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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 14

WTO/GATS

Das symbiotische Verhältnis von Politik und Ökonomie

Olivier Hoedmann arbeitet seit 1997 für Corporate Europe Observatory (CEO). Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Amsterdam recherchiert über den politischen Einfluss der Großkonzerne in der EU. Darüber sprach Gerhard Klas mit Olivier Hoedmann für die SoZ.

In diesem Frühjahr haben NGOs, darunter auch CEO, sämtliche als »streng vertraulich« deklarierten Anfragen der EU- Kommission an über hundert Mitglieder der WTO auf einer Homepage veröffentlicht. Wie sind Sie an die Dokumente gekommen und warum hat die EU-Kommission sie als »streng vertraulich« deklariert?

Diese Anfragen sind von einer freundlichen Quelle an uns weitergeleitet worden. Das sind im Allgemeinen Regierungen und Beamte sowie Handelsbeauftragte. In diesen Reihen gibt es also offensichtlich ebenfalls ein wachsendes Unverständnis für die Rolle, welche die EU und ihre Kommission in der WTO spielen. Es geht um die Liberalisierung des Dienstleistungssektors und der öffentlichen Dienste. Die EU-Kommission in Brüssel wollte sie gerne geheim halten. Die Zivilgesellschaft hat von Anfang an gegen diese Argumentation protestiert. Bei den Verhandlungen steht sehr viel auf dem Spiel: die Organisation der wichtigen öffentlichen Dienste in Europa und in den Entwicklungsländern.

Welche heißen Eisen wurden in den Papieren angepackt?
Die EU-Kommission will Konzernen aus der EU besseren Marktzugang überall auf der Welt ermöglichen, auch zu den öffentlichen Diensten. Sie werden als »Markt« definiert. Beispielsweise wollen die großen Wasserkonzerne aus Ländern, wo Wasser bereits privatisiert ist (Großbritannien, Frankreich), ungehinderten Zugang zu den Weltmärkten. Die EU-Kommission handelt bei den WTO-Treffen in deren Interesse. Das finden wir grundsätzlich falsch. Offiziell bekundet die EU-Kommission immer wieder, auch die Interessen der ärmsten Länder zu vertreten. Doch mit der Veröffentlichung der Dokumente wurde klar, dass sie ausschließlich im Interesse der Konzerne handelt.

Die EU hat von 72 Ländern Zugang zur Wasserversorgung gefordert. Was bedeutet es konkret, wenn dort von »Marktzugang« die Rede ist?
Wenn ein Entwicklungsland seine Wasserversorgung oder auch nur Teile davon privatisiert, müssen europäische Konzerne Zugang zu diesem Sektor bekommen. Wenn man sich im Rahmen der WTO zu einem solchen Marktzugang verpflichtet, ist es viel schwieriger, ihn wieder rückgängig zu machen und eine sozial verantwortliche Form der öffentlichen Wasserversorgung einzurichten.

EU-Handelskommissar Pascal Lamy behauptet, in der EU selbst solle es keine Verpflichtung zum Ausverkauf der Wasserversorgung geben.
Das ist ein Ergebnis des starken Drucks der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften in Europa gegen eine Privatisierung der Wasserbetriebe in der EU. Als der Druck seinen Höhepunkt erreichte, entschied sich EU-Handelskommissar Lamy tatsächlich, einige Sektoren — darunter den Wassersektor — von den GATS-Verhandlungen in der WTO auszunehmen. Es wurde als großes Zugeständnis dargestellt. Gleichzeitig fordert er von anderen Ländern, darunter viele Entwicklungsländer, weiter, ihren Wassersektor zu liberalisieren. In Lamys Vorgehen steckt viel Heuschelei. Aber es ist ganz klar auch ein Zugeständnis an die großen Brüsseler Demontrationen im Februar und März, als 15000 Menschen gegen die WTO und die Politik der EU-Kommission protestierten.

