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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 14

Aceh

Die Mehrheit will die Unabhängigkeit

Lasst sie nur kommen. Wir werden ihnen die Köpfe abschlagen«, kündigte Armeechef General Ryamizard Ryacudu an, nachdem die staatliche Nationale Menschenrechtskommission Indonesiens erklärt hatte, sie wolle Untersuchungen über Massengräber in Aceh, der nordwestlichsten Provinz des Landes vornehmen; hier hat die indonesische Regierung seit dem 19.Mai das Kriegsrecht verhängt.
Der 53-jährige Ryacudu kann auf eine lange Karriere in der indonesischen Armee zurückblicken, unter anderem auch in Osttimor. Vor zwei Jahren, bei der Ablösung des damaligen Präsidenten Wahid durch die jetzige Amtsinhaberin Megawati Sukarnoputri, befehligte der General eine Einheit der Elitetruppe Kostrad, die just zur Zeit der entscheidenden Parlamentssitzung eine »Routineübung« mit 2000 Panzern in der Nähe des Präsidentenpalastes abhielt. Wahid hatte es gewagt, laut über eine Reform des Militärs nachzudenken.
General Ryacudu gilt inzwischen auch als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des obersten Militärchefs. Der Einsatz in Aceh, bei dem er etwa die Hälfte der dort stationierten Truppen des Militärs und der Polizei befehligt, könnte ihm dabei als Sprungbrett dienen. Mit einem Aufgebot von 50000 Mann handelt es sich um die größte Operation des indonesischen Militärs seit der Annexion Osttimors.
Die groß angelegte militärisch-polizeiliche Intervention erfolgte nach dem endgültigen Scheitern der Verhandlungen zwischen der Regierung und der islamischen Rebellengruppe GAM (Bewegung Freies Aceh), die für die Unabhängigkeit der Provinz kämpft. Dabei schien es im Dezember letzten Jahres durchaus Anzeichen für eine friedliche Lösung zu geben. Damals wurde eine »Vereinbarung zur Beendigung der Feindseligkeiten« (COHA) unterzeichnet, die in der Folgezeit allerdings von beiden Seiten nicht sonderlich ernst genommen wurde.
Vor allem aber die Hardliner in Militär und Regierung boykottierten das Abkommen. So wurde im Februar ein Gesetz verabschiedet, das die Bildung regionaler Parteien extrem erschwert. Zugleich verlangte die GAM, sich als politische Partei zu konstituieren. Seit März gab es zudem immer wieder Anschläge eines offensichtlich vom Militär organisierten Mobs auf die »Gemeinsamen Sicherheitskomitees«, die im Rahmen von COHA zur Überwachung des Friedensprozesses eingerichte worden waren; einige Militärs äußerten öffentlich den Wunsch, die GAM möglichst bald zu »zerschlagen«.
Die indonesische Regierung hat sich von Anfang an intensiv darum bemüht, ihre Intervention in Aceh nach dem Modell des amerikanischen Irakkriegs zu gestalten, inklusive der »Einbettung« von Journalisten in die kämpfende Truppe. Was geschieht, wenn sich Journalisten dem Druck des Militärs nicht fügen, musste dabei die Tageszeitung Tempo erfahren, die zu Beginn des Krieges über die Ermordung von zehn Zivilisten, darunter ein 13-jähriger Junge, durch Regierungstruppen berichtete. Jetzt steht der Zeitung eine Anklage wegen »unkorrekter Berichterstattung« bevor.
Weitere Parallelen lassen sich mühelos finden: So wie die Bush-Regierung auf Biegen und Brechen versuchte, eine Verbindung zwischen dem Saddam-Regime und Al Qaeda herzustellen, so bemüht sich jetzt die indonesische Regierung, die GAM als Bündnispartnerin der Jemaah Islamiyah (JI) darzustellen, die für die Bombenanschläge von Bali verantwortlich gemacht wird. Tatsächlich werden jedoch Acehnesen, die Kontakt zur JI gesucht haben, von der Führung der GAM als Überläufer und Verräter bezeichnet.
Nach wie vor ist es fraglich, ob die GAM von der Mehrheit der acehnesischen Bevölkerung unterstützt wird, sicher scheint lediglich, dass sich bei einem Referendum, wie es von verschiedenen Gruppen gefordert wird, eine Mehrheit für die Unabhängigkeit entscheiden würde. Für das Militär freilich ist jeder, der sich für die Selbstorganisation der Bevölkerung einsetzt, ein »Sympathisant«.
Wenngleich Aceh in der Tat stärker als der Rest des indonesischen Archipels von einem orthodoxen Islam geprägt ist, so hat der seit Jahrzehnten andauernde Konflikt doch weniger religiöse, als ganz handfeste materielle Hintergründe. In der Provinz stationierte Offiziere des indonesischen Militärs sind an zahlreichen profitablen Geschäften wie Auto- und Drogenschmuggel oder illegalem Holzabbau beteiligt. Aus Aceh stammen ferner 30% der indonesischen Erdgasexporte (von deren Erlösen so gut wie nichts in die Provinz zurückfließt). Ausgebeutet werden diese Vorkommen vom Ölmulti ExxonMobil in Zusammenarbeit mit dem staatlichen indonesischen Ölkonzern Pertamia. Die Förderanlagen werden von 2000—3000 Soldaten bewacht, die für unzählige Übergriffe gegen die in der Umgebung lebende Bevölkerung verantwortlich gemacht werden. In den USA ist daher zurzeit ein Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Exxon anhängig.
Auch auf andere Weise sind westliche Regierungen am Krieg in Aceh beteiligt. So geht aus einem Bericht der britischen Regierung hervor, dass die Zahl der Genehmigungen für Rüstungsexporte nach Indonesien im Jahr 2002 einen Rekord erreicht hat. Der Wert der Ausfuhren stieg dabei in den letzten beiden Jahren um das 20fache, von 2 Millionen Pfund im Jahr 2000 auf 41 Millionen Pfund im Jahr 2002. Die erteilten Exportgenehmigungen betreffen u.a. Kampfflugzeuge und Hubschrauber, Panzerfahrzeuge und Raketensysteme. Bereits jetzt sind in Aceh Hawk-Jets und Scorpion-Panzer aus britischer Produktion im Einsatz.
Auch Kriegsmaterial aus Deutschland findet Verwendung. Mitte Juni berichtete das ARD- Magazin Monitor, dass ehemalige Schiffe der Nationalen Volksarmee, die in den frühen 90er Jahren nach Indonesien exportiert und vor zwei Jahren mit Hermes-Bürgschaften der jetzigen Bundesregierung modernisiert wurden, in Aceh zum Transport von Panzerfahrzeugen und Soldaten Verwendung finden. Bereits am 23.Juni haben daher 90 NGOs und Einzelpersonen einen Aufruf unterzeichnet, der zu einem sofortigen Waffenboykott gegenüber der indonesischen Regierung aufruft.

Harald Etzbach

Der Text des Aufrufs findet sich im Internet.



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