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Die Abstimmung über den Antrag 1.16.2 von Sahra Wagenknecht u.a. auf dem PDS-Sonderparteitag im Berliner
Tempodrom am späten Nachmittag des 28.Juni brachte es auf den Punkt: Die Episode nach Gera in der PDS ist vorbei. Mit 162 gegen 142 Stimmen
abgelehnt wurde die Einfügung eines Passus in den von Gabi Zimmer und Lothar Bisky vorgelegten Leitantrag, in dem unter anderem steht: »Die
Delegierten dies Parteitages bekräftigen ihre in Gera beschlossene Position: ›Wenn eine andere Welt möglich ist, wie Globalisierungskritiker
formulieren, dann ist dies auch eine andere Art des Mitregierens als Teil des Widerstandes gegen die ›Höllenmaschine‹ des Neoliberalismus (Pierre
Bourdieu).‹«
An der Frontseite des Parteitags stand die seltsame Losung »Zurück in die Politik«. Der Leitantrag wie auch die
Personalentscheidungen bei der Wahl eines neuen Vorstands stellten klar, dass es dabei nicht um antikapitalistische Politik als Gegenwehr und Schaffung von
Gegenmacht geht, sondern um ein Verständnis von Politik als »Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialsystems in
Deutschland« (Leitantrag), als Regierungsbeteiligung in den ostdeutschen Bundesländern und im Bund fast um jeden Preis.
Dem Parteitag vorausgegangen war die Entmachtung des in Gera gewählten
Parteivorstands außerhalb der Regeln des PDS-Statuts (die SoZ berichtete). Der Parteitag vom 28. und 29.Juni legitimierte diesen Parteiputsch durch die
Wahl eines neuen Vorstands und die Verabschiedung eines entsprechenden Leitantrags. Unter den in Gera gewählten linken Vorstandsmitgliedern hatte es
zuvor bezeichnenderweise keine(n) einzigen gegeben, die bzw. der gegen die Einberufung der außerordentlichen Tagung des 8.Parteitags gestimmt
hätte. Die Verletzung der Regeln der innerparteilichen Demokratie kam in Berlin selbst überhaupt nicht zur Sprache, auch nicht in der 15-Minuten-
Rede von Uwe Hiksch. So kann es denn auch fast nicht mehr wundern, dass die Masse der Delegierten, die in Gera einer Öffnung nach links zustimmten,
den Durchmarsch der Rechten in Berlin hinnahmen oder guthießen.
Zu dem von Gabi Zimmer und Lothar Bisky vorgelegten Leitantrag gab es 119 zumeist kritische Änderungsanträge, eingebracht von Delegierten
und Mitgliedern vor allem der KPF und der AG Betrieb und Gewerkschaft. Außerdem war ein kompletter Alternativantrag von Delegierten und
Mitgliedern eingereicht worden, die den Geraer Dialog unterstützen.
Über das Wesen der Parteikrise der PDS, die vor allem darin besteht, dass man in der
politischen Praxis (Berlin und Mecklenburg-Vorpommern) neoliberale Politik mit durchsetzt und kräftig die ideologischen Leitbilder der Herrschenden
(Lob des Unternehmertums, Klagen über die öffentliche Armut, Delegitimierung der DDR usw.) bedient, wurde allerdings auch auf dem Parteitag
kaum gesprochen. Wenn diese Fragen dennoch von Delegierten aufgeworfen wurden, reagierte man polemisch, wich der Diskussion aus und setzte auf die
Parteitagsregie, um den Antrag abzuschmettern.
Ein junger Vertreter von Attac, der am Schluss der Generaldebatte davon sprach, die PDS
betätige sich in Berlin als »neoliberaler Zwangsvollstrecker mit menschlichem Antlitz« erhielt viel Beifall, wurde aber vom Präsidium
und von einzelnen Delegierten rüde abgebürstet.
