SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 18

Vor der WTO-Runde in Cancún

Ist die Globalisierung am Ende?

Vor der bevorstehenden 5.Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) ist die Organisation völlig festgefahren. Ein neues Landwirtschaftsabkommen ist weit und breit nicht in Sicht, zumal die USA und die EU ihre Multimilliarden-Dollar-Subventionen handfest verteidigen.
Brüssel steht kurz davor, Washington Sanktionen aufzuerlegen, weil es weiterhin Exporteuren, die erwiesenermaßen gegen WTO-Regeln verstoßen haben, Steuererleichterung gewährt. Und Washington droht, bei der WTO Klage einzureichen gegen das De-facto-Moratorium der EU gegen genmanipulierte Lebensmittel.
Die Entwicklungsländer, von denen einige einst hofften, die WTO würde tatsächlich den Welthandel gerechter machen, sind einstimmig der Meinung, dass die WTO ihnen bisher vor allem Kosten beschert hat und nicht Vorteile. Sie sind entschieden gegen eine weitere Öffnung ihrer Märkte, solange sie nicht genötigt oder eingeschüchtert werden. Anstatt eine neue Runde der Liberalisierung des Welthandels einzuläuten, wird die Minsterrunde von Cancún vermutlich in einem Patt enden.
Der Schlüssel zum Verständnis dieses Stillstands bei der WTO sind die Krise des Gobalisierungsprojekts — dessen wichtigstes Ergebnis die Einrichtung der WTO war — und der zunehmende Unilateralismus als zentrales Merkmal der US-Außenpolitik.

Globalisierung in der Krise

In der Krise des Globalisierungsprojekts gibt es bislang drei wichtige Momente. Das erste Moment war die Finanzkrise in Asien 1997. Dieses Ereignis, das die stolzen Tiger Ostasiens zu Boden streckte, zeigte, dass einer der Schlüsselgrundsätze der Globalisierung — die Liberalisierung des Kapitalverkehrs zur Förderung des freien Kapitalflusses, insbesondere von Finanz- und Spekulationskapital — äußerst destabilisierend sein kann. Die Finanzkrise in Asien war tatsächlich, wie sich zeigte, nur die jüngste von mindestens acht großen Finanzkrisen, die es seit der Liberalisierung der globalen Finanzströme Ende der 70er Jahre gegeben hat. Innerhalb nur weniger Wochen rutschten in Thailand eine Million, in Indonesien 21 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze.
Die Asienkrise war das Stalingrad des IWF, das maßgeblichen globalen Sachwalters der liberalisierten Kapitalströme. Seine »Erfolgsbilanz« bei dem ehrgeizigen Unternehmen, einige hundert Ökonomien in der Entwicklung oder im Übergang einer »Strukturanpassung« zu unterwerfen, wurde entlarvt, und Tatsachen, auf die Organisationen wie das UN-Entwicklungsprogramm (UNPD) und die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schon Ende der 80er Jahre hingewiesen hatten, wurden nun Realität. Strukturanpassungsprogramme, die dazu dienen, die Deregulierung, Handelsliberalisierung und Privatisierung zu beschleunigen, hatten fast überall zu Stagnation geführt und Armut und Ungleichheit verstärkt.
Das zweite Moment der Krise des Globalisierungsprojekts war der Abbruch der 3.WTO-Konferenz in Seattle im Dezember 1999. Seattle war die fatale Schnittstelle dreier Herde von Unzufriedenheit und Konflikten, die sich über einen längeren Zeitraum hin aufgebaut hatten:
♦  Die Entwicklungsländer ärgerten sich über die Ungerechtigkeiten in den Vereinbarungen der Uruguay-Runde, die sie sich 1995 genötigt gefühlt hatten zu unterschreiben.
♦  Weltweit entwickelte sich aus einer Unzahl von Bereichen der Zivilgesellschaft — Bauern, Fischer, Gewerkschafter, Umweltschützer — eine massive Opposition aus der Bevölkerung. Weil viele ihrer Abkommen eine Bedrohung für das Wohlergehen jedes einzelnen Sektors darstellt, schaffte es die WTO, die globale Zivilgesellschaft gegen sich zu vereinen.
♦  Es gab ungelöste Handelskonflikte zwischen der EU und den USA, insbesondere im Agrarbereich, die in den Vereinbarungen der Uruguay-Runde überspielt worden waren.
Diese drei Konfliktherde zusammen verursachten die Explosion in Seattle. Die Entwicklungsländer rebellierten im Convention Center von Seattle gegen das Diktat des Nordens; 50000 Aktivisten veranstalteten Massendemonstrationen auf den Straßen; und ihre eigenen Differenzen untereinander hinderten EU und USA daran, einvernehmlich zu handeln um die Konferenz zu retten. In einem Moment der Klarheit nach dem Debakel von Seattle erfasste der britische Minister Stephen Byers den Kern der Krise: »Die WTO wird nicht in ihrer gegenwärtigen Form weitermachen können. Es sind grundlegende und radikale Änderungen nötig, damit sie die Bedürfnisse und Hoffnungen aller 134 Mitglieder erfüllen kann.«
Das dritte Moment in der Krise des Globalisierungsprojekts war der Absturz des Aktienmarkts und das Ende des Clinton-Booms. Das war nicht nur ein Platzen der Spekluationsblase, sondern eine rüde Neuauflage der klassischen kapitalistischen Überproduktionskrise, die sich vor allem in massiven Überkapazitäten ausdrückt. Vor dem Crash waren die Unternehmensgewinne in den USA seit 1997 nicht gestiegen. Das hatte mit Überkapazitäten im Industriesektor zu tun; das eklatanteste Beispiel war die Krise im Telekommunikationsbereich, wo nur 2,5% der weitweit installierten Kapazitäten genutzt wurden.
Die Stagnation der realen Wirtschaft führte dazu, dass Kapital in den Finanzsektor verlagert wurde, was zu einem Schwindel erregenden Anstieg der Aktienwerte führte. Weil die Realität im Finanzsektor aber nicht zu weit von der Ertragskraft der realen Wirtschaft abweichen kann, war ein Absturz der Aktienwerte unvermeidlich, und der geschah im März 2001 und führte zu anhaltender Staagnation und dem Beginn einer Deflation.

