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Wer die jüngsten Streiks in Frankreich und Deutschland vergleicht, denkt oft, er betrachte zwei verschiedene Welten.
Während Hunderttausende in Frankreich gegen die Verschlechterungen bei den Sozialsystemen demonstrieren, Lehrer Unterricht und Künstler
Festivals ausfallen lassen und das Land sich auch nach der Bestreikung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht gegen die Forderungen der Streikenden
aufbringen lässt, gehen in Deutschland schon im übertragenen Sinn »die Lichter aus«, wenn mal ein BMW-Werk einige Schichten
Kurzarbeit fahren muss.
Während sich in Frankreich die öffentliche Meinung trotz vergleichbarer Presse-
und Fernsehkonzentration positiv zu den Zielen der Kämpfe verhält, gelingt es in Deutschland nicht, eine größere öffentliche
Meinung gegen die Agenda 2010 und für Arbeitszeitverkürzung aufzubauen.
Diese Fragen wurden intensiv diskutiert, als einige linke Gewerkschafter jüngst auf
Veranstaltungen über eine Reise nach Frankreich berichteten, die sie Anfang Juni zu streikenden Kolleginnen und Kollegen geführt hatte.
Die entscheidenden Unterschiede wurden deutlich, als noch einmal auf die erfolgreiche
Streikbewegung 1995 Bezug genommen wurde. Dort gelang es den eher privilegierten Eisenbahnern, die Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel
einzubeziehen und mit ihnen gemeinsam gegen die Kürzungen der Renten anzugehen, die im ersten Schritt hauptsächlich andere Gruppen betrafen.
Ohne diese Erfahrungen so Willi Hajek, der die Reisegruppe begleitet hatte
hätte es nicht den Aufschwung für Attac gegeben, aber auch nicht die Sympathie für die Betroffenen verschiedener Bereiche, die gegen
Kürzungen in den sozialen Sicherungssystemen angingen. Damals wich die Regierung zurück, es bildeten sich aus den Erfahrungen mit den
traditionellen Gewerkschaften oppositionelle Gewerkschaften wie die SUD an vielen Orten.
Dazu kam die Sympathie für die Bewegung der Bauern und den Bauernführer
José Bové, die sich nun ihrerseits mit den Forderungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei den Verkehrsbetrieben und in der
öffentlichen Versorgung solidarisierten.
Dass so traditionelle Sommerkulturfeste wie in Avignon ausfallen müssen, weil sich die
Zeitvertragsangestellten des künstlerischen Sektors nicht mit einer Kürzung ihrer sozialen Bezüge einverstanden erklärten und die Feste
betreiken auch das wäre ohne diese Vorgeschichte nicht denkbar. Sichere Renten, ein gutes Leben nach der Arbeit, gute Nahrung und Ausbildung
werden gegen den »Terror der Ökonomie« gesetzt.
Der lebendige Bericht aus Frankreich machte klar, welch wichtige Aufgabe die Linken in der
BRD haben: anknüpfend an den Erfahrungen der Menschen mit Sozialabbau, Verschlechterung der öffentlichen Versorgung bei Post und Bahn,
Arbeitsplatzvernichtung und Hetze gegen streikende Gewerkschafter wieder den Begriff der Solidarität mit Leben zu füllen
unabhängig davon, ob die Vorstände der Gewerkschaften das auch so sehen.
Allerdings wurde auch klar, dass ohne eine organisierte Einbeziehung der Beschäftigten
es nicht gehen wird nur Attac oder nur Gewerkschaft reicht nicht. Eine dringend erforderliche Zusammenschau der heutigen Probleme in den Schulen,
Krankenhäusern oder Pflegeheimen, in der öffentlichen Versorgung oder im Verkehr ist angesichts der Globalisierung nötig.
Der Zusammenhang von Eisenbahnunglücken, Privatisierung und Stilllegung von
Ausbesserungswerken muss hergestellt und den betroffenen Kollegen die Solidarisierung mit den Eisenbahnbenutzern ermöglicht werden,
schließlich haben deren Proteste gegen das Preissystem zu einem kleinen Erfolg geführt.
Wichtig wäre es, die Sparmaßnahmen der Post und die Schließung von
Filialen, den Abbau und die Auslagerung von Personal und den Abbau von Briefkästen in Zusammenhang zu bringen mit der steigenden Arbeitshetze bei
den Beschäftigten.
Was wir in Deutschland brauchen, ist eine Solidarisierung der Beschäftigten und der
Benutzer, wie es die Franzosen vorgemacht haben mit ihrem »Employés et usagers tous ensemble!«
Rolf Euler
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