SoZ Sozialistische Zeitung |
Yes, I am a thief of thoughts
not, I pray, a stealer of souls
I have built an rebuilt
upon what is waitin
for the sand on the beaches
carves many castles
on what has been opened
before my time.
Bob Dylan, »11 Outlined Epitaphs«, liner notes der LP The Times They Are A-Changin
Dass in einem System, wo Kultur rest- und rastlos zur Ware gemacht wird, die Frage um das Eigentumsrecht an geistiger Produktion zunehmend ins
Blickfeld ökonomisch-juristischer Verhandlungen gerät, liegt in der Logik der Sache. Das TRIPs-Abkommen im Rahmen der WTO beispielsweise
ist paradigmatisch für die ausbeuterische Exzessivität kultureller Globalisierung unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen.
So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass sich in letzter Zeit die Plagiataffären in
Literatur, Wissenschaft und Popmusik häufen, was nur die sichtbaren Symptome an der kulturindustriellen Oberfläche sind, deren Ursachen tiefer
liegen. Die Problemlage ist deshalb komplizierter, da die Verhandlungen um geistiges Eigentum an der Schnittstelle zwischen sozioökonomischen
Interessen und kulturellen Argumentationsmustern angesiedelt sind und die strukturelle Eigenlogik kultureller Aspekte in »ökonomistischen«
Betrachtungsweisen generell gering geschätzt wird.
Der neueste Fall, den das prominente US-amerikanische Börsenblatt Wall Street Journal
in die Schlagzeilen der Medienwelt gebracht hat, dreht sich um den US-Songwriter Bob Dylan, der beschuldigt wird, bei einem unbekannten japanischen
Krimiautor einige Zeilen für sein 2001er Album Love and Theft abgeschrieben zu haben. Der Yakuza-Thriller von Junichi Saga, der hauptberuflich Arzt
ist, handelt vom japanischen Mafiamilieu und trägt selbst die Züge des »Sekundären«, präsentiert ein Stück oral
history, von einem ehemaligen Gangster abgelauschte Lebenserinnerungen. Dylans Manager, der als Mittler zwischen Musikindustrie und Kunstproduktion die
Sprache beider beherrschen muss, begab sich prompt auf ästhetisches Glatteis. Er attestierte seinem Schützling »Originalität«,
um den Vorwurf des Plagiats (mit den juristischen und ökonomischen Konsequenzen) abzuwehren.
Dabei nimmt man allgemein an, dass die Zeichen für genialische Originalität
schlecht stehen. Vorbei sind doch eigentlich die Zeiten, wo man die profanen Reste von Authentizität in der auratischen Atmosphäre des Mediums
(etwa im Röhrenverstärker oder im Rauschen der LP) aufsuchte und das Cover des Konzeptalbums seiner Lieblingsband geradezu kultisch verehrte.
Vorbei ist auch die Zeit, in der Bob Dylan seinen Wandel von der heimeligen Urtümlichkeit akustischen Gitarrenzupfens zum medial vermittelten Sound
der E-Gitarre vollzog zum Schrecken der medientechnisch naiven Folkgemeinde.
Wir leben, so denkt man im Höhekamm der postmodernen Kulturtheorie wie in den
massenmedialen Niederungen des digitalen file-sharing, definitiv in einer »culture of the copy« (Hillel Schwartz), was sogar bisweilen die
spätkapitalistische Plattenindustrie zum Schwitzen bringt. Statt antiquierter genialischer Kreation, ist innovativ nur noch das neueste Markenprodukt im
Warensortiment. Vorausgesetzt und hier liegt der Widerspruch dass dieses »echt« ist.
Die Warenförmigkeit kultureller Produktion ist in ihrem Hang zur Homogenisierung und
Gleichmacherei kaum noch zu übertreffen. Umso erstaunlicher ist das Wiederaufleben eines Originalitätspostulats, das letzten Endes in einem
Eigentlichkeitsdenken frühbürgerlicher Ästhetik gründet, das von einem schöpferischen Künstlerindividuum und vom
Autor als einer gottähnlichen Instanz ausging. Das heutige Phantasma des Authentischen entpuppt sich als die dialektische Kehrseite der
Uniformität und des Seriellen kapitalistischer Warenproduktion im Zeitalter ihrer infotechnischen Reproduktion. Bei zunehmender Kapitalisierung der
Kultur steigert sich die paradoxe Tendenz der Verdinglichung auch des Immateriellen, die Jeremy Rifkin auf den Begriff des »Kulturkapitalismus«
gebracht hat. Die ökonomische Durchdringung nichtmaterieller Bereiche der bürgerlichen Gesellschaft berührt die Produktion kultureller
Erfahrungen, die als immaterielle »Erfahrungsformeln« verwertet werden.
Der slowenische Kulturphilosoph Slavoj Zizek sieht hierin die Radikalisierung des marxschen
Fetischkonzepts, da der Warenfetisch sich in eine »flüssige immaterielle virtuelle Entität« verwandele. Die werbeindustriell
vorangetriebene Vermarktung »authentischer« Lebenserfahrung gipfelt dann in tautologischen Paradoxien wie »Konsum der Ware
Konsum«.
Wie könnte eine politästhetische Antwort auf diese »gespenstische«
Entwicklung lauten? Bob Dylans popkulturelle Musikpoesie lässt sich, so meine These, als kulturellen Kampfplatz gegen die
»Erfahrungsformel« des Authentischen und des Copyright begreifen. Je mehr Textschichten man abträgt im dylanschen poetomusikalischen
Steinbruch, je mehr man glaubt, sich dem »Wesen« seines uvre zu nähern, desto weiter dreht sich das Rad des Verweises. Seine Songs
haben deutlich Zitatcharakter und speisen sich aus dem überzeitlichen kulturellen Speicher von der Bibel über Shakespeare bis zur
»klassischen« Moderne. Anspielungen auf Ezra Pound, T.S. Eliot und Dylan Thomas stehen neben kulturellem Trash aus Illustrierten,
Klatschgeschichten und Dialogfetzen aus traditionals amerikanischer Folklore.