New Economics und Unilateralismus

Robert Brenner hat darauf hingewiesen, dass die Politik Clintons und seines Finanzministers Robert Rubin höchsten Wert auf die Expansion der Weltwirtschaft als Basis des Wohlstands der globalen kapitalistischen Klasse legte. Zum Beispiel forcierten sie Mitte der 90er Jahre eine Politik des starken Dollar, die die Erholung der japanischen und der deutschen Wirtschaft stimulieren sollte, damit sie als Märkte für US-Waren und -Dienstleistungen dienen konnten. Die eher nationalistische Reagan-Administration hatte dem gegenüber eine Politik des schwachen Dollars verfolgt, um die Wettbewerbsfähigkeit der US- Wirtschaft zulasten der japanischen und der deutschen Wirtschaft zu stärken. Mit der Regierung von G.W.Bush sind wir wieder bei einer Wirtschafts- und Geldpolitik, die einen schwachen Dollar will, um die US-Wirtschaft auf Kosten anderer wichtiger Wirtschaftssysteme zu beleben und primär die Interessen der US-Industriellen zu befördern, statt die der globalen Kapitalistenklasse — und dies unter den Bedingungen einer weltweiten Rezession.
Einige Merkmale dieses Ansatzes seien hier benannt:
♦  Bushs politische Ökonomie ist sehr auf der Hut vor einem Globalisierungsprozess, der nicht von einem US-Staat kontrolliert wird, der sicherstellt, dass der Prozess die wirtschaftliche Macht der USA nicht zunichte macht. Ließe man es zu, dass allein der Markt die Globalisierung vorantreibt, könnte dies dazu führen, dass Schlüsselunternehmen in den USA der Globalisierung (dem freien Wettbewerb) zum Opfer fallen und die Wirtschaftsinteressen der USA Schaden nehmen. Trotz aller Rhetorik vom freien Markt haben wir es also hier mit einer Gruppe zu tun, die sehr protektionistisch ist, wenn es um Handel, Investitionen und das Management von Regierungsaufträgen geht. Scheinbar lautet das Motto von Bush: Protektionismus für die USA und Freihandel für den Rest.
♦  Für die Bush-Leute ist die strategische Macht die ultimative Form von Macht. Wirtschaftliche Macht ist ein Mittel, strategische Macht zu erzielen. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass die dominante Gruppe der herrschenden Elite unter Bush das militärisch-industrielle Establishment ist, das den Kalten Krieg gewonnen hat. Der Konflikt zwischen den Globalisten und den Unilateralisten oder Nationalisten auf dieser Ebene zeigt sich am Beispiel von China. Der globalistische Ansatz legt den Schwerpunkt auf eine Zusammenarbeit mit China und sieht dessen Bedeutung primär als Markt für Absatz und Investitionen für das US-Kapital. Die Nationalisten hingegen betrachten China vor allem als strategischen Feind, und sie würden es lieber eindämmen, als bei seinem Wachstum zu helfen.
♦  Kontrolle über das Öl im Nahen Osten war zwar nicht das ausschließliche Kriegziel der Regierung bei der Invasion des Irak, stand jedoch zweifellos weit oben auf der Liste. Weil der Wettberwerb mit Europa immer stärker die transatlantischen Beziehungen bestimmt, richtete sich der Krieg zweifellos zum Teil auch gegen Europa. Aber das strategische Ziel war es wohl, die Ressourcen der Region in Beschlag zu nehmen, um den Zugriff des energiearmen China zu kontrollieren, das als strategischer Feind der USA betrachtet wird.
♦  Aggressiver Protektionismus in Handels- und Investitionsfragen. Die USA haben eine protektionistische Maßnahme nach der anderen aufgehäuft. Während Washington anscheinend bereit ist zuzusehen, wie sich die WTO- Verhandlungen auflösen, gibt es sich große Mühe, mit verschiedenen Ländern bilaterale oder multilaterale Handelsabkommen zu unterzeichnen (FTAA), bevor die EU sie in ähnliche Abkommen einbindet. Dabei ist der Begriff »Freihandelsabkommen« eigentlich falsch, weil es sich tatsächlich um Präferenzhandelsabkommen handelt.
♦  Manipulation des Dollarkurses, um die Kosten der Wirtschaftskrise den Rivalen aufzubürden.
Das Globalisierungsprojekt ist in der Krise. Ob es über eine demokratisch oder liberal- republikanische Präsidentschaft ein Comeback schafft, kann man nicht ausschließen, vor allem weil es einflussreiche Stimmen unter den Globalisierern in der US-amerikanischen Business Community gibt — darunter George Soros —, die Widerstand gegen das unilaterale Vorgehen der Bush-Administration anmelden. Dies scheint uns jedoch unwahrscheinlich, und der Unilateralismus wird noch eine ganze Weile herrschen.
Wir sollten einen gesunden Respekt vor der Macht der USA haben, aber wir dürfen sie auch nicht überschätzen. Es sieht so aus, als hätten die USA massiv überdehnt und als wäre das, was wie Stärke aussieht, tatsächlich strategische Schwäche.

Walden Bello

Aus einer Rede von Walden Bello auf der McPlanet-Konferenz in Berlin am 27.Juni 2003. Vollständig auf www.attac.de.


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