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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 17

Frankreich

»Chirac ins Gefängnis, José Bové nach Hause«

Achtzig Gendarmen kamen kurz vor 6 Uhr in der Frühe mit einem Hubschrauber, mit schusssicheren Westen und schwerer Bewaffnung, um ihn aus dem Bett zu ziehen und in eine 100 Kilometer entfernte Haftanstalt zu befördern. Wir schreiben Sonntag, 22.Juni 2003, auf einem Schafzüchterhof in Potensac, auf dem französischen Larzac-Massiv: dem von José Bové.
Bové ist seit 1999 das wohl bekannteste Gesicht der französischen linksalternativen Bauerngewerkschaft, der Confédération paysanne (CP), wo er Sprecher für internationale Kontakte ist. Aufgrund zweier Gerichtsurteile, die in Montpellier gegen ihn gefällt wurden, soll er für zehn Monate hinter Gitter — als Strafe für öffentliche Aktionen, die sich gegen genetisch manipulierte Nahrungsmittel richteten.

Soziale Bewegungen versus Chirac



Im Vorfeld der traditionellen Präsidentenamnestie, die das französische Staatsoberhaupt jährlich am 14.Juli (dem Nationalfeiertag) ausspricht, war vielfach erwartet worden, dass Amtsinhaber Jacques Chirac aus diesem Anlass von seinem Gnadenrecht Gebrauch machen würde. Die Möglichkeit dazu hat der Präsident grundsätzlich inne. Rund 800000 Unterzeichner einer Petition hatten dies von Chirac gefordert, noch bevor José Bové wirklich ins Gefängnis transportiert worden war.
Andererseits hatten viele Beobachter nicht so richtig an eine Amnestierung durch den bürgerlichen Staatschef geglaubt, da diese eine — aus konservativer Sicht unerwünschte — Beispielwirkung für soziale Bewegungen entfaltet hätte, in Zeiten, da diesen allgemein eher mit repressiver Härte begegnet wird.
Letztendlich hat Chirac sich für eine institutionelle »Kompromiss«lösung entschieden: Drei Tage vor dem Stichdatum am 14.Juli erließ er Bové, auf dem Wege des individuellen Gnadenrechts, zwei Monate von seiner Strafe (also ein Fünftel); zwei weitere Monate Straferlass kommen Bové auf dem Wege einer kollektiven Maßnahme, die alle am Stichtag Inhaftierten betrifft, zugute. Damit wird José Bové voraussichtlich kurz vor Weihnachten dieses Jahres freikommen — vielleicht auch im Spätherbst, wenn ihm »gute Führung« zuerkannt wird.
Derzeit ist Bové in einer Zelle im Erdgeschoss des Gefängnisses von Villeneuve- lès-Maguelon (bei Montpellier) inhaftiert, in der die Temperaturen in den Sommermonaten leicht 40 Grad erreichen und in der er nachts das Fenster — mit Blick auf eine Müllhalde und eine Wand — geschlossen halten muss, da eine Belüftungsanlage auf ihrer Höhe infernalischen Lärm verursacht.
Allerdings ist er von den Unterstützern sozialer Bewegungen nicht vergessen worden: Bereits am Tag seiner Einlieferung hatten spontan mehrere hundert Menschen vor der Haftanstalt vonVilleneuve-lès-Maguelon demonstriert, Bewohner der Umgebung ebenso wie junge Tramper, die auf der Durchfahrt durch die Region waren. In den folgenden drei Tagen fanden in ganz Frankreich Demonstrationen statt, meist vor den Präfekturen (den Vertretungen der Zentralregierung in den Départements) und den örtlichen Gefängnissen. Zuletzt haben am 14.Juli über 5000 Menschen vor dem Knast von Villeneuve-lès-Maguelon protestiert, während auch in Paris gleichzeitig einige hundert Menschen für Bové demonstrierten und erst die Pyramide des Louvre besetzten, bevor sie ein Transparent an den Türmen der Kathedrale von Notre-Dame befestigten.
In den verschiedenen sozialen Bewegungen hat sich unterdessen eine Parole wie ein Lauffeuer ausgebreitet, die sich derzeit großer Popularität erfreut: »Chirac en prison, Bové à la maison« — Chirac ins Gefängnis (dem Präsidenten werden bedeutende Korruptionsdelikte aus seiner Amtszeit als Pariser Oberbürgermeister vorgeworfen, doch die Verfahren wurden niedergeschlagen), Bové nach Hause.

Was vertritt José Bové?

