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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2003, Seite 17

EU-Gipfel in Saloniki

Autoritär und unsozial

Der EU-Gipfel von Saloniki am 19. und 20.Juni wird der Öffentlichkeit in Erinnerung bleiben als der Gipfel, auf dem Europa erstmals eine Verfassung präsentiert wurde.

Der Konvent hat einen geschlossenen Text vorgelegt, den die Ratsherren erst einmal einhellig zur Kenntnis genommen haben. Das bedeutet nicht, dass er deswegen von allen geteilt würde. Das Hauen und Stechen um Zuständigkeiten, Vetorechte und Stimmanteile geht nach Saloniki noch mal los und wird erst auf der Regierungskonferenz, die am 13.Oktober eröffnet wird, beigelegt werden können. Es kann passieren, dass diese bis in die irische Präsidentschaft hinein arbeiten muss. In jedem Fall soll die Verfassung offiziell erst nach dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten am 1.Mai 2004, aber vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni 2004 unterzeichnet werden. Der Akt soll in Rom stattfinden, um an die Römischen Verträge von 1957 anzuknüpfen.
Neben der Verfassung wurden in Saloniki weitere Weichen gestellt. Die Festung Europa ist ein weiteres Stück undurchdringlicher geworden. Seit dem EU-Gipfel in Tampere 1999 wird Schritt für Schritt daran gearbeitet, dass Flüchtlinge und Einwanderer keine Chance mehr haben, illegal nach Europa zu gelangen, geschweige denn Asylstatus zu bekommen. Vor den Toren der EU sollen »regionale Sicherheitszonen« möglichst in der Nähe der Herkunftsländer aufgebaut werden (was gerade die ärmsten Länder zusätzlich mit der Bewältigung der Flüchtlingsströme belastet), bzw. »Transitzentren« in den EU- Anrainerstaaten, in die Migranten zurückgeschickt werden können.
Diesen Vorschlag haben in Saloniki Großbritannien, Spanien, Italien, Dänemark und die Niederlande unterbreitet — also die Länder mit den rechtesten und autoritärsten Regierungen. Weil Deutschland und Schweden Vorbehalte hatten, konnten konkrete Beschlüsse jetzt noch nicht gefasst werden. Außenminister Fischer hat darüber hinaus geltend gemacht, dass die Bundesregierung in Sache Flüchtlinge und Migration ein Vetorecht behalten will. Die 15 Staaten haben jedoch die Schaffung einer gemeinsamen Datenbank für Visa im Namen des Kampfs gegen die illegale Migration vereinbart.
Das System überprüft alle Visa, die die EU ausstellt und nimmt darin biometrische Daten auf wie Fingerabdrücke und Struktur der Iris. Die EU-Kommission wird zwischen 2004 und 2006 bis 140 Millionen Euro locker machen, um die Datenbank einzurichten und die Kooperation der Grenzbeamten zu verbessern: durch Aufstellung gemeinsamer Grenzschutztruppen und Angleichung ihrer Ausrüstung.
In Saloniki haben die EU-Staaten auch ihre Differenzen über den Irakkrieg begraben und gemeinsam der UN-Resolution 1483 zugestimmt, die eine Unterstützung im »Wiederaufbau« des Irak fordert. Der Hohe Kommissar für Außen- und Sicherheitspolitk, Javier Solana, hat eine »europäische Sicherheitsstrategie« vorgelegt, die eine Öffnung der Union gegenüber präventiven Militärinterventionen beinhaltet — also die Übernahme der Militärdoktrin der USA und der NATO.

Gegengipfel

Es gab zwei Gegengipfel: einer organisiert vom Griechischen Sozialforum (dessen Hauptträgerin Synaspismos eine Abspaltung der KP ist), und eine von der Aktion Saloniki, die der KP nahesteht. Sie vereinigten sich am Samstag, dem 21.Juni, zu einer gemeinsamen Großdemonstration, an der sich etwa 50000 Menschen beteiligten. Ausländische Delegationen waren vor allem aus Großbritannien, Skandinavien und Italien gekommen.
Auf einem der Seminare des Griechischen Sozialforums präsentierten die Euromärsche, die französische Liga für Menschenrechte, ein Teil des europäischen Wissenschaftlernetzes Transform und die katalanische Initiative für eine Carta der sozialen Rechte ihre Kritik an der EU-Verfassung und ihr Vorhaben, eine eigene Charta der Rechte zu redigieren. Sie soll aus fünf Teilen bestehen: demokratische Rechte; soziale Rechte; Bürgerrechte; Gleichheitsrechte; Recht auf Frieden. Die Charta soll auf dem Europäischen Sozialforum in Paris präsentiert und dort auch über die geeignete Form entschieden werden, zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verfassung eine große Gegenveranstaltung in Rom durchzuführen.
Die Kritik am unsozialen und autoritären Charakter der EU wird nach wie vor nur von kleinen Minderheiten vorgetragen, aber sie wachsen. Wenige Tage vor Beginn des offiziellen Gipfels haben die wallonischen Gewerkschaften, die sozialdemokratische FGTB und die christliche CSC, eine Erklärung herausgegeben, die den Verfassungsentwurf als »inakzeptabel« bezeichnet. Die Gewerkschaften haben gefordert, das Vetorecht bei sozialen, Steuer- und Umweltfragen aufzugeben. Dass Europa und Soziales immer weniger deckungsgleich sei, habe dazu geführt, dass selbst in Belgien die Mehrheit heute gegen die EU eingestellt sei (44% gegen 11%). Die Gewerkschaften fordern eine breite Debatte über die Verfassung. Eine Reihe von NGOs und Bewegungen fordert Volksabstimmungen in allen Ländern.

Angela Klein

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