Literaturwissenschaftlich und umständlicher formuliert, handelt es sich um die
Prinzipien des Metonymischen und der Intertextualität, welche grundlegende Tropen und Techniken moderner Kunstproduktion sind. Collage und Pastiche
sind als die Verfahrensweisen spätmoderner Kunstproduktion hinlänglich bekannt.
Bob Dylan ist also wesentlich mehr als ein Plagiator. Dylan ist ein Dieb, seine Poetik eine des
Diebstahls. Darin liegen ihre Radikalität und ihr bis heute anwährendes Faszinosum. Kulturelles Raubrittertum hat einen radikal demokratischen
und antielitären Zug, was der Philosoph Gilles Deleuze als die vollendete Form der kollektiven, antihierarchischen »Unterhaltung« begreift:
»Zusammentreffen, begegnen heißt finden, heißt einfangen heißt stehlen … Stehlen ist das krasse Gegenteil von Plagiieren,
Kopieren, Nachahmen oder Vorspiegeln. Einfangen ist stets zweiseitiges Einfangen, der Diebstahl immer zweiseitiger Diebstahl.«
Dylan ist kein Autor mehr im traditionellen Sinne und auch kein Großmeister, als den
ihn seine Fangemeinde noch immer anbetet. Er betreibt vielmehr ein »Produktionsbüro« (Deleuze), wie einst Bertolt Brecht, dessen
Selbstbewertung als Plagiator in einer für ihn typischen, lapidaren Geste auf »Laxheit in Fragen des Eigentums« verweist, was bei ihm als
Marxist programmatisch verstanden werden will. Die unveränderte Übernahme von Versen François Villons in die Dreigroschenoper löste
allerdings seinerzeit, im fehdenreichen Kulturbetrieb der späten Weimarer Republik, einen Skandal aus.
Diejenigen, die auf zahlreichen Internetseiten peinlichst die Herkunft jeder dylanschen Zeile
aufspüren, zeigen nicht nur, dass sie von der Radikalität moderner Kunst nichts verstanden haben, sie bilden darüber hinaus das
kleinkrämerische Pendant zu denjenigen in den obersten Etagen der Kulturindustrie, die mit Plagiatsprozessen viel Geld verdienen. Der
Literaturwissenschaftler Erhard Schütz attestiert generell den Streitigkeiten um geistiges Eigentum einen »Ruch von Kleinlichkeit und
Schwäche«, vor allem dann, wenn ein Dritter sich durch den Vorwurf des Plagiats ins Spiel bringt, liegt der Verdacht der »zelotischen
Afterwisserei« nahe.
Gegen diese Art von Besserwisserei hatte bereits im genieästhetischen 18.Jahrhundert
der Aufklärer G.C. Lichtenberg in einem leidenschaftlichen Plädoyer für das Plagiieren gewettert. Aus einer Position der Stärke heraus
und nicht im Geheimen, in der Annahme, dass niemand es bemerke sollten die Plagiatoren es machen wie die »Eroberer, die man nunmehr
unter die honetten Leute rechnet, sie sollten platterdings ganze Werke fremder Leute unter ihrem Namen drucken lassen und wenn sich jemand dagegen in loco
selbst regt, ihm hinter die Ohren schlagen, dass ihm das Blut zu Maul und Nase heraussprützt, Auswärtige in Zeitungen Spitzbuben,
Kabalenschmiede, und Bengel schelten.«
Zwischen Lichtenbergs Sudelbüchern und Dylans Songwriting lassen sich
literaturgeschichtlich eine ganze Reihe von Autoren verorten, an deren positiver Einstellung zum Stehlen geistiger Produkte eine Poetik des Diebstahls zu
entwickeln wäre: Goethe, Heinrich Heine, Alexandre Dumas, Arno Schmidt, Heiner Müller… In der zeitgenössischen Musik bietet die
Zitatmaschine des Hip Hop mit seinen Sampling-Verfahren, »geklauten« Riffs und der performativen Verarbeitung von Kulturmüll und
gesellschaftlichen Stereotypen eine Übersetzung einer solchen Poetik in Populärmusik, deren Parallelen zum Song-and-Dance Man Bob Dylan nicht
zufällig sind. Dylan steigert seine Poetik des Stehlens und des maskenhaften Inauthentischen sogar noch durch vielfaches Selbstzitat und durch die
ständige Umänderung seiner Songs in endlosen Konzerten, die niemals gleich klingen.
Kultur ist ein öffentliches Gut, eine kollektive Ressource, deren freie Zirkulation
Bedingung für einen emanzipatorischen Umgang mit ihr ist. Die Enteignung kultureller Produktionsmittel durch Patentrecht und Copyright kommt, vor
allem in der Dritten Welt, einer Art »ursprünglichen Akkumulation« geistig-kulturellen Reichtums gleich. Das Stehlen von
»fremdem« Geisteseigentum entfaltet daher insofern eine subversive Funktion, als es enteignete Kultur wieder in den Kreislauf der allgemeinen und
konkreten Benutzung zu überführen vermag.
Ästhetisch gesprochen bedeutet dies, dass ein Text immer auf einen anderen verweist und
somit in eine kommunikative Endlosschleife eingeht, deren Unterbrechung erst der »wahre« Diebstahl ist: die kapitalistische Enteignung der
Menschen von ihren kulturellen und geistigen Erzeugnissen.
Patrick Ramponi
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