Es fehlt im Leitantrag wie auch in den Reden jegliche analytische Aussage zum Zustand des
heutigen Kapitalismus und zu den bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnissen. Der Leitantrag BiskyZimmer bleibt trotz vieler richtiger
Aussagen konturenlos, ist voller Banalitäten und Unstimmigkeiten. Er wirft dem zurückgetretenen Parteivorstand vor, es nicht verstanden zu haben,
»Anforderungen und Aufgaben für ein wirksames Handeln der Partei in einer den neuen gesellschaftlichen Bedingungen entsprechenden politischen
Strategie zusammenzufassen«. Selbst lässt er jedoch keine solche Strategie erkennen.
Nicht einmal die konsequente Verteidigung des Sozialstaats steht im Mittelpunkt des
Leitantrags. Stattdessen wird die SPD-Formel vom Umbau des Sozialstaats übernommen und damit zumindest »die Tür zum Neoliberalismus
geöffnet« (Winfried Wolf). Nicht hinterfragt wird die Formel von den Zeiten angeblich leerer öffentlicher Kassen, wachsender
öffentlicher Schulden und steigender Sozialausgaben.
Abgelehnt wurden u.a. ein Antrag, der feststellte, dass die Kürzung von Arbeitslosengeld
und Lohnverzicht keine Arbeitsplätze schafft, sowie einer, der sich gegen die Legende wandte, dass Gesundheitsleistungen und Renten nicht mehr aus dem
Produktivitätswachstum finanziert werden können. Zum Teil wurden in den Debatten um die Änderungsanträge Positionen
durchgesetzt, die selbst rechts von dem derzeitigen Programmentwurf der PDS stehen. So wird im Programmentwurf die Privatisierungspolitik
grundsätzlich abgelehnt, um dann Einschränkungen dieses Prinzips zu formulieren. Im Leitantrag aber wendet sich die PDS lediglich gegen den
»Privatisierungsfundamentalismus«. Ein Antrag wollte dies durch »Privatisierungspolitik« ersetzen. 118 stimmten dafür, 149
stimmten dagegen.
Dieses wie auch alle anderen Abstimmungsergebnisse sind nur zu begreifen als Konsequenz einer nahezu perfekten Regie. Es gab zumindest bei den
Delegierten von Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, die jeweils in Blöcken zusammensaßen, fast immer ein
nahezu konformes Abstimmungsverhalten. Möglich wurde dies dadurch, dass die Delegierten darauf eingeschworen worden waren, jeweils so
abzustimmen, wie das in Für- oder Gegenreden durch Politiker der PDS empfohlen wurde. Während der Pause äußerte eine Delegierte
aus Sachsen-Anhalt: »Ich war ja für den Antrag, aber ich durfte ja nicht zustimmen.«
Einen besonderen Trick ließ sich die Tagungsleitung im Zusammenhang mit dem
Entwurf eines Alternativen Leitantrags einfallen. Mitten in der Generaldebatte rief unvermittelt Petra Pau als Tagungsleiterin diesen Antrag zur Abstimmung auf.
Dorothee Menzner durfte diesen Antrag in zehn Minuten begründen. Für- und Gegenreden gab es nicht. Es wurde sofort zur Abstimmung
übergegangen. Der Antrag erhielt etwa 30 bis 50 Stimmen. Es gab Proteste, einen Geschäftsordnungsantrag und eine nochmalige Abstimmung, die
ähnlich ausfiel. Der Alternativantrag war vom Tisch.
Nicht nur die Regie, sondern auch die Grundstimmung der meisten Delegierten, »die
Einheit und Geschlossenheit der Partei« müsse wiederhergestellt werden, machte dies möglich.
Gelaufen ist mit dem Tempodromparteitag auch die Programmdebatte. Eine Chance, das
für Oktober dieses Jahres geplante »Godesberg« der PDS auf dem Parteitag in Chemnitz zu verhindern, ist nicht zu erkennen. Gerade auch die
Personalentscheidungen des Parteitags haben dafür die Weichen gestellt.
