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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 5

»Die WTO wird nicht scheitern«

Thomas Fritz über die Ministerrunde in Cancún und die Perspektiven der WTO

Im September findet in Mexiko wieder eine Ministerrunde der WTO statt. Worum geht es denn diesmal?

Dieses Mal geht es um eine Bilanz der sog. Doha-Runde und um die kritische Frage, ob ganz neue Themen, nämlich ein Investitionsschutzabkommen, in die WTO aufgenommen werden.

Was würde das denn bedeuten?

Wenn ein solches Investitionsabkommen — manche nennen es auch ein MAI light — durch die Hintertür wieder eingeführt würde, würde zum einen der Kompetenzbereich der WTO wieder drastisch ausgeweitet werden, zum anderen würden die Investorenrechte besonders gestärkt werden. Das würde zur Folge haben, dass die Regulierungsmöglichkeiten von Staaten weiter eingeschränkt werden, vor allem Auflagen, die Staaten an Investoren machen, würden als Handelshemmnisse und als Verstoß gegen WTO-Regeln eingestuft: Arbeitsschutz, Umweltschutz, die Benutzung von inländischen Vorprodukten, Auflagen, dass inländische Arbeitskräfte beschäftigte werden müssen usw.

Bei wem regt sich Widerstand gegen eine Neuauflage des MAI?

Es regt sich Widerstand auf Seiten der sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft natürlich; die werden auch in Cancún wieder dabei sein, da läuft zurzeit eine große Mobilisierung. Es gibt aber auch Regierungsvertreter, die mit der Agenda der WTO Probleme haben, vor allem solche aus Entwicklungsländern, in erster Linie aus Asien und aus Afrika.

Besteht denn die Möglichkeit, ein solches Investitionsabkommen zu blockieren oder gar zu verhindern?

Das ist derzeit unheimlich schwer vorauszusehen, weil die Erfahrungen zeigt, dass letztlich auch größere Entwicklungsländer wie Indien, die große Vorbehalte gegen ein solches Abkommen haben, sich in letzter Minute doch immer wieder von der EU oder den USA über den Tisch ziehen lassen. Man muss sich vorstellen, ein einzelnes Land blockiert den Fortgang der gesamten WTO-Verhandlungen — da wird ein enormer diplomatischer Druck ausgeübt. Ein solches Land könnte aber auch ganz konkrete Nachteile davontragen: erleichtert Zugänge für indische Produkte auf dem europäischen oder US-amerikanischen Markt könnten ausgesetzt werden; es könnten Klagen gegen indische Exporteure bei der WTO eingereicht werden — da gibt es viele Druckmittel.

Im Vorfeld liest man immer wieder, dass sich die Länder auf viele der Abkommen, die da verhandelt werden, nicht einigen können und die WTO deshalb gefährdet sei. Wie ist deine Einschätzung?

Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Streitigkeiten, weswegen man in der laufenden Doha-Runde nur sehr wenige Fortschritte erzielen konnte…

Kannst du Beispiele nennen?

Es gibt vor allem viele transatlantische Handelsstreitigkeiten zwischen den EU und den USA. Zum einen gibt es Streit darüber, dass die USA unilateral gegen WTO-Bestimmungen verstoßen haben, z.B. die Stahlzölle hochgesetzt haben, ihre Agrarsubventionen noch einmal drastisch erhöht haben und auch ihre Steuergesetzgebung nicht verändert haben. Da hat die EU gegen die USA geklagt und diesen Streitfall auch gewonnen. Seither darf die EU sehr hohe Strafzölle auf amerikanische Produkte erheben — in der Größenordnung von 4 Milliarden US-Dollar jährlich, das sind sehr hohe Summen. Auf der anderen Seite gibt es Kritik daran, dass die EU-Agrarreform, die jetzt im Juni beschlossen wurde, nicht sonderlich weitreichend ist und dass der Dumpingeffekt, der bewirkt, dass EU-Agrarprodukte die Märkte in anderen Ländern überschwemmen, nicht eingeschränkt wurde.