Die CP ist seit einigen Jahren zur großen Herausfordererin des konservativen bzw. reaktionärenLobbybauernverbands FNSEA geworden. Bei den letzten Wahlen zu den Landwirtschaftskammern, im Januar 2001, erhielt die CP landesweit knapp 28% der Stimmen, während der frühere Quasimonopolverband — die FNSEA — auf einen historischen Tiefstwert von 53% der Stimmen fiel. Das hätte man sich seitens der FNSEA, die lange Zeit — durch ihre Stellung etwa in den landwirtschaftlichen Genossenschaftsbanken, die über Kredite an Bauern entscheiden, und den Landwirtschaftskammern - eine kaum zu umgehende materielle Vormachtstellung inne hatte, früher nicht träumen lassen.
Die CP ging 1987 aus dem Zusammenschluss zweiter linker Vorläuferorganisationen, darunter die Paysans travailleurs des Bernard Lambert, hervor. Von Anfang an hatte sie ein stark internationalistisches Profil und knüpfte Kontakte zu bäuerlichen Organisationen gerade auch in der Dritten Welt. Heute ist sie Mitglied im internationalen Dachverband Via Campesina.
Während die FNSEA oft — geht es darum, Lobbyinteressen (etwa das Verlangen nach Subventionen auch für intensive und Umwelt zerstörende Produktion) durchzusetzen — vor roher Gewalt und Zerstörungsaktionen nicht zurückscheute, machte die CP eher durch »Nadelstichaktionen« auf sich aufmerksam. Es handelt sich um weit weniger brutale, aber dafür öffentlichkeitswirksame Aktionen, durch die auf breitere, v.a. weltwirtschaftliche Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden soll.
Die zeitlich jüngste Verurteilung von José Bové aus dem Jahr 2001 (die am 26.Februar dieses Jahres in Montpellier bestätigt wurde) erfolgte bspw. wegen einer Aktion gegen genmanipuliertes Saatgut, die im Zusammenspiel mit indischen Bauern — die gegen die Praktiken von Agrarmultis in ihrem Land protestieren und sich auf einer Tour durch Europa befanden — durchgeführt worden war. Französische und indische Aktivisten hatten damals, 1998, gemeinsam gut 3000 genmanipulierte Reissetzlinge beim Forschungszentrum CIRAD fein säuberlich ausgerissen. Wie sich im Laufe des Gerichtsprozesses herausstellte, hatten die Leiter des Forschungszentrums keinerlei Gefahrenstudie etwa bezüglich der möglichen Verbreitung von Pollen der genmanipulierten Pflanzen vorgenommen, vielmehr hatten sie die Risiken mit geradezu sträflichem Leichtsinn behandelt.
Mehrere Dutzend Forscher, darunter viele vom CIRAD selbst, haben übrigens jüngst mittels einer Petition von Juni 2003 die Freilassung von Bové gefordert. Ihm wird zugute gehalten, dass er durch seine Aktionen die Debatte um die Gefahren gentechnisch manipulierter Pflanzen und Nahrungsmittel vorangebracht habe.
Es ist hingegen blanker Unsinn, wenn eine Autorin der Jungle World (vom 9. Juli 2003) behauptet, Bové habe »Genmais- und Reisfelder angezündet«. Das haben nicht einmal die Strafverfolgungsbehörden behauptet. Mit welchen gemeingefährlichen Mitteln gehen französische soziale Bewegungen denn, nach Ansicht der Autorin, im Allgemeinen vor? Nehmen sie Waldbrände und unkontrollierte Feuersbrünste in Kauf? Es muss sich nach Auffassung der Verfasserin — die zudem fälschlicherweise behauptet, die CP vertrete protektionistische Positionen zur EU-Landwirtschaft, was völlig unzutreffend ist — um ebenso hirn- wie rücksichtlose Idioten handeln. Dieses Bild hat aber mit der Wirklichkeit nichts gemeinsam. Die CP hat ihre Aktionen stets vorher angekündigt, öffentlich (und ohne Allgemeingefährdung) durchgeführt, und ihre Ziele rational determiniert.
Zudem hat die linke Bauerngewerkschaft, in scharfem Gegensatz zum reaktionären Lobbyverband FNSEA, niemals protektionistische Positionen vertreten, die auf Kosten der Dritten Welt gehen würden. Ganz im Gegenteil hat sie stets das EU-Modell einer hoch subventionierten, produktivistischen und auf Export ausgerichteten Agrarwirtschaft oder -industrie denunziert, und deren fatale Konsequenzen für die Produzenten in der Dritten Welt öffentlich unterstrichen und angeprangert. Die CP tritt für »Ernährungssouveränität« ein, was aber keineswegs (wie manche deutschen Linken unterstellen) eine Forderung zum Schutz der bestehenden EU-Agrarindustrie gegen die US-amerikanische ist — sondern vielmehr eine zum Schutze der Produzenten in der Dritten Welt, gegen die EU wie gegen die USA.
In diesem Sinne hat die CP bei den verschiedenen Gerichtsprozessen gegen ihre Aktiven — namentlich gegen Bové — stets zahlreiche Zeugen aus Afrika, Asien und Lateinamerika geladen, die vom Agieren europäischer und nordamerikanischer Agrarkonzerne dort berichteten. Stets hat die CP sich auch mit den in Frankreich als »illegale« Immigranten lebenden (und für ihre »Legalisierung« kämpfenden) Sans papiers, von denen viele aus solchen und ähnlichen Gründen aus Ländern wie Mali und Senegal kamen, offensiv solidarisiert.

Bernhard Schmid, Paris

Wer José Bové in der Haftanstalt schreiben oder auch Solidaritätserklärungen schicken will — seine (vorläufige) Adresse lautet: José Bové, No. d‘écrou 22377Y, Bloc A07, F-34753 Villeneuve-lès-Maguelone.



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