Komplett gewählt wurde entsprechend den Vorschlägen Lothar Biskys der neue
Geschäftsführende Vorstand, d.h. er selbst als Parteivorsitzender, die drei stellvertretenden Vorsitzenden Dagmar Enkelmann, Katja Kipping und
Wolfgang Methling, der Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz und der Bundesschatzmeister Uwe Hobler. Zum ersten Mal in der Geschichte der
PDS ist in diesem engeren Führungskreis kein »Westlinker« mehr vertreten. Vier der sechs Mitglieder stammen aus Brandenburg. Nicht alle
der von Bisky vorgeschlagenen Vorstandsmitglieder kamen durch, aber die meisten. Gewählt wurden außerdem Sahra Wagenknecht und Harald
Werner, Heidemarie Ehlert und Klaus Köste. Im gesamten Parteivorstand ist nur noch eine Person vertreten, die wirklich in den westdeutschen
Landesverbänden verankert ist: Ulla Lötzer aus Nordrhein-Westfalen.
Das Wesentliche am Führungswechsel in der PDS ist augenscheinlich, dass das
Küchenkabinett mit Gregor Gysi als »spiritus rector« (dazu gehören noch: Lothar Bisky, Dietmar Bartsch, André Brie, Roland
Claus und Heinz Vietze) die Dinge in der PDS wieder fest in der Hand hat. Gregor Gysi (kein Delegierter) hielt ein (bei einzelnen Buhrufen) von den meisten
Delegierten bejubeltes Schlusswort und wird voraussichtlich Spitzenkandidat bei den Europawahlen 2004. André Brie ist seit einigen Monaten Wahlleiter.
Zweifelsohne besteht angesichts dessen die Gefahr, dass im Parteivorstand noch präsente
aufrechte Linke wie Sahra Wagenknecht eher Dekoration sein werden.
Zum einen ist mit und nach dem Tempodromparteitag die Chance einer sozialistischen Erneuerung vorüber und die PDS wohl irreversibel auf dem Kurs in
Richtung auf eine zweite SPD. Die Partei- und Glaubwürdigkeitskrise der PDS, deren Kern eben in der Bereitschaft besteht, in der politischen Praxis
neoliberale Politik mit durchzusetzen (unverkennbar deutlich in Berlin), wird sich verschärfen. Auch die Niederlagen bei den Bundestagswahlen 2002 und
bei den Bremer Landtagswahlen, die Ergebnisse von Meinungsumfragen in Berlin, die die PDS zeitweise bei 9% sahen, sowie die dramatischen
Mitgliederverluste der letzten zwei Jahre (Uwe Hiksch nannte für die Jahre 2002 und 2003 die Zahlen 6000 bzw. 7000) haben kein tieferes Nachdenken
ausgelöst.
Zum anderen gibt es nach dem Parteitag ein realistischeres Bild hinsichtlich der Stärken
und Schwächen der Linken. Widerstand gegen den Kurs »zurück hinter Gera« gab es nur begrenzt. 22% der anwesenden Delegierten
weigerten sich immerhin, Lothar Bisky ihre Stimme zu geben. Nur 1015% unterstützen den Leitantrag des Geraer Dialogs. Für linke
Abänderungsanträge stimmten nicht selten mehr als 40% der Delegierten. Insgesamt blieben die Linken schwach. Sie traten nicht geschlossen auf.
Bedauerlich war, dass nicht wenige der Befürworter grundlegender Änderungen dann doch dem offiziellen Leitantrag zustimmten.
Sowohl die Sprecher von KPF und Marxistischem Forum als auch die des Geraer Dialogs
mahnen, jetzt auf keinen Fall aus der PDS auszutreten. Es bleibt abzuwarten, ob sie in den nächsten Wochen zumindest zu gemeinsamen Anträgen
und einer gemeinsame Grundposition gegen die Beseitigung der Grundsätze des geltenden Programms zusammenfinden. Nach dem Chemnitzer
Programmparteitag werden diese Organisationen innerhalb der PDS wie auch viele Mitglieder zu entscheiden haben, ob die PDS zumindest noch als
Operationsbasis für linke Politik tauglich ist.
Ekkehard Lieberam
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