Welche Tragweite haben diese Streitigkeiten? Können sie die WTO möglicherweise zum Scheitern bringen?

Ich glaube nicht daran, dass die WTO scheitert. Man sollte nicht in die Illusion verfallen, dass, wenn man sich in Cancún nicht einigt, daran die WTO scheitert oder gar der ganze Multilateralismus in die Krise gerät. Der Mechanismus ist ein anderer. Wenn man in der WTO nicht vorankommt, weil es dort einen Stillstand gibt, dann werden eben die bilateralen und regionalen Handelsverträge an Bedeutung gewinnen. Wenn die bilateralen Abkommen dann wieder an Bedeutung zugenommen haben, mehr bilaterale Verträge ausgehandelt worden sind, schließt das wiederum andere Länder aus, und die setzen sich dann ganz stark dafür ein, dass es im Rahmen der WTO wieder zu multilateralen Abkommen kommt. Das ist immer ein Wechselspiel von verschiedenen, einander ergänzenden Strängen, die aber nicht im Widerspruch zueinander stehen. Insofern glaube ich nicht daran — leider — dass es zu einer ernsthaften Krise der WTO oder des Multilateralismus kommt.

Die sozialen Bewegungen mobilisieren nach Cancún unter dem Motto: Bringt die WTO zum Entgleisen. Ist das denn deiner Ansicht nach ein wünschenswertes Ziel?
Ja, natürlich. Nach wie vor ist es wünschenswert, dass diese Konferenz dort scheitert, dass die WTO ihre Kompetenzen nicht weiter ausweitet…

Was versprichst du dir davon?

Davon verspreche ich mir, dass die Legitimation dieser Organisation ernsthaft in Frage gestellt wird und dass es damit einen gewissen Rückenwind gibt für die Bewegungen, sodass die Kämpfe, die es auf nationaler Ebene gegen Privatisierung und Liberalisierung gibt, gestärkt werden. Man darf ja nicht vergessen, dass eine wesentliche Funktion der WTO darin besteht, Liberalisierungen und Privatisierungen, die schon stattgefunden haben, dauerhaft international festzuschreiben; genau in dieser Rolle würde sie dann geschwächt werden.

Könnte man sich auch vorstellen, dass es einmal eine Debatte gibt über eine andere Funktionsweise der WTO oder über eine andere sinnvolle internationale Regulierung von Austausch und Handel?

Momentan ist das nicht der Fall, das muss man klar sagen. Es gibt eine dramatische Fixierung auf die WTO, und zwar auch seitens der sozialen Bewegungen. Solange man diese Fixierung auf die WTO, die ein absolut desaströses Regelwerk hat, nicht aufgibt, solange sehe ich nicht, wie wir in eine vernüftige Debatte über eine alternative Weltwirtschaftsordnung eintreten können. Das, was wir in den 70er Jahren an Konzepten über eine Neue Weltwirtschaftsordnung einmal hatten, was allerdings nur von den Eliten des Südens betrieben wurde und dann zur Gründung der UNCTAD geführt hat, die stark von den Entwicklungsländern dominiert wurde — davon sind wir derzeit meilenweit entfernt.

In eurer WTO-AG in Attac habt ihr ein Dokument entwickelt, das den Titel trägt: Alternativen zu Weltwirtschaftsordnung. Ihr wollte dieses Dokument dem nächsten Ratschlag von Attac im Oktober unterbreiten. Habt ihr da die Frage nach einer Alternative etwas angedacht?

Das ist nach wie vor Work in Progress. Das Papier ist bis jetzt noch ein Sammelsurium von Beiträgen von Einzelpersonen aus Attac. Ein konzentrierter Vorschlag für eine neue internationale Wirtschaftsordnung ist da noch nicht enthalten; das ist etwas, was erst im Verlauf dieses Prozesses noch entstehen kann. Wir haben da keine letzten Wahrheiten fixiert; in diesem Fall ist tatsächlich der Weg eher das Ziel. Es geht dort um bestimmte hegemoniale Diskurse, die man auch in Attac findet; die werden dort hinterfragt.

Thomas Fritz ist Mitglied der AG WTO von Attac.



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