SoZ Sozialistische Zeitung |
Großbritannien erlebte in letzter Zeit nicht nur eine steigende Militanz der Gewerkschaftsbewegung, sondern auch eine machtvolle
Antikriegsbewegung. Welche Bedeutung hat diese und wohin könnte dies alles noch führen?
Hilary Wainwright: Da muss man trennen. Die ansteigende Stärke der Linken innerhalb der Gewerkschaften hat viel mit einem Illusionsverlust
mit der Labour-Regierung zu tun. Die Menschen hatten 1997, als Labour den Thatcherismus ablöste, starke Hoffnungen und Erwartungen, das eine
Labour-Regierung eine echte Veränderung bedeuten würde obwohl die Labour Party ihr Bestes gab, diese Erwartungen niedrig zu halten.
Als sie diese Erwartungen nicht erfüllte, kam es zur Entwicklung eines radikalen Bewusstseins innerhalb der Gewerkschaften und führte zur Wahl
von radikal linken Gewerkschaftsführern. Sie repräsentierten eine Alternative zu den Hinterzimmergesprächen, die zwischen den
Gewerkschaften und der Labour-Regierung für gewöhnlich stattfanden.
Die Anfänge der Antikriegsbewegung reichen dagegen zurück auf die Zeit des
Endes des Kalten Krieges. Damals argumentierten viele Menschen, es würde keine Kriege mehr geben, wir würden nun in eine Periode des
Friedens, der demokratischen Konfliktbearbeitung eintreten und der Militarismus sei ein Ding der Vergangenheit. Übersehen wurde bei der Hoffnung auf
die neue Rolle der UNO die Stärkung der US-amerikanischen Rechten und die Art und Weise, in der die Blair-Regierung sich mit der Bush-Regierung
verbündet hat. Vor diesem Hintergrund bedeutet die Antikriegsbewegung eine tiefe Ablehnung für das, wofür die Blair-Regierung steht. Das
Problem ist: Es gibt keine Alternative zu Blair in Großbritannien, der Großteil der öffentlichen Meinung ist effektiv entmündigt
worden.
Wo das hingehen wird, ist nicht klar. Es gab einen Moment, in dem diese emotionale Kraft
beinahe die Macht zu haben schien, die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Die Leute werden diese Erfahrung nicht vergessen. Sie werden die riesigen
Demonstrationen ebensowenig vergessen wie die Erfahrung, die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu haben. Dass die Regierung trotzdem nein gesagt
hat, ist ein großer Vertrauensverlust für die Demokratie in Großbritannien.
Wohin kann dieser Vertrauensverlust führen? In England wächst eine völlig neue Generation von Aktivisten, vor allem von
Schülern, heran. In Schottland gewann die radikale Linke bei den jüngsten Wahlen. Sind dies Schritte hin zu einer politischen Alternative?
Ich denke, es gibt einen Unterschied zwischen England und Schottland. Teilweise, weil das schottische Wahlsystem eine größere
parlamentarische Repräsentation von Alternativen erlaubt, teilweise auch, weil es dort auf der Linken eine Geschichte von Allianzen und Koalitionen gibt,
die die Linke für eine Zeit zusammengebracht haben. Da gibt es Vertrauen und gemeinsames Verständnis. Es gibt eine alternative Partei, die
Scottish Socialist Party (SSP). Außerdem gibt es die Grünen in Schottland.
Während der letzten Gemeinde- und Parlamentswahlen in Schottland fand diese
Enttäuschung ihren Ausdruck in den guten Wahlergebnissen der SSP. Es ist eine Partei die erkannt hat, dass ein großer Anteil wichtiger
Aktivitäten und Machteinflüsse von außerhalb der Wahlebene kommen muss, aus den Betrieben und Kommunen.
In England gibt es im Moment keine Basis für eine alternative Partei. Also glaube ich,
dass die Enttäuschung zu einer größeren Kampfbereitschaft der Gewerkschaften, bspw. im Kampf gegen Privatisierungen, führen wird.
Waren diese Kämpfe in der Vergangenheit abgeschwächt, weil Labour unverwundbar und unbesiegbar erschien, so haben wir heute eine
höhere Selbstsicherheit. Da gibt es viel Bewegung, zumal eine sich international mehr verknüpfende.
Auf lokaler Ebene ergeben sich neue wählbare Alternativen. In Kidderminster wurde der Kandidat einer Kampagne gegen die
Schließung des örtlichen Krankenhauses in den Stadtrat gewählt. In Coventry und London gibt es zwei sozialistische Stadträte und in
Preston wurde erst kürzlich ein weiterer gewählt. In Tameside, in Manchester, erzielte der Kandidat einer Bürgerinitiative gegen neoliberale
Sparmaßnahmen ein recht gutes Wahlergebnis. Glaubst du, dass die Labour-Partei für die Linke verloren ist?
Landesweit sicherlich. Ich glaube nicht, dass es für die Linke einen Weg oder irgendeine Chance gibt, die Labour-Partei zurückzuerobern.
