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Die Beschäftigten von Milupa in Friedrichsdorf bei Frankfurt am Main sind stinksauer, und ihre Gewerkschaft Nahrung-
Genuss-Gaststätten (NGG) ruft zu Protest und Widerstand gegen die drohende Stilllegung der Produktion des Herstellers von Babynahrung auf. Die
Demonstration durch die Kleinstadt im Taunus erregt die Gemüter der Bevölkerung. »Unfair«, nennt Geschäftsführer
Claus-Peter Rach, die Aktion »seiner« Belegschaft, denn sie mache »den Menschen Hoffnungen«, die Vernichtung ihrer
Arbeitsplätze könne noch verhindert werden.
Hoffnungs- und Sinnlosigkeit des eigenen Handelns bei einer solchen Stimmung ist
vielleicht mit unkontrollierten Wutausbrüchen der Beschäftigten, aber nicht mit organisierter Gegenwehr zu rechnen. Auf dieser Basis ließe
sich das Konzept der »Standortbereinigung« des Konzerns am schnellsten und wohl auch am kostengünstigsten verwirklichen. Diese Aufgabe
übernahm Claus-Peter Rach, der nicht nur Milupa vertritt, sondern auch die niederländische Muttergesellschaft Royal Numico N.V., zu der der
Friedrichsdorfer Betrieb seit 1995 gehört.
Das Unternehmen mit weltweit 42 Fabriken, etwa 28500 Beschäftigten und
ungefähr 4 Milliarden Euro Umsatz im letzten Jahr hat für die Zukunft ein Ziel vor Augen: Die Struktur des global players für
Nährmittel wird so verändert, daß er sowohl seinen Aktionsradius stark ausweiten als auch hohe Profite abwerfen kann. Aus diesem Grund
müsse, so der Numico-Chef Jan Bennink, die Produktionsbasis »optimiert« werden. Gerade im Bereich der Babynahrung wolle der Konzern
in ausgewählten Märkten weiter expandieren und sich zum kostengünstigsten Anbieter entwickeln.
Schon heute sieht sich Numico als europäischer Marktführer von Milch- und
Getreideprodukten, Mahlzeiten sowie Getränken für Kinder von der Geburt bis zum fünften Lebensjahr. Darüber hinaus liefert der
Konzern spezielle Nährmittel für Kliniken, Diabetiker und Sportler. Und vor einiger Zeit stieg er in den USA ins Geschäft mit
Vitaminpräparaten ein, doch landete er damit »auf dem Bauch«. Insofern stellt die traditionell gewinnsichere Sparte Babynahrung ein nicht
unwichtiges Spielbein des Unternehmens dar. Dafür sorgen Verkaufserlöse von mehr als einer Milliarde Euro und eine Umsatzrendite von 17,8% im
letzten Jahr.
Die geplante »Standortbereinigung« sieht vor, diesen Bereich bis 2005 von
weltweit 16 auf 9 Produktionsstandorte zu konzentrieren. Dabei sollen 750 Arbeitsplätze abgebaut, angeblich 225 neu geschaffen, als netto
»lediglich« 525 vernichtet werden. Selbstverständlich, so die Geschäftsleitung der Numico, werde mit den »Sozialpartnern der
für die betroffenen Beschäftigten bestmögliche Übergang gestaltet«. Für Milupa in Friedrichsdorf hieße das:
Halbierung der etwa 600-köpfigen Belegschaft.
Mit Personalkosten von 5,90 Euro pro Mitarbeiterstunde in Polen könne der Betrieb
hierzulande mit veralteten Maschinen und Anlagen sowie einem Stundensatz von 29,10 Euro nicht konkurrieren. Selbst »schwarze Zahlen« sind
schließlich kein Argument mehr für einen Fortbestand der Milupa. »Ein Werk hat nicht die Aufgabe, Gewinn zu machen, sondern muss eine
bestimmte Qualität in bestimmten Mengen zu bestimmten Kosten herstellen«, verkündet Claus-Peter Rach sein betriebswirtschaftliches
Credo. Daraus resultiere das Aus für die Produktion in Friedrichsdorf.
Darüber denken die »Sozialpartner« grundsätzlich anders.
»Nicht schlechte Leistungen der Arbeitnehmer, sondern Missmanagement haben offenbar zu den Problemen der Numico-Muttergesellschaft
geführt«, erklärte der Milupa-Betriebsratsvorsitzende Karl-Heinz Eckhardt auf einer Betriebsversammlung. »Wir sehen nicht ein und
werden auch nicht zulassen, dass die Belegschaft für solches Versagen der Konzernspitze den Kopf hinhalten soll.« Die NGG unterstützt die
betrieblichen und öffentlichen Aktivitäten der Beschäftigten. Und sie schaffte es, in die Auseinandersetzung nicht nur die Produktion, sondern
auch die angeblich (noch) nicht zur »Bereinigung« freigegebene Verwaltung einzubeziehen.
Erste wesentliche Schritte zum organisierten Widerstand sind also getan. »Milupa unser
Brot Numico unser Tod«, so steht auf dem Sarg, den vier Arbeiter ihren mehr als 500 demonstrierenden Kolleginnen und Kollegen vorantragen.
Doch die Belegschaft denkt noch lange nicht ans kollektive »Sterben«, sondern vorrangig ans gemeinsame Kämpfen. »Wer sich wie
fromme Lämmer zur Schlachtbank führen lässt, begräbt nicht nur seine Hoffnungen, sondern auch sich selbst«, kommentiert
NGG-Gewerkschaftssekretär Jürgen Hinzer. »Mit der Verteidigung der eigenen Interessen beginnt der Kampf für eine andere
Welt.«
Horst Gobrecht
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