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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 11

Tarifvertrag zur Leiharbeit

Wie der DGB der Bundesregierung hilft, eine EU-Richtlinie zu unterwandern

Am 21.Juli unterzeichnete die DGB-Tarifgemeinschaft mit den Arbeitgeberverbänden Zeitarbeit eine Erklärungsfrist. Danach gilt der Tarifvertrag zur Zeitarbeit mit einem Einstiegslohn von 6,85 Euro brutto in den ersten sechs Monaten. Damit einhergehend werden die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld und die Regelungen für Sperrzeiten weiter verschärft. Die angekündigte Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ab dem 1.Januar 2004 ist ein weiterer Baustein in die Armutsfalle.
Um Arbeitslosenzahlen zu senken, stehen der Arbeitsverwaltung im Prinzip drei Möglichkeiten zur Auswahl: erstens die Vermittlung in existenzsichernde Arbeitsplätze; zweitens die Vermittlung in schlecht bezahlte Jobs mit Hilfe von Subventionen und Zwangsmittel; drittens das Herausdrängen aus dem Leistungsbezug. Durch den Abschluss von Tarifverträgen wird nicht nur die Leiharbeit zu Dumpingpreisen ausgeweitet, sondern auch der Austausch von Festangestellten durch LeiharbeiterInnen massiv begünstigt. Das wird einhergehen mit Lohnsenkungen und Ausdehnung der Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich auf breitester Front.
Warum waren die Gewerkschaften bereit, Zugeständnisse auf Kosten der Erwerbslosen und zulasten ihrer Flächentarifverträge mitzumachen? Warum haben die Gewerkschaften in dieser Tarifauseinandersetzung nicht wenigstens gleichen Lohn für alle gefordert oder ihre Erwerbslosenausschüsse mit ins Boot geholt?
Ging es den DGB-Gewerkschaften nur um die Konkurrenz mit dem Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB), der schon im März 2003 einen Tarifvertrag vorgelegt hatte? Nein, es ging um mehr. Es ging dem DGB darum, den in der BRD seit 1987 eingeläuteten Umbau unter einer rot-grünen Regierung mit zu »gestalten«. Denn diese »Umstrukturierung« (besser: Demontage des Sozialstaats) konzentriert sich im Wesentlichen auf die Bereiche Arbeitsverhältnisse, Arbeitsschutz und soziale Sicherungssysteme.
Unter der SPD-Grüne-Regierung hat die neoliberale Deregulierung an Intensität und Schnelligkeit zugenommen. Was erleben die abhängig Beschäftigten und die Erwerbslosen zur Zeit? Abbau der Tarifautonomie, Einschränkungen beim Kündigungsschutz, Herabsetzung der tariflichen Leistungen, und zum guten Schluss zwangsweise und flächendeckende Leiharbeit auf Niedriglohnarbeitsplätzen durch die Gesetzgebung nach Hartz.
Hier liegt der eigentliche Skandal: Gewerkschaften lassen sich durch Tarifverträge in diesen neoliberalen Umbau gegen die Interessen der Kolleginnen und Kollegen einbinden! In der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Leiharbeit aus 2002 ist im ersten Absatz ausdrücklich der allgemeine Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Leiharbeitern etabliert. Warum hat nun der DGB die Übernahme der EU-Richtlinie in dieser Einschlägigkeit, an der er immerhin aktiv mitgearbeitet und sie beeinflusst hat, nicht von der Bundesregierung eingefordert? Möglicherweise liegt das daran, dass parallel zur EU-Richtlinie die Vorschläge der Hartz-Kommission diskutiert und in Gesetze gegossen wurden; zum anderen besagte EU-Richtlinie interessante Ausnahmen von der vorerwähnten Gleichbehandlung zulässt. Eingeschränkt werden darf sie z.B. aus Gründen der aktuellen Arbeitsmarktlage und der Notwendigkeit, Betriebsabläufe zu gewährleisten. Die so begründete Einschränkung der Gleichbehandlung, und das ist jetzt die pikante Formulierung, soll das Einverständnis der Sozialpartner haben und möglichst tarifvertraglich gefasst sein. Bekanntlich wird ja in den abgeschlossenen Tarifverträgen zur Leiharbeit für die ersten sechs Monate eines Ausleihverhältnisses eine Lohnanhebung ausgeschlossen.
Die Tarifverträge des DGB und des CGB halten sich in ihrer Vergütungsstruktur genau an diese Ausnahme. Sie scheint des Pudels Kern der EU-Leiharbeitsrichtlinie und die Schnittstelle zur Hartz-Gesetzgebung zu sein. Die Leiharbeitstarifverträge des DGB und des CGB sind das Vehikel, um — zum Nutzen der Unternehmer — flexible Arbeitszeiten und niedrige Löhne und damit eine breite Absenkung der Realeinkommen flächendeckend durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Auslegung der EU-Richtlinie zur Leiharbeit durch die SPD-Grüne-Regierung und die Gewerkschaften interpretiert werden: Ohne Einbindung der Basis in die Diskussion sowohl der EU-Richtlinie als auch der Leiharbeitstarifverträge hat der DGB die Durchsetzung der Interessen der abhängig Beschäftigten und der Erwerbslosen zugunsten der Schröder-Regierung aufgegeben.

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