Könnte dieses Zugeständnis bei den WTO-Verhandlungen in Cancún einem Kuhhandel zum Opfer fallen?
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es Zugeständnisse geben wird. Aber der Wassersektor in Europa ist mittlerweile zu sensibel, um ihn als Teil eines Kuhhandels zu behandeln. Der öffentliche Aufschrei wäre möglicherweise sehr laut. Das größte Problem ist, dass man in Cancún fortfahren wird, die Entwicklungsländer unter Druck zu setzen.

CEO hat schön öfter an sog. »Dialogveranstaltungen« der EU-Kommission teilgenommen. Mit welchem Ergebnis?
Auf diesen Treffen spricht hauptsächlich ein Vertreter der EU-Kommission. Die Vertreter der Zivilgesellschaft kommentieren und sprechen zu den vorgegebenen Themen. Aber es ist ziemlich klar, dass die EU-Kommission diese Treffen nicht dazu nutzt, ihre Politik zu überdenken. Damit will sie vielmehr herausfinden, welche Prioritäten die zivilgesellschaftlichen Kräfte verfolgen und zu welchen Punkten wir Kampagnen planen, um Gegenstrategien vorzubereiten. Für die EU-Kommission gehören zur Zvilgesellschaft auch große Teile der Wirtschaft, deren Vertreter meist gar nichts sagen. Sie hören zu und sammeln Informationen über das , was wir planen.

Welchen Nutzen ziehen die NGOs aus den Treffen?
Manchmal bekommen auch wir Informationen, z.B. über den Fortschritt von Verhandlungen oder über Regierungspositionen. Aber die sind in der Regel sehr oberflächlich. Viele Gruppen haben nach all den enttäuschenden Erfahrungen beschlossen, nicht mehr an den Treffen teilzunehmen, andere gehen immer noch hin. Wir haben uns auch aus diesen sogenannten Dialogveranstaltungen verabschiedet.
Rund um das Dienstleistungsabkommen GATS gibt es Beispiele, wie die Kommission die Treffen missbraucht. Anfang 2003 hat sie eine große Anhörung der Zivilgesellschaft angekündigt. Doch die GATS-Kritiker fanden, dass es für eine solche Anhörung viel zu spät war und die Termine zu kurzfristig angesetzt waren. Es gab keine Anzeichen für ein Überdenken der GATS-Politik in der EU-Kommission. Es gab einen Konsens, die Anhörung zu boykottieren.
Etwa 2500 Organisationen und Einzelpersonen haben daraufhin E-Mails an die Kommission geschickt und ihr erklärt, dass sie sich an den Konsultationen nicht mehr beteiligen. Das war ein sehr klarer Standpunkt. Anfang Juni verschickte die Kommission eine Presseerklärung. Darin behauptete sie, die Anhörung sei ein ungeheurer Erfolg gewesen, die Kommission habe über 3000 E-Mails erhalten, die alle bei der Formulierung der GATS-Politik der EU berücksichtigt worden seien. Mit keinem Wort erwähnte sie die 2500 Zuschriften, welche die GATS-Abkommen als grundsätzlich falsch anprangerten. Das ist ein Beispiel für schwerwiegende Manipulation.

Wie ist die Beziehung zwischen der Kommission und den großen Konzernen in der EU?
Die EU-Handelspolitik wird zum allergrößten Teil von der Kommission gemacht, dort vor allem von der Generaldirektion Handel, die ein sehr unabhängiger Teil der Kommission ist und pointiert neoliberale Meinungen und Ziele vertritt. Diese Direktion hat eine sehr enge Bindung zu europäischen Großkonzernen. Es gibt unzählige Koordinierungstreffen, Eingaben aus der Wirtschaft und alle möglichen Informationen untereinander. Natürlich legt die EU-Kommission bei den Verhandlungen in der WTO ihre Prioritäten auf der Grundlage dessen fest, was ihr die Konzerne mit auf den Weg geben. Man könnte fast von einer symbiotischen Beziehung sprechen.

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