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Die Niederlage war das Ergebnis eines ungünstigen Kräfteverhältnisses. Diese Aussage scheint so banal, dass
niemand darauf eingeht. Aber Gigi Malabarba hat in seinem Beitrag vor der Nationalen Leitung von Rifondazione an die Serie der jüngsten Niederlagen
erinnert: Der Tarifkonflikt in der Metallindustrie findet keine Lösung; Stilllegungen und Entlassungen bei Fiat; Tausende von Entlassungen in anderen
Unternehmen; neue gesetzliche Deregulierungen des Arbeitsmarkts; der schlechte Tarifabschluss im öffentlichen Dienst; Rückgang der
Mobilisierungen für den Erhalt der öffentlichen Schulen; Schwierigkeiten, einen erfolgreichen Streik bei Alitalia führen zu können.
Nach 20 Jahren Niederlagen schaffen es die Arbeitenden nicht, aus dem Status einer gesellschaftlichen Minderheit herauszukommen.
Ist die Niederlage im Volksbegehren die letzte einer 20-jährigen Periode oder die erste
einer neuen Phase des Aufschwungs? Wer die Abstimmung vom 15.Juni in eine Reihe mit der Niederlage bei Fiat 1980 oder bei der Volksabstimmung
über die Beibehaltung der gleitenden Lohnskala 1985 stellt, berücksichtigt nicht die jüngsten Kämpfe, den neuen Bewegungszyklus,
auch die Präsenz einer neuen Generation in den Fabriken. Wäre ein Referendum mit einem solchen Ergebnis vor wenigen Jahren möglich
gewesen?
Die Antwort ist eher Nein. Eine Untersuchung der Volksabstimmungen der letzten sieben Jahre
die fast alle gescheitert sind ergibt fast immer eine Beteiligung von etwa 11 Millionen. Im Jahr 2000 stimmten beim Referendum über die
Abschaffung des Verhältniswahlrechts »nur« 11,637 Millionen mit Ja. Das Referendum vom 15.Juni fällt nicht dahinter zurück;
aber anders als die vorherigen hatte es einen ausgesprochenen Klassencharakter. Zum ersten Mal wurde auf Massenebene über prekäre Arbeits- und
Lebensbedingungen diskutiert, was vor wenigen Jahren nur in kleinen politischen oder gewerkschaftlichen Zirkeln geschah. Der Volksentscheid hat also
versucht, einen Trend umzukehren. Sein Ergebnis kennzeichnet den Beginn einer neuen sozialen Phase, die unter dem Druck der negativen
Kräfteverhältnisse steht, in der es aber zum ersten Mal möglich ist, ein zentrales Thema im Kampf gegen den Neoliberalismus
Prekarität und Rechte zu einem Massenthema zu machen. Noch ist der Widerstand unzureichend, auch das zeigt das Referendum. Ob er
wächst, hängt nicht zuletzt von der Fähigkeit auch der Partei [Rifondazione Comunista] ab, den Konflikt fortzuführen.
Es scheint, dass das Gros der Stimmen aus den traditionellen Arbeiterbezirken der PCI
gekommen ist und nicht von der globalisierungskritischen Bewegung. Das ist genauer zu untersuchen. Es zeigt sich hier eine Grenze der Bewegung: sie
äußert eine symbolische, moralische Kritik am Bestehenden, sammelt sich um Ereignisse herum, übersetzt sich jedoch nicht in den Alltag und
schlägt dort keine Wurzeln, formuliert keine erklärten Ziele. Beim Referendum haben die Sozialforen zwar an der Abstimmung teilgenommen, aber
sie haben kaum die Basis mobilisiert, um weitere Kreise der Bevölkerung einzubeziehen. Hier gibt es noch viel zu tun.
Andererseits weiß man, dass Bewegungen keine Stimmen bringen. In den 70er Jahren
schlug sich die Bewegung der neuen Linken erst nach sieben Jahren wahlpolitisch nieder, und das auch noch in einer Stärkung der PCI, nicht der
revolutionären Linken. Die Mechanismen der Politisierung müssen noch erforscht werden.
Die Stärke des Referendums war es, dass die soziale Frage unmittelbar in den politischen
Raum gehoben wurde. Die soziale Frage wurde auf einer anderen Ebene gestellt als der üblichen parlamentarischen. Millionen Menschen hatten die
Möglichkeit, durch demokratische Beteiligung unmittelbar etwas an ihren Lebensbedingungen zu ändern. Eben diese Verschiebung der Ebenen der
politischen Entscheidung war es, die das Mitte-Links-Bündnis gegen das Referendum aufbrachte: es stellte ihr Politikmonopol in Frage.
Die soziale Frage bleibt vorrangig, aber sie muss in breitere Hände gelegt werden, als
dies traditionell der Fall ist. Die Komitees für das Ja und die bestehenden Strukturen der globalisierungskritischen Bewegung sollten eine gemeinsame
Plattform gegen die Regierung erarbeiten also ihre Arbeit politisieren. Im Mittelpunkt steht die Opposition gegen weitere »Reformen« des
Arbeitsmarkts, die Verteidigung der Rechte gegen die von den Unternehmern verlangte absolute Verfügbarkeit. Prekarisierung ist heute das zentrale
Projekt des italienischen und internationalen Kapitals; sie ist die Zukunft der großen Masse der abhängig Beschäftigten. Der neue Proletarier
ist der prekär Beschäftigte; die neue Arbeiterbewegung muss ihren Kampf gegen die Prekarisierung ihrer Existenz richten. Dafür ist die
Gewerkschaft unverzichtbar, aber sie reicht nicht wir müssen innerhalb und außerhalb der Produktionsstätten arbeiten und die
verschiedensten Betroffenheiten miteinander in Verbindung bringen z.B. in Form eines Netzwerks gegen prekäre Arbeits- und
Lebensbedingungen. Schließlich darf das Mittel der Volksbefragung nicht beiseite gelegt werden, wie einige jetzt fordern, es muss im Gegenteil neu belebt
werden.
Dem Aufbau einer sozialen Opposition ist das Verhältnis zum Mitte-Links-Block
unterzuordnen. Der Maßstab für die Zusammenarbeit ist die gemeinsame Fähigkeit, Widerstandslinien aufzubauen. Hier muss die
größtmögliche Einheit gefordert werden, die so breite Teile der Bevölkerung sich wünschen, um Berlusconi zu schlagen. Einheit
und Radikalität müssen zusammen gehen. Jede Antwort, die sich auf die Ebene der politischen Institutionen beschränkt [wie dies der
Vorschlag von Bassolino tut], stellt eine Flucht in ein instrumentelles Politikverständnis dar, das politische Manöver an die Stelle der
Veränderung der Kräfteverhältnisse setzt. Deshalb kann die Marschrichtung nicht lauten: »Einigung mit Mitte-Links auf ein
gemeinsames Regierungsprogramm«; damit würden die realen Prioritäten auf den Kopf gestellt und die Natur des Olivenbaums verschleiert.
Die Kräfte, die für das Referendum mobilisiert haben, müssen jetzt mit den Sozialforen zusammen geführt werden, um gemeinsame
Themen für den sozialen Kampf zu finden.
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