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Worum ging es bei eurem Streik?
Die sog. Renten»reform« zielt darauf ab, dass alle abhängig Beschäftigten, im öffentlichen wie im privaten Sektor,
länger arbeiten. Wer künftig den vollen Rentenanspruch will, muss mehr Jahre Beitrag zahlen: von 2004 an braucht man im öffentlichen
Dienst 40 Beitragsjahre, von 2011 an braucht man überall 41 Jahre, von 2020 an 42 Jahre.
Die »Reform« setzt einen Mechanismus in Gang, die Lebensarbeitszeit
allmählich zu erhöhen und zwar in dem Maße, wie die Lebenserwartung steigt! 1993 hatte der damalige Ministerpräsident Balladur
schon einmal die Renten im Privatsektor angegriffen und das Rentenniveau hier um 20% gesenkt.
Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass die Renten stark gekürzt werden: Wer
Geld hat, kann sich eine private Zusatzversorgung leisten, die anderen müssen in Armut leben, über das Alter von 65 Jahren hinaus arbeiten oder
sich neben der Rente noch ein Zubrot verdienen. Die »Reform« geht vor allem auf Kosten der Frauen, die zumeist keine geschlossene
Erwerbsbiografie haben (wegen Teilzeit, Erwerbslosigkeit, Erziehungsurlaub usw.). Die Reform ist ein großer Erfolg für die französischen
Unternehmer, die seit Antritt der Rechtsregierung vor einem Jahr darauf gedrungen haben.
Wie beurteilst du die Streiks?
Wir haben die größte soziale Bewegung seit 1995 erlebt. Fast 2 Millionen Menschen waren am 13.Mai auf dem Höhepunkt der
Streiks auf der Straße. Trotzdem ist es der Bewegung nicht gelungen, die Regierung zum Einlenken zu zwingen. Die massiven Lehrerstreiks haben die
Regierung allerdings zum Rückzug in der Frage der Dezentralisierung in der schulischen Bildung genötigt. Das ist ein Dämpfer auf den
Versuch, das Bildungssystem zu demontieren, wenngleich sicherlich nur ein vorübergehender. Eine der Stärken der Bewegung war es, dass sie
grundsätzliche Fragen aufgeworfen hat, die weit über die Rente hinausgingen. Die Bewegung hat auch gezeigt, dass es zu den neoliberalen
Vorhaben der Regierung und der Unternehmer Alternativen gibt. Es wurden Fragen nach den »öffentlichen Gütern« (Altersversorgung,
öffentliche Dienste, Bildung usw.) und nach der Umverteilung des Reichtums thematisiert.
Es ist möglich geworden, über den Weg örtlicher Mobilisierungskomitees
Kontakte zwischen verschiedenen Berufsgruppen zu knüpfen und Beziehungen zwischen abhängig Beschäftigten im öffentlichen
Sektor und im Privatsektor herzustellen. Die Bewegung hatte starken Rückhalt in der Bevölkerung und bis zuletzt die Mehrheit der
öffentlichen Meinung hinter sich. Es war möglich, auf örtlicher Ebene gemeinsame Kampfstrukturen aufzubauen und Gewerkschafter wie
Nichtgewerkschafter zusammenzubringen.
Trotz alledem ist die Regierung hart geblieben und hat sich von Anfang bis Ende des Konflikts
nicht einen Millimeter bewegt. Sie hat ihre Linie mit großem Propagandaaufwand durchgeboxt und zum Schluss auch zu Repressalien gegriffen
(Anrechnung der Streiktage, Polizeieinsatz und Klagen gegen Demonstrierende…).
Hättet ihr mehr erreichen können und wenn ja, warum ist euch das nicht gelungen?
Zunächst muss man die extrem negative Rolle der CFDT unterstreichen. Ummittelbar nach dem Höhepunkt der Streikaktionen (13.Mai)
unterzeichnete sie eine getrennte Vereinbarung mit der Regierung und ist damit aus der gemeinsamen Gewerkschaftsfront ausgeschert. Wie 1995 hat sie
ausdrücklich eine liberale Reform der Regierung unterstützt.
Das Ziel der CFDT ist es, sich eine Position als obligater Partner für die Akzeptanz
liberaler Reformen aufzubauen, die sie für unvermeidlich, gar wünschenswert hält. Diesem Ziel wird alles untergeordnet. Aktive
Funktionsträger und Mitglieder der CFDT haben darauf mit Empörung reagiert und einzelne Belegschaften (vor allem im Transportsektor) haben
ihren Austritt aus der Gewerkschaft erklärt.
Sodann muss man eine Bilanz der Streikstrategien ziehen, vor allem bei der CGT. Die CGT
war bereit, eine »maßvolle« Verlängerung der Beitragsjahre in Kauf zu nehmen. Sie hoffte, dadurch einen eigenen
Verhandlungsspielraum mit der Regierung zu gewinnen und die CFDT im Gewerkschaftsbündnis zu blocken. Dafür musste die CGT natürlich
zu Mobilisierungen aufrufen, es gehörte jedoch nicht zu ihrer Orientierung, eine zentrale Auseinandersetzung mit der Regierung vorzubereiten, die
vielleicht die Verhandlungen, ganz sicher aber die Einheit mit der CFDT in Frage gestellt hätte.
