuletzt durch die Globalisierung ist die alte Forderung nach einer wirklich breiten neuen sozialen Gewerkschaftsbewegung (»new social unionism«), nach Gewerkschaften als Teil sozialer Bewegung — absolut aktuell. Jene Losung, für die die Ostkollegen gestritten haben, die 35-Stunden-Woche, ist absolut aktuell. Wir brauchen noch kürzere Arbeitszeiten. Mehr noch, wir brauchen auch neue Kampfformen und müssen uns den neuen Realitäten stellen — anders als es Huber und Zwickel meinen. Die Parolen nach Generalstreik — »Sprechen wir französisch« — bleiben Luftblasen, solange ob angeblicher Alternativlosigkeit eine Massenbewegung nicht in Sicht ist. Vor diesem Hintergrund ist der Ruf nach Generalstreik eine Illusion. Linke machen hier denselben Fehler wie Gewerkschaftsfunktionäre, die nicht sehen, dass mit den traditionellen Streikmethoden nur jenes alte Klientel in den schrumpfenden Großbetrieben bedient wird, dass von den Betriebsfürsten repräsentiert wird. Es geht vielmehr um neue Möglichkeiten, aktiv zu werden, um neue Aktions- und Verweigerungsformen.

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