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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 12

Italien: Referendum zum Kündigungsschutz

Ehrenwerte Niederlage

Auf Berlusconis Vorstoß, den gesetzlichen Kündigungsschutz durch Abschaffung des Artikels 18 im Arbeitsgesetzbuch auszuhöhlen, hat die Partei der kommunistischen Neugründung (PRC — Rifondazione Comunista), anders als die Gewerkschaften, nicht mit einer reinen Abwehrschlacht reagiert. Getreu der Devise, Alternativen sichtbar zu machen, hat die Partei ein Volksbegehren angestrengt für eine Ausweitung des bestehenden Kündigungsschutzes auch auf Kleinstbetriebe — die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Zergliederung von Produktionsabläufen aus dem Boden geschossen sind.
Das Volksbegehren fand am 15. und 16.Juni statt; die überwältigende Mehrheit der Abstimmenden stimmte für den Vorschlag — 86,7%. Doch das Quorum wurde nicht erfüllt; es nahmen nicht die geforderten 50% der abstimmungsberechtigten Bevölkerung an der Wahl teil, sondern nur 25,5% — weniger als die meisten erwartet hatten. Das waren dennoch 10,7 Millionen Menschen — auf eine erwerbstätige Bevölkerung von 22 Millionen.
»Wir haben verloren«, gab Fausto Bertinotti, Generalsekretär der PRC, nach dem Volksentscheid unumwunden zu. Aber diese Niederlage, die Regierung und Unternehmerverband sofort in eine Kampagne gegen Rifondazione umzumünzen versuchten, nötigte im linken Lager selbst Skeptikern und Gegnern Respekt ab. Guglielmo Epifani, der neue Vorsitzende der CGIL, sprach von einem »bedeutenden Ergebnis«, und der Sekretär beim Hauptvorstand, Gian Paolo Patta, betonte: »Es ist das beste Ergebnis, das Volksbegehren zu sozialen Fragen je erreicht haben.«
Die Gewerkschaftszentrale CGIL hatte erst zur Enthaltung geneigt und nur in allerletzter Minute zum Ja aufgerufen; ihre Mobilisierung war mehr als mager. Ihre Konkurrentin CISL hingegen hatte sich nicht entblödet, in den Chor derer einzustimmen, die die Bevölkerung aufriefen, »ans Meer zu fahren« (wo sie sonst kritisieren, dass es zuviele Feiertage gibt).
Die Parteien des Olivenbaums, vor allem DS (Linksdemokraten, Nachfolgeorganisation der PCI) und Margherita, sahen sich darin bestätigt, dass »Volksbegehren in solchen Fragen unnötig sind ... Der Weg der Reformen ist immer der der Gesetze« (Piero Fassino, DS).
Aber sie haben ein Problem: Zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler des Olivenbaums haben sich über die Abstimmungsempfehlung ihrer Parteien (»baden gehen«) hinweggesetzt und für das Volksbegehren gestimmt; die Wählerinnen und Wähler der DS taten dies sogar fast einhellig. Das hat das Wahlforschungsinstitut Istituto Cattaneo herausgefunden.
Dazu sagte Achille Ochetto, der letzte Vorsitzende der PCI: »Wenn ein Generalstab der Armee eine Richtung vorgibt, und sie bewegt sich zu 80% in die entgegengesetzte Richtung, dann hat er ein ernstes Führungsproblem.«
Tatsächlich wurden die besten Ergebnisse in den traditionell roten Regionen erzielt, wo die DS stark sind: In der Emilia-Romagna und in der Toskana war die Wahlbeteiligung mit über 30% am höchsten; hier gibt es ein dichtes Geflecht von kleinen und mittleren Betrieben, hier ist die CGIL stark verwurzelt. Von den 30% waren mindestens die Hälfte Wählerinnen und Wähler der DS. In einigen Kleinstädten der Toskana wurde eine Höchstbeteiligung von 60% mit 92% Ja-Stimmen erreicht. Die höchste Wahlbeteiligung in einer Provinz hatte Livorno zu verzeichnen (36,7%); Reggio Emilia war die Großstadt mit der höchsten Beteiligung (36,2%).