Deshalb orientierte die CGT auf eine Reihe von Aktionstagen am 1.Februar, 3.April
und 25.Mai die von langer Hand vorbereitet und angekündigt wurden; der 13.Mai wurde ihr durch den Druck der Bewegung mehr oder weniger
aufgenötigt.
Gleichzeitig hat sich die CGT systematisch geweigert, die Bedingungen für einen
unbefristeten Streik zu schaffen; das gehört nicht zu ihren Traditionen und sie hat immer Angst davor, bei solchen Gelegenheiten die Kontrolle über
die Bewegung zu verlieren.
Diese Strategie ist zusammengebrochen, als die CFDT am 15.Mai unterzeichnete und die
Regierung sich weigerte, mit der CGT in irgendeine Verhandlung zu treten. Danach stand die CGT ohne Strategie da, zumal sie keine Kraftprobe mit der
Regierung wollte. Die Fortsetzung der Aktionstage am 3., 10. und 19.Juni diente nur dazu, das zu kaschieren. Sie wurden auch immer weniger befolgt und waren
kein Instrument mehr, um ein Kräfteverhältnis aufzubauen. Keine andere Gewerkschaftsorganisation war in der Lage, ein Gewicht in die
Waagschale zu werfen, das einen anderen Druck hätte aufbauen können.
Der Gewerkschaftsverband Solidaires (in dem die linken SUD-Gewerkschaften
zusammengeschlossen sind) verfügt nicht über eine ausreichende Verankerung in allen Sektoren und ist zahlenmäßig zu schwach, um
auf nationaler Ebene anderen Gewerkschaftsverbänden, vor allem der CGT, eine Debatte aufzwingen zu können.
Die CGT steht am Ende des Streiks vor den Augen der breiten Öffentlichkeit als die
Gewerkschaft da, die bis zum Schluss gegen die Reformvorhaben der Regierung gekämpft hat. Doch die engagierten Aktiven in der Bewegung stellen sich
Fragen, vor allem hinsichtlich der Aktionsstrategie und der Blockade, die von einzelnen Sektoren gekommen ist.
Bei den Lehrern ist klar, dass die Nichtbeteiligung der CGT am Generalstreik an den Schulen
für Kritik sorgen wird.
n Wird es im Herbst wieder Mobilisierungen geben?
Es ist noch zu früh zu ermessen, welche Auswirkungen die Niederlage gegen die Rentenkürzungen auf das gesamte
Kräfteverhältnis und die künftigen Mobilisierungen haben wird. Es gibt im Großen und Ganzen zwei Möglichkeiten, und
dazwischen natürlich zahllose Varianten: entweder macht sich Demoralisierung breit, oder der Zorn hält an und bricht bei irgendeiner Gelegenheit
wieder aus.
Ein wichtiger Maßstab für die weitere Entwicklung ist die Analyse der
Rahmenbedingungen. Die Regierung hat bewusst die Kraftprobe gesucht, um der sozialen Bewegung eine Niederlage beizubringen und damit die Tür
für weitere liberale Gegenreformen zu öffnen; ihr Vorbild ist Thatcher und ihre Rolle im Bergarbeiterstreik 1984. Die Lage ist heute aber
gänzlich anders als damals.
Die Niederlage der britischen Bergleute fand in einer Situation ihrer totalen Isolation statt, die
Regierung hatte die Unterstützung der Bevölkerung. Heute aber ist die soziale Bewegung überhaupt nicht isoliert, sondern wird massiv von
der öffentlichen Meinung unterstützt. Das Bestreben der Regierung, den öffentlichen gegen den privaten Sektor auszuspielen, ist weitgehend
gescheitert. Das grenzt den Handlungsspielraum der Regierung ein, auch wenn einige Vertreter der Regierungskoalition die Meinung vertreten, dass die
Niederlage gegen die Rentenkürzungen sie nun stark genug macht, weitere Gegenreformen durchzusetzen: Privatisierungen, die Schleifung der sozialen
Sicherungssysteme usw.
Wie könnt ihr jetzt weitermachen?
Wenn wir neue Angriffe der Regierungen und der Unternehmer verhindern wollen, müssen wir uns auf die Stärken der Bewegung
stützen: die neu geschaffenen Verbindungen zwischen den einzelnen Sektoren auf örtlicher Ebene, der starke Wille zur Einheit an der Basis, die
Unterstützung durch die Bevölkerung, die Vorstellung von Alternativen zur liberalen Politik, vor allem die stark verbreitete Idee, dass der Reichtum
»anders verteilt werden« muss. Andererseits müssen wir versuchen, wirklich ein Kräfteverhältnis für eine Streikbewegung
aufzubauen, die einen unbefristeten und branchenübergreifenden Generalstreik durchstehen kann das ist das einzige Mittel, die Regierung in die
Knie zu zwingen.
Das zweite Europäische Sozialforum in Paris im kommenden November wird eine
Gelegenheit sein, den sozialen Abwehrkämpfen eine europäische Dimension zu geben und eine reale europäische Kampagne aufzubauen, die
die Entscheidungen der EU zugunsten der abhängig Beschäftigten, der prekär Beschäftigten und der Erwerbslosen beeinflussen kann.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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