Sie steht zu sehr unter der Kontrolle Tony Blairs und von New Labour. Aber ich muss an die vielen Menschen erinnern, die Labour auf lokaler Ebene aufgebaut
haben, die Labour als ihre Partei betrachten, weil sie mit Schweiß und Tränen geholfen haben, die lokalen Ortsgruppen dieser Partei zu errichten.
Und in manchen Orten können diese Leute sehr wohl noch die Mehrheit in den Ortsgruppen stellen.
Der Wahlbezirk für Zentral-Manchester ist bspw. sehr links. Dort war Labour gegen den
Krieg und unterstützte die Feuerwehrleute. Sie nehmen an vielen Kampagnen teil, an denen auch wir teilnehmen würden. Und es gibt viele kleine
Flecken wie diesen. Viele Leute denken nicht daran, Labour zu verlassen. Es ist deshalb wichtig, Bündnisse mit diesen Menschen einzugehen und die
Linke muss dabei sehr flexibel sein.
Auf lange Sicht brauchen wir eine alternative Partei. Aber ich glaube, dass diese sich aus
Spaltungen innerhalb von Labour entwickeln wird und nicht durch einen Prozess von außerhalb der Partei. Und es wird eine ziemlich lange Zeit brauchen.
Auch die extreme Rechte kann Wahlerfolge verbuchen. Wie stark schätzt du deren Einfluss zurzeit ein?
Hoffentlich sehr klein. Allerdings leiden viele Menschen aus der Arbeiterklasse in vielen traditionellen Labour-Hochburgen unter schlechten
Wohnverhältnissen, Privatisierungs- und Sparmaßnahmen, sowie Nichtbeachtung. Da die Linke sich nicht in der Lage gezeigt hat, klare
Alternativen, bspw. zur Privatisierung, öffentlich aufzuzeigen, hatte die British National Party (BNP) die Chance, in dieses Vakuum einzudringen und
Erfolge zu erzielen, unter anderem, in dem Asylsuchende zu Sündenböcken für die Misere erklärt werden.
Obwohl es gut ist, dass die Linke Antinazikampagnen organisiert, sind diese nicht
genügend in den Arbeitervierteln verwurzelt, in denen die BNP derzeit erfolgreich ist. Die Linke müsste jetzt Kampagnen zur Wohnungsfrage, zu
Sozialleistungen, Erwerbslosigkeit und Rassismus machen.
In deinem neuen Buch Reclaim the State plädierst du für partizipative Demokratie. Was verstehst du darunter?
Zuallererst, dass wir weniger darüber nachdenken sollten, die Staatsmacht zu erlangen, als über die Möglichkeiten einer radikalen
Demokratisierung von öffentlicher Macht und öffentlichen Mitteln.
Der Neoliberalismus hat, während er die autoritären und militärischen
Elemente des Staates stärkt, die demokratischen Elemente des Staates in vielen Ländern weitgehend zerstört. Großbritannien ist das
auffälligste Beispiel. Wir müssen also aktiv werden, um diese demokratischen Elemente des Staates wiederaufzubauen. Wir müssen von den
Fehlern der Vergangenheit lernen und mehr denn je eine Demokratie von unten aufbauen, also eine Kombination aus parlamentarischer Demokratie und viel
stärker partizipatorischen Elementen. Dies würde den Menschen die Verhandlungsmacht geben, mit der u.a. die multinationale Macht der USA
konfrontiert werden könnte.
Der andere Teil des Buches beschreibt die Anfänge dieser demokratischen
Rückeroberung durch die antikapitalistische Bewegung, bspw. durch Entlarvung der Geheimniskrämerei, der Ungleichheit und der institutionellen
Gier. Nun muss allerdings über demokratische Alternativen nachgedacht werden, vor allem im Sinne einer lokalen Demokratie als Basis für ein
weltweites demokratisches System. Darüber habe ich geschrieben.
In wieweit würden solche Experimente von den bürgerlichen Mächten toleriert? Besteht nicht immer die Gefahr, dass solche
Experimente zerschlagen werden könnten?
Natürlich. Ich hege keine Illusionen, dass es möglich ist, Sozialismus in einer einzelnen Stadt oder einem einzelnen Land zu erreichen.
Aber solche Erfolge können eine Basis für größere Massenunterstützung und Allianzen mit anderen Staaten sein, in denen
ähnliche Experimente stattfinden.
Du hast die britische Linke schon oft wegen ihres Konservatismus und ihrer nur zögerlichen Zusammenarbeit mit bspw. der
europäischen Linken kritisiert. Hat es hier Bewegung gegeben?
Ein wenig Bewegung hat es gegeben. Die gesamte Linke ist nun in paneuropäischen Bewegungen, Organisationen und Netzwerken organisiert.
Das Europäische Sozialforum ist eines davon. Das Europäische Sozialforum hat in gewisser Weise die europäische Antikriegsbewegung
geboren. Es gibt auch Allianzen linker und grüner Parteien sowie einen Ruck hin zu einer mehr europäischen Art des Denkens und des
Organisierens. Dies ist eine gute Sache.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04