Die Stimmen kamen aus der Arbeiterschaft und dem »kleinen Volk«, das wurde am stärksten in Mailand deutlich: Im Industriegürtel und in den Arbeitervierteln erreichte die Beteiligung 30%, im Stadtzentrum 12%. Bei Fiat in Turin lag die Beteiligung bei 32%, mit 93,7% Ja-Stimmen. Die niedrigste Beteiligung gab es im Süden (Kalabrien: 19%) und in Bozen (12,4%, dabei zugleich den höchsten Anteil an Nein-Stimmen: 24,8%). Überall hat ein hoher Anteil von Jugendlichen mit Ja gestimmt.
In Kalabrien gibt es den höchsten Anteil an Betrieben mit 16 und weniger Beschäftigten, für die Berlusconi den Kündigungsschutz abschaffen will. Hier ist auch die Arbeitslosigkeit enorm hoch und damit die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Giorgio Cremaschi, nationaler Sekretär der zur CGIL gehörenden Metallergewerkschaft FIOM, interpretiert die Zahlen so: »Wir haben mit der Volksbefragung nicht diejenigen erreicht, die keine gesicherte Beschäftigung haben.« Hieran will die FIOM weiter arbeiten: Ihre Leitung beschloss sogleich, eine große Konferenz über prekäre Beschäftigung einzuberufen, die für die Betroffenen offen sein soll.
Auf die Frage, ob er die Kampagne für das Volksbegehren wiederholen würde, antwortete Bertinotti mit dem Hinweis auf »die Ehre derer, die die Thermopylen verteidigt haben, obwohl sie wussten, dass sie die Meder nicht aufhalten würden«. Aber er will auch genau wissen, worin die Ursachen der Niederlage liegen. »Hätten wir eine Wahlbeteiligung von 30 bis 35% erreicht, hätte ich gesagt, schuld sind die Mitte-Links-Parteien und die Gegenkampagne der Medien. Aber hier ist mehr im Spiel: Es ist uns nicht gelungen, für einen gerechten Kampf eine öffentliche Meinung zu gewinnen. Wir haben nicht die ›Hegemonie‹ erlangt, die die Friedensbewegung im Kampf gegen den Krieg erreicht und damit eine Massenstimmung ausgedrückt hat.«
Bertinotti sucht die Antwort in den realen Bedingungen der Arbeiterklasse heute: »Wir haben Jahrzehnte hinter uns, in denen die Arbeit zu einem gesonderten Bereich degradiert wurde und nicht länger die Universallinse war, durch die Politik gelesen wurde. Die Arbeiter sind in einem Schattenwinkel der politischen Agenda des Landes gelandet. Mit diesem Referendum haben wir den Winkel teilweise verlassen können, aber nicht so weit, dass wir das globale Kräfteverhältnis beeinflusst hätten. Deshalb haben wir verloren.«
Bertinotti sieht einen steilen Weg vor sich; der Kampf gegen den Neoliberalismus wird härter werden. Zugleich muss sich Rifondazione gegen neue Vereinnahmungsversuche seitens der DS zur Wehr setzen. Der Gouverneur von Kampanien und führende DS-Vertreter, Antonio Bassolino, fordert einen Schlussstrich unter die bisherigen Versuche, Rifondazione zu vernichten und damit die gesamte antagonistische Linke zu schlagen. »Jetzt wird es nötig sein, eine andere Tür aufzumachen, die zu einem Regierungspakt bei den kommenden Parlamentswahlen führt.«
Bassolino weiß: »Ohne die 11 Millionen Ja-Stimmen wird Berlusconi nicht zu schlagen sein.« Der Vorsitzende der Grünen bläst in dasselbe Horn: »Die 11 Millionen Ja-Stimmen stellen 80% der Wählerinnen und Wähler des Mitte-Links-Bündnisses dar. Wir brauchen sofort eine parlamentarische Initiative für die Ausdehnung der gewerkschaftlichen Rechte.«
Die Komitees für das Ja wollen weitermachen. In Rifondazione Comunista gibt es jetzt eine Debatte über das Verhältnis zwischen sozialer Mobilisierung und (institutioneller) politischer Aktivität.

Angela Klein

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